Der Staatsoper
zum Geburtstag

150 Jahre nach seiner Eröffnung ist das Institut am Ring nach wie vor in vitalen Umständen. Immer war es die Musik, die hier den Ton angab. Aber es gibt noch mehr. Und das kommt bald

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Sicher wäre es klüger, den Umstand unerörtert zu lassen. Aber die Liebe folgt eben ihren eigenen Gesetzen, und ja: Ich erinnere mich an das Hundert-Jahre-Jubiläum der Wiener Staatsoper. Und wie! Ganz zu Beginn des Jubeljahrs, vier Wochen nach meinem 14. Geburtstag, nahm mich mein Schulkollege Georg Klee (gesegnet sei er dafür) in eine "Meistersinger"-Vorstellung mit. An diesem 19. Jänner 1969 nahm aus dem Stehparterre, dritte Reihe rechts, mein ganzes weiteres Leben seine Richtung. An sich war schon mit dem C-Dur-Akkord am Beginn des Vorspiels alles entschieden. Die Tränen schossen mir in die Augen, ich glaubte ohnmächtig zu werden, wurde es aber trotz der majestätischen Länge des Wagner'schen Werks auch im weiteren Verlauf nicht und wusste am Ende dieser fünfeinhalb Stunden: Hier bringt mich keiner mehr weg. So kam es auch: Meine Leistungen im Gymnasium ließen alarmierend nach, denn ich trollte mich gleich nach der Schule zum Anstellen, und in den Arkaden neben der Kärntnerstraße wartete alsbald mein erster Freundeskreis, später meine erste, unbeholfen angebetete Geliebte. Dort erwachte meine Künstlerversessenheit, dort schulte ich am bedauernswerten lebenden Objekt das kritische Gehör. Als sich meine Urlaute, die zustimmenden und die missbilligenden, in der ersten Opernkritik artikulierten, hatte ich etwa 1.000 Vorstellungen in den Ohren. Für einen Kritiker war das damals Voraussetzung. Und wenn ich heute Sub-auspiciis-Absolventen in Kompositionstheorie mit dem Begleithund durch die Realitäten des Opern-und Konzertalltags irren sehe, bedaure ich, dass ihnen das Entscheidende vorenthalten wurde. An meinem ersten Abend - den folgenreichen "Meistersingern" - hatte ich noch keine Ahnung, dass ich einer opernhistorisch relevanten Besetzung teilhaftig wurde. Ich wusste nicht, wer Wolfgang Windgassen, Theo Adam, Gundula Janowitz und Horst Stein waren. Später begriff ich, dass gerade das die Einzigartigkeit des Hauses ausmacht: dass hier große Sänger von einem einzigartigen Orchester gegebenenfalls auch ohne Probe zu den Sternen getragen werden können. Im Zentrum stand hier -nicht anders geht es im Repertoiresystem -stets das Musikalische. Regisseure hatten es in Wien immer schwer, die Welten wurden immer im Orchestergraben gebaut und von faszinierenden Singschauspielern, nicht selten in szenischer Eigenverantwortung, besiedelt. Die Regiefeindlichkeit des Wiener Publikums ist sprichwörtlich, und das ist schlecht. Aber in Musikbelangen kann dem verbliebenen Fachpublikum kein Scharlatan etwas vorgaukeln, und das ist gut.

Dass dieses Fachpublikum schütter zu werden beginnt, hat mit dem Bedeutungsverlust des Stehplatzes zu tun. Mit der - verdienstvollen -Einführung der verbilligten Studentenkarten wurde dieses verschworene System gesprengt. Die vertrottelte, literatur-und musikfeindliche Schulpolitik erledigt den Rest.

Was wünsche ich nun der Staatsoper zum Geburtstag? Etwa das, was ihr designierter Direktor Bogdan Roščić verspricht. Er ist länger als ein Jahrzehnt an der Weltspitze der klassischen Tonträgerindustrie gestanden, und das merkte man gleich: Seine erste direktorale Entscheidung war das Engagement des Chefdirigenten Philippe Jordan. Seit sich Dominique Meyer und sein Musikchef Franz Welser-Möst 2014 entzweiten, fehlt es an der Exzellenz im Graben, die nun wiederhergestellt und im ersten Jahr durch Christian Thielemann und den wiederkehrenden Welser-Möst zu noch intensiverem Strahlen gebracht wird. Zugleich aber wird szenisches Untermittelmaß entsorgt und die Elite zeitgenössischer Opernregie am Haus etabliert. Ich alter Stehplatzler freue mich darauf, und ich vertraue da auch auf die Lernfähigkeit meiner Kumpel. Weil: Dumm sind wir nicht.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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