Warum nicht Hartmann?

Das Volkstheater sucht eine neue Direktion. Attraktive Namen sind seit Längerem im Umlauf

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Das Volkstheater ist für mich ein Haus wie kein anderes. Hier habe ich als Zehnjähriger Schillers "Maria Stuart" durchfiebert: intellektuell und akustisch überfordert auf den elterlichen Abo-Plätzen in schwindelnder Höhe, aber mit heißen Ohren und berufsrelevanten persönlichen Folgen. Hier habe ich als Halbwüchsiger den angebeteten Qualtinger Kleist, Nestroy und Wolfgang Bauer spielen sehen. Hier war die Heimat Nestroys, Brechts und Turrinis. Hier war es am aufregendsten, wenn es anderswo am langweiligsten war.

Dass dem Volkstheater nun mancherorts die Existenzfrage gestellt wird, halte ich für nicht einmal diskutierenswert. Die Auslastung ist in den drei Jahren der Direktion Anna Badoras stark gesunken. Die hart Attackierte verzichtet auf Vertragsverlängerung, und die eben ernannte Wiener Kulturstadträtin Kaup-Hasler kündigt für das Weitere einen "Thinktank" an.

Was immer das ist (ich hoffe, kein Panzer): Der stadträtlichen Drohung, hier dürfe kein Tabu obwalten, ist entgegenzutreten. Tabu nämlich müsste jede Überlegung sein, die dem Haus seine Bestimmung als Theater im engsten Sinn aberkennt.

In einem Haus mit immer noch enormen 800 Plätzen eine Abspielstätte für freie Nischenproduktionen zu etablieren: dann lieber gleich ein Vorvertrag mit Billa für die Immobilie in attraktiver Lage. Eine Eventbude für den Partykulturzeitgeist nach der Fasson des geschassten Festwochen-Intendanten Zierhofer-Kin, und sei sie auch weniger provinziell: das sichere Ende.

Vermutlich hilft nur ein entschlossener Schritt zurück zu dem, was der Name des Unternehmens impliziert: ein Haus, resistent gegen die ständig wechselnden Ansinnen des Feuilletons, ohne intellektuelle Dünkel und trendgeile Eskapaden, in dem sich gegebenenfalls auch ein Zehnjähriger von heute am Theater infizieren kann. Die strapazierte Vokabel "niederschwellig" kann dabei nicht Anbiederung in der Gestalt berufsjugendlichen Eventgetöses bedeuten, sondern im Gegenteil: das Außerordentliche, Klassisches wie Neues, unter dem Blickwinkel der Verständlichkeit von den bestverfügbaren Kräften elaboriert.

Zuletzt wurden mehrere Namen für die Intendanz ab Herbst 2020 genannt. Thomas Gratzer vor allem, dem im Rabenhof fabulöse Grenzgänge zwischen Kabarett und Theater gelingen. Ob sich eine Mittelbühne dieses Profils ohne Risse über die zweieinhalbfache Grundfläche spannen lässt, sollte gut überlegt werden.

Maria Happel, die Elementarkomödiantin des Burgtheaters, hat sich für das Haus schon vor Jahren interessiert. Sie könnte ihm die Art publikumsmagnetischer Identität geben, mit der ihr Kollege Robert Meyer der Volksoper aus prekären Umständen geholfen hat. Nie war die Zeit günstiger für diesen Versuch: Der designierte Burgtheaterdirektor Martin Kušej kündigt - respektive: verärgert - gerade viele Spitzenkräfte des Hauses. Viele von ihnen haben Kinder und wollen die Stadt nicht wechseln. Wenn Kušej - wie vor drei Jahren Anna Badora - mit einem hierorts weitgehend unbekannten Ensemble antritt, könnte die Migrationsbewegung ans Volkstheater machtvoll sein.

Wenn man nicht gleich aufs Ganze geht: Der sinnlos entlassene Matthias Hartmann hat die "Burg" mit Fortüne und bestem Zulauf geleitet. Er ist umfassend rehabilitiert, erwartet empfindliche Schadenersatzzahlungen und kennt jeden, der jetzt das Haus verlassen muss. Die qualifizierten Branchenfeinde Kušej und Hartmann im permanenten Derby: Das kann man mit Geld schon kaufen. Man muss sich nur trauen.