Wenn einem die Themen um die Ohren fliegen

Eine Woche der Grenzbereiche von Kunst und Leben. Meine Leser diskutierten die Causa Teichtmeister, das Volkstheater hat seinen Mythos vergeigt. Und im Rathaus wurden zwei Große der Operngeschichte geehrt

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Inmitten einer Urlaubswoche (die nur eine wurde, weil der Andrang an Terminen und Pflichten sonst nicht zu bewältigen wäre) fliegen mir die Themen wie ein Meteorschauer um die Ohren. Darf ich mich deshalb ausnahmsweise in drei verschiedenen Materien verbreiten? Zu danken habe ich zunächst für die Unzahl an Briefen zu meinen Ausführungen über die mediale Begleitung des Teichtmeister-Prozesses. Nur in verschwindender Minderheit wollten Sie mir nicht zustimmen, dass, bei aller Hässlichkeit des Verübten, auch Verhetzung ein ahndenswertes Verbrechen ist. Und mehrfach kam mir von meinen Lesern ein Gedankengang, den ich Ihnen nicht vorenthalten will: Inwiefern hätte es das Urteil des Gerichts verändert, wenn die Staatsanwältin Teichtmeisters Gewaltphantasien unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlesen hätte? Außer medialen Benefizien für die Anklägerin kann ich nämlich nur eine Konsequenz ausmachen: dass ein Resozialisierungswilliger, dem die Gelegenheit zur Tatbegehung jetzt zu annähernd 100 Prozent unterbunden ist, eine schon zugesagte Beschäftigung verloren hat. Der therapeutisch-pädagogische Nutzen, für den Verurteilten wie für die Gesellschaft, erschließt sich mir maximal zögernd.

Lassen Sie mich den Albtraum dem verdienten Dunkel überantworten und einen scharfen Schnitt vollziehen. Dem Volkstheater, dessen bedrohliche Situation ich zuletzt mehrfach zum Thema gemacht habe, wurde von einer realitätsverlorenen Adorantenblase eineinhalb Jahre lang ein schieres Wunder attestiert. Ein dem Vernehmen nach amüsanter, aber länglicher Jandl-Abend habe alles andere hinweggeleuchtet, den radikalen Publikumsschwund ebenso wie die Schließung des Hauses jeweils zwei Wochen im Monat. Nun ist die Wundertäterin, die deutsche Regisseurin Claudia Bauer, mit einer neuen Arbeit ans Haus zurückgekehrt. Und wie sich - ich war wie beim ersten Mal verhindert - da der Zauber blitzverflüchtigt hat! Ingeborg Bachmanns dutzendbödiger Roman "Malina" sei als routinierter Schenkelpracker auf die Bühne gestemmt worden, las ich erstaunt. Ein anno Jandl zum nachdrängenden Titanen nobilitierter Schauspieler sei zudem an seiner Rolle idiomatisch gescheitert.

Gut so, und jetzt Schluss mit dem Unfug. Der durch sein Amtsverhängnis gelobhudelte Direktor Voges habe "das Volkstheater wieder groß gemacht", las ich gar. Das hat einer mit markantem Resultat schon den Vereinigten Staaten von Amerika angedeihen lassen. Der Verschleiß von Voges-T-Shirts dürfte sich auf das Hausbudget gleichwohl überschaubar auswirken. Und wenn in wenigen Wochen der Nachfolger gesucht wird, muss die Öffentlichkeit ein scharfes Auge auf den Findungsvorgang haben. Denn wesentlich größer dürfte das Volkstheater ohne Gefahr der Umwidmung in eine Billa-Filiale nicht mehr werden.

Dann komme ich jetzt - wir alle haben es uns verdient - zum unvermischt Schönen, Berührenden, Unvergesslichen. Am vergangenen Donnerstag haben wir im Wiener Rathaus die Österreichischen Musiktheaterpreise vergeben. Und als gefürchtet bescheidener Jury-Vorsitzender darf ich einwerfen: Wir haben keine Unwürdigen gewählt. Nina Stemme kam aus Paris, Andreas Schager, Camilla Nylund und die Wundersopranistin Angela Denoke (als Regisseurin einer Innsbrucker "Salome") haben sich riesig gefreut.

Am Ende kam Otto Schenk, den wir für das Lebenswerk geehrt haben, in seinem Rollstuhl auf die Szene wie ein uralter kleiner Prinz von einem fernen Asteroiden. Was er erzählte, war so märchenhaft wie die Oper selbst. So lang und unter so vielen Tränen hat sich seit Jahren kein Publikum mehr von seinen Plätzen erhoben. Wir haben in diesem Jahr aber zwei Lebenswerkpreise vergeben, und was wäre das für ein Wiedersehen gewesen: Otto Schenk, der Regisseur, und Ileana Cotrubas, die Violetta einer unvergesslichen Wiener "Traviata" des Jahres 1971. Die vielleicht größte Sopranistin ihres Fachs, jedenfalls die Mimi und Violetta meines endlosen Opernlebens, musste uns absagen, obwohl sie mit ihren 84 gegen den um neun Jahre älteren Schenk ein Mädchen ist. Und nichts anderes ist diese beispiellose Wahrheitsfinderin ja auch immer gewesen. Solch eine verzweifelte Lebensgier und Schmerzensschönheit, solch ein Leuchten der Anmut im Tod! Und dabei: welch resolute Verfechterin ihrer Überzeugungen! Als ich ihr den Preis anbot, zögerte sie: Sie könne ihr Lebenswerk nicht als vollendet betrachten, ehe sie dem Regietheater nicht persönlich den Rest gegeben habe. Da sie aber zuversichtlich sei, das Ziel bis 7. September erreicht zu haben, freue sie sich über die ihr zugedachte Ehre. Wir werden ihr den Preis daheim überreichen. Und welch ein Ereignis wird das sein: mit ihr zu streiten.

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