Wie wird man ein Ehrenmitglied?

Besser als an der Staatsoper wird heute vermutlich nirgendwo auf der Welt gesungen. Was die Dirigenten betrifft, bin ich nur eingeschränkt überzeugt

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Während der vergangenen Wochen war ich fast so oft in der Staatsoper wie zur glücklichen Stehplatzzeit, deren Verlauf meinem Leben die Richtung gewiesen hat. Was dort während der beiden vergangenen Jahre, anfangs im Widerstand gegen das politische Versagen, geleistet wurde, habe ich nicht zu verhalten gewürdigt. Zuletzt waren es aufregende Sängerbesetzungen in klugen, klaren, eskapadenfrei modernen Inszenierungen aus der Jahrtausendwende, die mich überzeugt haben: Bestes vom Besten in der "Toten Stadt" (wo ist Willy Decker?), in "Manon Lescaut"(Robert Carsen) immerhin Asmik Grigorian und in "Peter Grimes" (Christine Mielitz) eine Besetzung, die man auf der Welt nicht besser zusammenbrächte. Das unter diesen Umständen tolerable Problem der letztgenannten Aufführung war die Dirigentin Simone Young, die sich robust und rhythmisch defizitär durch Brittens Partitur holzte.

Ich erinnere mich, wie die Dame um besagte Jahrtausendwende in einer gemeinschaftlichen Anstrengung von Orchester, Publikum und Kritik aus dem Haus komplimentiert wurde. Zuvor hatte ich von ihr einen sehr schlechten "Ring" meines Lebens gehört, und anschließend lädierte sie als Intendantin die Hamburger Oper. Unter diesen Umständen verwundert doch, dass sie kürzlich Ehrenmitglied der Staatsoper wurde. Dass dies mit ihrem Agenten zu tun haben könnte, ist eine Geschichte, die ich Ihnen vielleicht ein anderes Mal erzähle. Auch will ich nicht pauschalieren: Der Mann hat auch erste Namen im Portfolio, unter ihnen den aktuellen Staatsopern-Musikdirektor, den inspirierten Routinier Bertrand de Billy und den 29-jährigen Thomas Guggeis, der die "Tote Stadt" schlicht sensationell in der Hand hatte. Aber mit solchen Personen kann man eben auch etliche atü Druck für vom Himmelvater minder Ausgestattete erzeugen. Und das ist weniger elegant, zumal der Blick in den Staatsopernspielplan lehrt, dass dort der Katalog des besagten Agenten auch in seinen weniger glänzenden Positionen überstrapaziert wird.

Was ich dabei nicht mehr hören will, ist das Zetern, heutzutage seien keine großen Operndirigenten mehr verfügbar. Der Blick ins Weite lehrt das Gegenteil. Muti hat kürzlich in Mailand "Nabucco" dirigiert und ist in Turin mit "Don Giovanni" angekündigt. Der genesene Zubin Mehta hat bei Alexander Pereira in Florenz nebst "Fidelio" (in der Inszenierung des hierzulande wöchentlich dringender vermissten Matthias Hartmann) auch die Silvester-"Fledermaus" geleitet. Er kehrt dorthin, nach eiligen Umwegen über Japan ("Turandot") und Tel Aviv ("Tosca"), im Mai mit "Figaro" zurück, ehe es ihn, wieder mit "Turandot", an die Berliner Staatsoper trägt. Donald Runnicles lässt sich von seinen gewissenhaft erfüllten Berliner Verpflichtungen nicht um eine "Elektra" in New York bringen. Antonio Pappano verlässt den Stützpunkt London in Richtung Rom und New York. Und erst der bald mit ausreichend Zeitfenstern gesegnete Thielemann und Franz Welser-Möst, beide innerhalb ihrer Generation ohne nennenswerte Mitbewerberschaft! Sie sind gottlob angekündigt, müssten aber, unter welchen Titeln auch immer, resolut an das Haus gekettet werden. Oder Ingo Metzmacher: Er hätte, wäre ihm nicht das Virus dazwischengefahren, im Theater an der Wien Martin Kusejs gewöhnungsresistente "Tosca" geleitet. Von ihm und den Philharmonikern "Peter Grimes" zu hören, das wäre es gewesen (die dafür von der Staatsoper bemühte Dame hätte ja als Kusejs unmaßgeblich bessere Hälfte an die Wienzeile entlehnt werden können).

Aber dann wäre es mit der Ehrenmitgliedschaft nichts geworden! Ich habe übrigens nachgesehen, wem diese Behängung seit 1881 zugedacht wurde. Persönlich erfreut hat mich die Sopranistin Marie Wilt (1883), nicht wegen ihrer mir naturgemäß unbekannten Qualitäten, sondern wegen der Zärtlichkeitsbekundung, die man der raumverdrängenden Künstlerin aus Publikumskreisen zukommen ließ: "Die Reise um die Wilt in 80 Tagen" (damals musste man noch kein Model sein, um auf der Bühne reüssieren zu dürfen; damals wurde man für ein Bonmot aber auch noch nicht nach #Metoo strafentmannt). Ansonsten: ohnehin alle mehr oder weniger großen Sänger und Dirigenten, die dem Haus verbunden waren, von Leo Slezak bis Neil Shicoff, von Richard Strauss bis Muti.

Oder doch nicht? Der nicht ganz unbemerkt gebliebene Direktor Gustav Mahler? Claudio Abbado, der ein großer Musikdirektor war? Mirella Freni? Wolfgang Windgassen? Harnoncourt, der es trotz Differenzen auf 60 Abende gebracht hat? Und in der Gegenwart: Thielemann, Welser-Möst? Thomas Hampson und Angela Denoke, die am Haus Historisches vorgelegt haben, aber uneleganter-, auch kontraproduktiverweise abgemeldet sind? Nina Stemme und Tomasz Konieczny, denen es fast ebenso ergangen ist? Möglicherweise stimmen Sie mir zu, dass der eine oder andere von ihnen auch vor Simone Young ins Auge gefasst hätte werden können.

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