Warum Maria Happel alles richtig macht

Ein larmoyanter offener Brief von Studenten des Reinhardt-Seminars fordert dessen Direktorin zum Rücktritt auf. Die Argumente zeugen von grundlegendem Nichtverstehen des Berufs

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass es so schnell gehen würde, hatte ich in Kenntnis des Trägheitsmoments österreichischer Niedertracht nicht gedacht. Erst kürzlich habe ich auf die sich beschleunigende Diskussion um die "Josefstadt"-Direktion verwiesen: Herbert Föttinger geht zwar erst im Juni 2026, aber die Begehrlichkeiten und Mutmaßungen fliegen den Informierten schon jetzt um die Köpfe. Der Grund? Man will im Fall vorgezogener Wahlen sofort entscheidungsfähig sein, statt mit dem Kunstminister der Regierung Kickl verhandeln zu müssen.

Sollte man sich nun darauf verständigen, die glanzvolle Reihe der Schauspielerdirektoren Schenk, Lohner und Föttinger fortzusetzen, so dominierte unter den Infragekommenden bis vor kurzem unbeeinsprucht die brillante, publikumsmagnetische, via Reichenau und Reinhardt-Seminar führungserfahrene Burgschauspielerin Maria Happel. Als gebürtige Deutsche verkörpert sie, wie Heltau oder Robert Meyer, doch identitätsbewahrend die österreichische Schauspielkunst. Nicht auszudenken, wie es um das leergespielte, quasi nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft seine Subvention verzehrende Volkstheater stünde, hätte die favorisierte Großkomödiantin dort den Zuschlag bekommen.

Just in dieser Situation hat sich "die Studierendenschaft" des Reinhardt-Seminars mit der Zweidrittelmehrheit von 30 Unterzeichnern mittels offenem Brief an Zeitungen gewandt: Gefordert wird "der Rücktritt der Institutsleiterin Maria Happel" infolge Vertrauensverlusts. Wie das? "Universitätseigene Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität" würden nicht umgesetzt.

Nun habe ich keine Ahnung, was eine "Studierendenschaft" benötigt. Ich weiß nicht einmal, was das ist. Sollte es sich allerdings um Schauspielstudenten handeln, so muss ich sie enttäuschen: Es gibt so gut wie nichts auf der Welt, was sie weniger benötigen als "Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität". Sie brauchen im Grund nur eines: bestmögliche handwerkliche Ausstattung für einen Beruf, der sie permanent an die Grenzen des Risikos, ja der körperlichen und seelischen Selbstausbeutung führen wird.

Wenn ich da die Vorwürfe im schwammigen Detail lese! "Rollenunterricht finde (...) in ungeschützten Räumen" abseits des Seminars statt! Vermutlich wurden die Studenten von Lehrkräften fallweise nach Hause gebeten. Abgesehen davon, dass wir es uns, als ich einst an der Uni arbeiten durfte, als Ehre angerechnet haben, vom Professor eingeladen zu werden: Ein Schauspieler, der die geschützten Räume nicht verlassen will, soll sich gleich als Yogalehrer bewerben (er wäre nicht der erste). Ansonsten nämlich wird er bald vor dem vielköpfigen Monster Publikum, Kritik und Kollegen stehen und durch nichts und niemanden als sein Können und sein Talent beschützt werden.

Eine Diplominszenierung sei nur unter Begleitung einer Sicherheitsfirma möglich gewesen, "da von einem ehemaligen Studierenden eine immanente Gefahr ausging"? Aha. Muss nächstens der Burgtheaterdirektor demissionieren, weil sich ein Verrückter eine Karte gekauft hat? Oder ist der "ehemalige Studierende" womöglich dauerhaft entgleist, weil er "von der stellvertretenden Institutsleitung Annett Matzke in Einzelgesprächen zum Weinen gebracht" wurde? Auch das ist, glauben Sie es oder nicht, ein Vorwurf, mit dem sich erwachsene Menschen im Ernst an die Öffentlichkeit trauen.

Ja, und das andere! Geldgier? Vor drei Jahren hat sich die komplette Führung des Seminars zurückgezogen, weil man an einem Drehtag mehr verdient als das Trinkgeld, mit dem die bürokratische Beschwernis im Monat abgegolten wird. "Die leitenden Personen sollen nicht berühmt, sondern qualifiziert sein"? Welch blühender Unsinn! Niemand kann seinen Studenten hilfreicher sein als ein berühmter Lehrer. Von Susi Nicolettis gnadenloser Obsorge erzählt eine ganze Generation Erfolgreicher, von Senta Berger bis Erika Pluhar. Vom charismatischen Lehrer Brandauer schwärmt bis heute Birgit Minichmayr. Maria Happel wiederum hat in ihrer Reichenauer Antrittssaison für ihre Seminaristen - überwiegend Österreicher, obwohl die Spezies am Burgtheater abgemeldet ist und vom nie schreienden Volkstheaterdirektor auf die Straße gesetzt wurde - eine ganze Wedekind-Aufführung hochgezogen. Punktgenauer kann man sich um die "Josefstadt" nicht bewerben.

Dort und in Reichenau spielt übrigens Maria Happels Tochter Paula Nocker, die wohl mit dem Kritikpunkt "Nepotismus" beschädigt werden soll. Seltsam nur, dass sie gleich im Jahr ihres Debüts für eine Glanzleistung den Nachwuchs-"Nestroy" bekommen hat. Es kann schon sein, dass man als Kind einer Künstlerfamilie genetisch oder durch frühe Prägung bevorzugt ist. Oder gelangten etwa Elisabeth Orth, Paulus Manker, Felix Kammerer durch Nepotismus aufs Hochplateau? Kunst ist nun einmal ungerecht und das Talent ein Hallodri, der sich mit seinen Verhältnissen - die Mesalliancen oft zum Verwechseln ähnlich sind - weder durch offene Briefe noch durch "Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität" auf die Seite des Mittelmaßes zwingen lässt. Das wäre die Art Lehrstoff, die manchen zum Weinen, der Welt aber viele Yogalehrer brächte.

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