Salzburger
Finale

Vier Premieren, die verschiedener nicht sein könnten, beschließen die Festspiele. Die Bilanz ist entsprechend zwiespältig

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Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Rambazamba und Exzellenz

Die beiden letzten Opernpremieren der Festspiele und ihre Wahrnehmung seitens der Kritik stehen exemplarisch für ein gewisses Dilemma, in das beide - Oper und Kritik -geraten sind: Die Musik beginnt, sich aus der Wahrnehmung zu verabschieden. Und so erfreute sich Offenbachs inferior musizierter und unauffällig gesungener "Orpheus in der Unterwelt" allgemeinen Wohlwollens, während Verdis aufregend dirigiertem und toll besetztem "Simon Boccanegra" allseits ein Mangel an Kurzweil attestiert wurde. Schon nach der Festspiel- Premiere von Cherubinis "Medea"(Regie: Simon Stone, wir haben berichtet) artikulierte sich das Phänomen in fast wortgleichen Einlassungen: Die Aufführung sei phänomenal, vorbehaltlich des faden Orchesters und der nicht festspielwürdigen Besetzung. Der Offenbach'sche "Orphée", dieses von Karl Kraus angebetete Königswerk der Musiksatire, laborierte an noch erheblicheren Defiziten: Unter dem von der Bregenzer Seeproduktion an die Salzach gewechselten Dirigenten Enrique Mazzola waren die Philharmoniker zur "Begleitband" ("Kurier") degradiert, und die Besetzung hätte die Volksoper auch zusammengebracht. Aber der Regisseur Barrie Kosky entfesselte ein zum Letzten entschlossenes Bourlesk-Rambazamba, handwerklich immer erstklassig, mit fein gearbeiteten Ensembles und Balletten, aber die ironische, mitreißende, sublim instrumentierte und in allen Farben funkelnde Partitur rücksichtlos niederwalzend. *D as Gegenteil widerfuhr Verdis "Simon Boccanegra".

Das Werk ist einzigartig, weil es die Schwärze des mittleren mit den dramaturgischen Erkenntnissen des späten Verdi zur Deckung bringt: Verdi hat die Oper am Ende seines Lebens einer gründlichen Bearbeitung unterzogen, und das Resultat zählt zum Aufregendsten der Musikgeschichte. Ein Friedenspolitiker scheitert da am Standesdünkel seiner Feinde und am Wankelmut des Volks, das zwischen Stimmungen und Augenblicksbefindlichkeiten hin und her torkelt. Der Regisseur Andreas Kriegenburg greift hier zu einem prägnanten Stilmittel: Die Verschwörer hängen twitternd an ihren Handys und Tablets, die ja heute für den allgemeinen Orientierungsverlust verantwortlich sind.

Ansonsten hält sich Kriegenburg verdienstvollerweise zurück, was ihm seitens der Kritik schwer verübelt wird. Auf fast leerer Bühne erschafft ein exzellentes Ensemble umso aufregendere Innenwelten. Luca Salsi ist in seiner hemdsärmeligen Dünnhäutigkeit ein erstklassiger Titelheld und René Pape sein idealer Gegenspieler. Wundersam korrespondieren die hellen Stimmen von Marina Rebeka und Charles Castronovo. Valery Gergiev hat mit den Philharmonikern angeblich kaum geprobt, aber aus dem Graben kommt das Bestmögliche an Schwärze und Intimität, Schönheit und avatgardistischer Schroffheit bis zur Dissonanz.

Konstatieren wir also ein Übergangsjahr. 2020, zum Hundertjahrejubiläum, steht anderes an: Romeo Castellucci und Teodor Currentzis, die Atouts der Ära Hinterhäuser, verantworten in ihrer ersten gemeinsamen Arbeit ein zentrales Werk Mozarts; Franz Welser-Möst und Krzystof Warlikowski sind, wie gemeldet, für Strauss' "Elektra" aufgeboten. Mariss Jansons dirigiert ein (wenn nicht das Haupt-)Werk des russischen Repertoires, Peter Sellars inszeniert Luigi Nonos "Intolleranza". Und in Michael Sturmingers bewährter Osterfestspiel-Regie wird Anna Netrebko die Tosca singen. So etwa stellt man sich Festspiele vor.

THEATER

"Liliom" im Krawall, "Die Empörten" entzücken

Das Salzburger Schauspiel hat, grundsätzlich eher die Ausnahme, in diesem Sommer bisweilen stärkere Akzente gesetzt als die Oper. Allgemein war eine schöne, ermutigende Rückbesinnung auf die Schauspielkunst zu beobachten. In diesem Sommer wurde wieder mit Herzblut und psychologischer Feinarbeit Theater gespielt und viel Obacht auf den Text gelegt. Thomas Ostermeiers fabelhafte Umsetzung der Horváth'schen "Jugend ohne Gott" und Gorkis "Sommergäste" unter Evgeny Titov wurden an dieser Stelle schon gelobt. Mit Molnárs "Liliom" auf der Perner-Insel wurde dieser Lauf allerdings unterbrochen. Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó hatte seine mangelnde Sprachkenntnis schon zuvor dahingehend bagatellisiert, dass das deutsche Theater dem Text insgesamt übertriebene Aufmerksamkeit zukommen lasse. Das Resultat entspricht der Ansage. Sinnvollerweise vertraut man in Rudimenten Polgars Übertragung des ungarischen Textes. Legitimerweise verzichtet man aber auf das Wiener Kolorit, das Polgar dem Werk implantiert hat.

Ansonsten aber ist das Gebotene weder sinnvoll noch legitim. Die Aufführung beginnt mit einer an Kafka und Sartre erinnernden Szene: Liliom hat sich schon entleibt und wird an der Himmelstür von einer Bürokratentruppe unter Einsatz eines Nacktscanners peinlich nach #Metoo verhört. Und #Metoo-kompatibel ist dieser zärtliche und abscheuliche Frauenschläger mit dem so großen wie schwarzen Herzen keineswegs. Die Truppe tritt fortan mehrfach auf und tanzt nebst anderem ein Transgender-Ballett. Diese Passagen sind flach, abgeschmackt und langweilig, zumal ihnen Molnár-Polgars magischer "himmlischer Beamter" zum Opfer fällt. Insgesamt übernehmen zusehends die Gags und Äußerlichkeiten das Kommando, wobei man es mehrheitlich mit vorverdauten Stereotypen zu tun hat. Zwei Roboterarme bauen die Bühne um, das Ensemble platscht nahezu geschlossen in den unvermeidlichen Pool, und zentrale Szenen werden sinnlos ins nicht mehr erträgliche Video-Format gerückt. Den Mitwirkenden bleibt da wenig Spielraum, obwohl Maja Schönes Julie und Oda Thormeyers Frau Muskat das Protagonistenformat haben, das dem tapferen Titelhelden Jörg Pohl eine Spur mangelt.

Das präzise Gegenteil verkörpert Theresia Walsers grenzboulevardeske Politgroteske "Die Empörten". Ein toller Text gelangt da zur Uraufführung, hoch pointiert, ironisch zugeschliffen und von einem an Bernhard geschulten Weltpessimismus: Die Bürgermeisterin eines Voralpenkaffs muss im Vorwahltrubel auch noch die Leiche ihres kleinen Bruders entsorgen, der mit dem Auto in eine Passantengruppe gerast ist und dabei "Allahu akbar" gerufen haben soll. Zum Glück ist er noch nicht identifiziert -also wohin mit ihm bis zur Wahl? Das Frappante an dem Stück ist, dass hier niemand der Gute ist: nicht die schwarzgrüne Willkommensgutfrau (herrlich gespielt von Caroline Peters), nicht ihr Jammerlappen von Bruder (Sven Prietz), schon gar nicht die Gegenkandidatin, ein AfD-Monster mit APO-Hintergrund (Silke Bodenbender), nicht André Jungs grandios opportunistische Amtstratskreatur, und auch nicht die Kopftuch tragende Hinterbliebene des Opfers, die gegen "Balkangesindel" aufreibt. Burkhard Kosminski hat mit bester Textarbeit und präziser Personenführung inszeniert. Zum Berliner Theatertreffen kommt man so nicht, aber für das hat sich schon der "Liliom" qualifiziert.

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