Salut für einen
großen Österreicher

Der österreichische Schriftsteller und Humanist Michael Köhlmeier wurde 70 Jahre alt. Er ist ein großer politischer Aufklärer - wichtiger aber ist sein Rang als Dichter

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass die Protuberanzen des Nobelpreises für Peter Handke den 70. Gerburtstag des großen österreichischen Schriftstellers Michael Köhlmeier überglänzt haben, kann den Jubilar nicht kränken, im Gegenteil. Er freue sich aus ganzem Herzen, ließ er den Kollegen wissen. Denn Michael Köhlmeier ist etwas noch Rareres als ein großer Schriftsteller: ein großer Schriftsteller mit einem großen Herzen nämlich, ein edler, feiner, geduldiger und liebenswerter Mensch. Der aber dennoch die Posaune von Jericho zu handhaben versteht, wenn es nötig ist. Und im Mai 2019 in der Wiener Hofburg, die dem Nationalrat während der Sanierung des Parlamentsgebäudes Quartier gewährt: Da war es nötig.

Denn da wusste man noch nichts von den ibizenkischen Ereignissen, und die FPÖ schien für das Land ein dauerhaftes Schicksal zu sein. Nationalratspräsident Sobotka (ÖVP) hatte Köhlmeier für die Gedenkansprache zum Tag gegen Gewalt und Rassismus eingeladen. Doch der Redner konnte Erwartungen an seine Konzilianz und seine geschliffenen Umgangsformen nicht erfüllen. "Sehr geehrte Damen und Herren, erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle", begann er. Und dass sich schon seinerzeit manche gebrüstet hätten, Fluchtrouten geschlossen zu haben. Historischer Analphabetismus verführte dazu, Köhlmeier zu bezichtigen, er habe Sebastian Kurz als Nazi qualifiziert. Aber deren Ziel war ein weit Schlimmeres, als Fluchtrouten zu schließen. Köhlmeier meinte die europäischen Länder, vor allem die seiner Vorarlberger Heimat benachbarte Schweiz, die Verfolgte ins Konzentrationslager zurückschickte und unermessliche Schuld auf sich lud.


Elfriede Jelinek, die erste österreichische Literaturnobelpreisträgerin, übermittelt dem Kollegen auf Anfrage Liebesvolles: "Seinen Vortrag zum Gedenktag gegen Rassismus und Gewalt letzten Mai fand ich großartig. Ich kenne jüngere und junge Leute, die ihn seit diesem Tag verehren. Es ist ja sehr selten, daß man bei kritischen Autoren auch die wie soll ich sagen Güte, grundlegende Menschenfreundlichkeit herausspüren kann (bei mir leider nicht). Er hat das Kunststück geschafft, ein positives Leitbild zu sein, auch wenn er sehr kritisch ist. Keine Ahnung, wie er das macht. Er muß so ein Mensch sein." Wie wahr. Und wie bezeichnend, dass Elfriede Jelinek mit Köhlmeier und dem literarischen Achttausenderbezwinger Karl Ove Knausgård Handke ihre Bewunderung übermittelte. Eine wahre Elite setzt sich da von Konjunkturdichtern und Feuilletondenunzianten ab. Denn Köhlmeier ist zur Karawanenbildung unbegabt. Großartig auch, wie er die Nachtreter gegen Philippa Strache maßregelte, die jetzt meinen, mittels Auspeitschung einer dekorativen Nicht-Gestalt der FPÖ die Generalabsolution verschaffen zu können.

Kann das sein, dass ich über meiner Begeisterung für den Menschen, auch den Homo politicus, das Wichtigste vernachlässigt habe? Eine markante Größe der einschlägig reichen österreichischen Literaturgeschichte? Sein Werk ist unüberblickbar reich. Aber unter dem mir Bekannten findet sich kein Satz, den sein Autor in qualitativer Hinsicht zurückzunehmen hätte. Gestatten Sie mir im Schnelllauf ein paar Empfehlungen zur Lektüre? Den verstörend aktionslosen, unblutigen Psychothriller "Dein Zimmer für mich allein" würde ich nicht versäumen, auch nicht den Schelmenroman "Die Abenteuer des Joel Spazierer", den rätselvollen Künstlerroman "Idylle mit ertrinkendem Hund" und die jüdische Familiengeschichte "Bruder und Schwester Lenobel". Und klar liebe ich ihn für den Wiederaufbau des zivilisatorischen Gesamtzustandes durch seine literarischen Nacherzählungen der mythologischen Weltliteratur, noch sublimer in der Geistesbruderschaft mit Konrad Paul Liessmann. Ich gratuliere in Bewunderung.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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