Wer Zeitungen umbringt, ist ein Kulturbarbar

Nach der "Wiener Zeitung" ist jetzt das "OÖ Volksblatt" zur Liquidierung freigegeben. Wer meint, eine Parteizeitung habe keine Funktion mehr, möge sich an die "AZ" als Reservoire der Talente erinnern

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Zwölf sind jetzt noch übrig. Zwölf gedruckte österreichische Tageszeitungen nach der barbarischen Ohne-Not-Schlachtung der "Wiener Zeitung" durch die Regierung und der Liquidierung der Parteizeitung "Oberösterreichisches Volksblatt" durch die ÖVP.

Die SPÖ, so ist hinzuzufügen, darf sich über diese Entwicklungen maximal verhalten empören. Das "Oberösterreichische Tagblatt"; die "Kärntner Tageszeitung"; das "Neue Salzburger Tagblatt"; die "Neue Zeit" in Graz, bis zu ihrer Einstellung anno 2001 eine der besten österreichischen Tageszeitungen: Die SPÖ hat im Umgang mit ihren Medien die Zeichen der bildungsfernen Zeit schon erkannt, als die Ausrede des Internets mehrheitlich kaum in Erfindung begriffen war.

Und da bin ich noch nicht einmal bei der "Arbeiterzeitung", die sich in ihrer Spätzeit schamhaft hinter das semantische Mehrzwecknichts "AZ" ducken musste. 1889 von Viktor Adler begründet, hat sie mir in den mittleren Siebzigerjahren die Aufnahme meiner beruflichen Aktivitäten ermöglicht. Bruno Kreisky regierte das Land, und theoretisch war man jemand, wenn man nach einer Kellertheaterpremiere als geblähter Jungkritiker mit den anderen nachdrängenden Hoffnungen beim Bier saß. Aber die elektrisierenden, die Republik beeinflussenden Geschichten ließ die Partei doch lieber der mächtigen "Krone" zukommen.

So lagerten wir als etwas obskure Exponate im historischen Vorwärts-Verlag an der Wienzeile und hofften, dass man uns noch ein wenig gewähren lassen werde. Einen Brief Kreiskys, der mich davon abhalten wollte, als Dramaturg nach Berlin zu wechseln, halte ich heilig in Ehren: "Lassen Sie und Ihre Kollegen sich nicht verunsichern, Viktor Adler hat die AZ begründet und es wird nicht heißen, Bruno Kreisky hat sie geschlossen - und wenn ich mit dem Hut in der Hand durch das Land ziehen muß, die AZ wird bleiben. Übrigens", fuhr der gesundheitlich schon blessierte Gottvater fort, "zwischen 1934 und 1946 habe ich, der ich sonst wissentlich wenig träume, oft davon geträumt, die AZ in der Hand zu haben."

Das war im Jänner 1983. Drei Monate später verlor Kreisky die Absolute mit einem Resultat, von dem heute höchstens Kim Jong-un nicht träumen müsste. Sein schwer unterschätzter Nachfolger Fred Sinowatz hielt noch wacker gegen die Parteimeinung, aber dann reichte das Geld, das in den Causen Konsum und BAWAG vorher und nachher keine Rolle spielte, für die arme "AZ" nicht mehr. Sie wurde privatisiert, und 1991 setzten die Eigentümer die lebenserhaltenden Maßnahmen aus.

Ja, aber, werden Sie jetzt einwenden: Hat denn damals die "AZ" überhaupt noch jemand gebraucht? Wenn Sie sich da nur nicht täuschen: In der "AZ" wurde eine Unzahl junger Journalisten für den Beruf zugeschliffen, sicher mehr als anderswo. "Profil" bediente sich anlässlich seiner Gründung um nichts genierter als später "Standard" und News. Man konnte an der Wienzeile etwas lernen, auch den listigen Widerstand gegen den löwelstraßenseitig distribuierten Sachzwang. So konnte ich dort, gegen spitze Vorbehalte des rosaroten Establishments, Lebensfreundschaften mit der Jungkommunistin Elfriede Jelinek und dem Weltkünstler Hermann Nitsch aufbauen.

Was man aber in erster Linie lernen konnte, war artikulierter, dem Mediengesetz verpflichteter Journalismus. Diese Erfordernis ist heute ins Unermessliche gewachsen, seit sich ein ungebahnter, nie versiegender Schwall inhaltlichen und sprachlichen Unrats ins Internet ergießt. Und da ich in Anbetung des allerheiligsten Karl Kraus die Überzeugung vertrete, dass sprachliche Verlausung auch den Inhalt befällt, komme ich zu einer kühnen Hypothese: Fast jedes gedruckte Wort ist eine Art Poller gegen das Vordringen des Analphabetismus. Nach wie vor nämlich scheut man sich medienseitig davor, rechtschreib- und interpunktionsdefizitäres Gestammel in den Druck zu befördern. Sie brauchen nur die analogen Ausgaben diverser Günstigpublikationen mit den digitalen zu vergleichen: Ungehindert durch Korrektorenhände brechen sich da oft grenzdadaistische Sprachderivate den Weg ins Netz. Und selbst Kollegen aus der Eleganzpublizistik setzen mich in ungläubiges Erstaunen, wenn sie, der Eile verpflichtet, ihre Vordringlichkeiten direkt ins Netz befördern. Diese Entwicklung wird sich nicht verhindern lassen, denn vor den Fluten digitaler Inhalte müssten selbst Korrektorenheere kapitulieren. Aber die letzten gallischen Dörfer zu schleifen, scheint mir doch etwas zu direkt.

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