Wer oder was
ist ein Satiriker?

Einem durch Aristophanes, Nestroy und Schneyder nobilitierten Berufsstand droht die Desavouierung durch Böhmermann. Gefordert werden Mindeststandards des Witzes.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wer in diesen Tagen den Terminus "Satiriker" gebraucht, meint damit weder Aristophanes noch Tucholsky, weder Wilhelm Busch noch Werner Schneyder, sondern Böhmermann. Ich halte das für die Herabwürdigung eines ganzen Berufsstandes, denn dem Mann fehlt es an der Grundausstattung, wenn man vom beherzt gehandhabten Instrument der Unverschämtheit absieht. Dass es ihm gelungen ist, den türkischen Diktator mittels unartikulierten Gepöbels zur Strafanzeige zu provozieren, und dass sich ein deutsches Gericht samt zuständiger Kanzlerin nicht entblödet hat, diesem Wahnsinn nahezutreten: Das ist die bis dato einzige konkurrenzfähige Leistung, die ich dem lustigen Herrn attestiere. Wobei es, um Missverständnissen vorzubeugen, das Recht des ORF ist, ihn zu Wort kommen zu lassen und sich gegen austroorbanistische Angriffe entsprechend vorzusehen.

Denn mittlerweile findet er seine Klientel bevorzugt in Österreich, wo man ihn derzeit gar mit einer Ausstellung am Grazer Künstlerhaus würdigt. Wofür? Zum Beispiel für den folgenden Schwächeanfall: "Nicht nur der deutsche Geheimdienst und die Sicherheitsbehörden, nein, ganz Deutschland -ach, was sag ich, ganz Europa hält Ihren Innenminister Herbert Kickl für einen unseriösen Heiopei." Was immer ein Heiopei ist: Ich kann alles andere als ausschließen, dass es sich bei Kickl um einen solchen handelt (etwas Ähnliches raschelt ja, einem Kinderlied folgend, im Stroh, das als Einstreu für Pferde im Gebrauch ist). Nur die Wortwahl "unseriös" würde ich im gegenständlichen Fall als verharmlosend verwerfen. Aber Satire, so dachte ich, sei doch nicht nur durch ihren Gegenstand, sondern auch durch formale Mindestanforderungen definiert.

Oder wo entdecken Sie die in der Einleitung seiner Grußbotschaft an das Publikum der Romy-Zeremonie? "Sehr geehrte dumme Hurenkinder!" Ich habe schon andernorts darauf hingewiesen, komme aber gern darauf zurück: Frau Dr. Johanna Sichrovsky (1918-1997) hat nachweislich als niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Wien 17 zum Familieneinkommen beigetragen. Böhmermann verfehlt also, durchaus im Gegensatz zu manchen seiner politischen Einlassungen, was der Satire zumindest eignen müsste: den wahren Kern.

Bei solchen mittlerweile schon ikonisierten Vorbildern darf es nicht wundern, dass die Nachahmungstäter ins Kraut schießen. Rein von der satirischen Exzellenz nämlich kann ich zwischen Böhmermanns Ode an Erdoğan und der magenhebenden Hervorbringung "Die Stadtratte (Nagetier mit Kanalisationshintergrund)" des Braunauer Vizebürgermeisters wenig Unterschied ausmachen: Beide bewegen Menschen mit bescheidenstem Anspruch zum Mitnicken. Nur der eine die richtigen, der andere die falschen.

Wie aber, wenn die Unterschiede zwischen den Richtigen und den Falschen unscharf werden? Wieder und wieder verweise ich auf die Rapper Kollegah und Farid Bang: grölende Wiederbetätiger, die sich über das mangelnde Fitnessbewusstsein von Auschwitz-Opfern erheiterten und dafür fast mit dem Echo ausgezeichnet worden wären. Als reife Exponenten der Jugendkultur wurden die (zum Tatzeitpunkt 34 bzw. 32 Jahre alten) Berufsminderjährigen durch die Auschwitz-Gedenkstätte geführt, statt sich vor Gericht verantworten zu müssen. Wenig später, zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht, legte Herr Kollegah wieder nach und verglich die israelische Politik mit der Shoah.

Hat man den Kerlen darob endlich den Strom abgedreht? Mitnichten, beide machen ihre Millionen in der Youtuberszene. Obwohl der Unterschied zum Beispiel zu den grindigen Wiener Neustädter Kellersängern meines Erachtens ein bloß quantitativer ist.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at