Schade, dass Anna nicht eine Million bekommt

Frohe Nachrichten in unfroher Zeit: Die "Met" in New York muss Anna Netrebko Schadenersatz leisten. Und bei den Salzburger Osterfestspielen 2024 ist sie das Zentralgestirn

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass dem nunmehrigen Intendanten der Salzburger Osterfestspiele in diesem Medium überschießende Zuwendung entgegengebracht worden wäre, wird mir niemand nachsagen können. Im Gegenteil. Der Steiermärker Nikolaus Bachler hieß noch lang Klaus, da war sein überschaubar ambitioniertes Wirken als Burgtheaterdirektor (samt verstohlener Bewerbung um die Salzburger Festspiele) schon Gegenstand folgenreicher News-Berichte.

Nach Salzburg hat er es jetzt, Jahrzehnte später, doch noch geschafft, wenn auch nur für jeweils eine Woche um Ostern. Er hat dafür unter Beschwatzung argloser Provinzwoiwoden den größten Dirigenten unserer Zeit, Christian Thielemann, aus der Stadt intrigiert. Auch das wollte ich nicht goutieren. Ob Andris Nelsons beim bevorstehenden "Tannhäuser" Thielemann substituieren kann, wird zu überprüfen sein. Auch ist es unelegant, die sechs Jahre alte Inszenierung von Romeo Castellucci aus München zu importieren, um den Sommerfestspielen ihren identitätsstiftenden Regisseur zu inflationieren.

ABER, und von jetzt an wird es ausnahmslos freundlich: Die Besetzung mit den Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Elina Garanca beweist, dass Bachler in erster Linie die Qualität und sein Publikum halten will. Nichts anderes wird nach Thielemanns fatalem Abhandenkommen zu beachten sein, will man die astronomischen Kartenpreise und die öffentlichen Zuwendungen für das einstige Privatfestival rechtfertigen.

Und unter nie versiegenden Ovationen begrüße ich die nächstjährige Ausgabe mit der selten gespielten Oper "La Gioconda". Nicht, dass ich mich nach dem aufgedonnerten Frühverismo des Italieners Ponchielli verzehrt hätte. Aber neben Jonas Kaufmann - man wird sehen, ob es von Tristan und Tannhäuser noch einen Weg zurück in dieses Repertoire gibt - verkörpert Anna Netrebko die titelgebende Straßensängerin unter dem Zugriff der Inquisition. Künstlerisches Höchstformat und ein volles Haus: Auf nichts - wirklich nichts - anderes haben sich die Ambitionen eines verantwortlich handelnden Intendanten zu richten.

»Sogar Gergiev sollte klagen. Wenn es nur den Opportunisten schadet«

Zeitgleich erreicht mich eine betörende Nachricht in dunkler Zeit: Die Metropolitan Opera in New York, die Anna Netrebko zu Kriegsbeginn aus dem Programm geworfen hat, muss ihr wegen Vertragsbruchs 200.000 Dollar nachzahlen, berechnet nach 15.000 Dollar Abendgage. Sie wollte eigentlich 400.000, und lieber wäre mir, sie bekäme eine Million. Aber mögen sich noch andere russische Künstler, denen existenzbedrohende politische Manifeste abgepresst werden, der Klage anschließen! Und möge die Niederlage den Intendanten Peter Gelb in substanzielle Bedrängnis bringen!

Gelb hat bei Ausbruch der Pandemie sein Orchester und seinen Chor mit Prekariatsfolge auf die Straße gesetzt. Möge ihnen der Vorzeigemoralist jetzt genau dorthin folgen, während viele von ihnen wieder ihren Beruf ausüben. Und möge er seinem Münchner Amtskollegen Serge Dorny auf einer öffentlichen Verkehrsfläche beider Wahl begegnen. Auch der ist einer der Opportunisten, die sich aus der Bauchlage zu Standrichtern aufgeschwungen haben. Anna Netrebko hat das Haus doch hoffentlich hart verklagt? Sogar dem (im Gegensatz zu ihr tatsächlich umgangskreativen) Dirigenten Gergiev würde ich das raten, sein Anwalt hätte da Kontinente übergreifend Jahre zu tun. Man kann das Geld gern einfrieren, wenn es zu fließen beginnt. Wenn zuvor nur der eine oder andere Opportunist in Bedrängnis gerät.

Bachler übrigens ist auch anderweitig etwas gelungen: 2025 kommen die Berliner Philharmoniker zu den Osterfestspielen zurück. Noch vor vier Jahren wäre das keine frohe Nachricht gewesen, hat sich das Orchester doch 2013 nach Serienblamagen mitsamt dem Opern-Amateur Simon Rattle dankenswert nach Baden-Baden verändert. Aber 2019 haben sich die Verhältnisse gewendet: In Berlin führt jetzt Kirill Petrenko den Stab, und der hat vor einem Jahrtausend im Graben der Volksoper gelernt, ein Großer zu sein (so wie der noch größere Thielemann in Ulm, womit sich final doch die Frage auftut, weshalb man ihn nicht gleich gehalten hat).

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