Der gefragte Regisseur
Matthias Hartmann

Aus dem deutschen Sprachraum ist der frühere Burg-Direktor abgemeldet. Aber in Mailand und Florenz verantwortet er Opern-Premieren mit den großen Dirigenten, die es angeblich nicht mehr gibt

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass mir zuletzt immer öfter der ehemalige Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann einfällt, möchte ich nicht als Zufall bezeichnen, denn seine Amtszeit war eine besonders glückliche. Sein Vorgänger Klaus Bachler hatte sich schon vor der Zeit nach München davongemacht. Nebst einer Finanzgebarung, die noch kürzlich den Rechnungshof beschäftigte, hinterließ Bachler in erster Linie das als Spielplan kostümierte Götz-Zitat. Hartmann trat 2009 an, und seine Direktion zeichnete sich durch glänzend besuchte Vorstellungen und enorme schauspielerische Qualität aus. Dass uns seither die Gigantengeneration um Gert Voss, Ignaz Kirchner und Johann Adam Oest verlassen hat, ist der Lauf der Welt. Aber Nicholas Ofczarek war noch nicht für Serien dauerkarenziert, und weder Joachim Meyerhoff noch Caroline Peters dachten daran, sich nach Berlin zu verändern. Hartmann war außerdem ein erstklassiger, publikumssicherer Regisseur: An seine "Phèdre" und seinen "Lumpazivagabundus", die von den koproduzierenden Festspielen für mehrere Jahre ins Burgtheater-Repertoire gingen, musste ich in diesem blamablen Salzburger Theatersommer oft denken.

Dann verlor der sonst tadellos agierende Kunstminister Josef Ostermayer über einem Malversations-Skandal die Nerven, und der Direktor, der noch Lasten des Vorgängers schleppte, war weg. Mittlerweile wurde er gerichtlich von allen Vorwürfen exkulpiert: Um der sich über Jahre aufbauenden Katastrophe gewahr zu werden, hätte sein Durchblick den einer führenden Wirtschaftsprüfungskanzlei übertreffen müssen. Die pure Selbstverständlichkeit wäre es somit gewesen, ihn als Regisseur zu verpflichten, um ihm ein Weniges des erlittenen Unrechts auszugleichen. Sollte man meinen. Aber Hartmann hatte sich Feinde gemacht. Außerdem war er kein Mitglied des mafiosen Zirkels um das Magazin "Theater heute" und das Berliner Theatertreffen, die mit ihren realitätsverlorenen Stildiktaten die Zuschauerräume entvölkern. Und so war der vortreffliche Regisseur Matthias Hartmann nach Abarbeitung schon vereinbarter Verträge plötzlich verschwunden.

Allerdings nur aus der minimundialen Perspektive des deutschen Sprachraums. Womit ich endlich beim Anlass dieser Kolumne bin. Denn ein Blick in das Fachportal Operabase enthüllt für die anbrechende Saison Erstaunliches: So das Virus nicht anders entscheidet, verantwortet Hartmann bis Juni drei Inszenierungen an führenden Opernhäusern Italiens! In Florenz, unter der Intendanz Alexander Pereiras, kommt am 23. Dezember "Fidelio" heraus. Die Besetzung mit der neuen Bayreuther Lichtgestalt Lise Davidsen und Tomasz Konieczny als Pizarro verspricht ein Ereignis. Am 23. Februar folgt an der von Dominique Meyer geleiteten Mailänder Scala "Pique Dame" mit Asmik Grigorian. Und am 7. Juni beschließt Hartmann die Saison wieder in Florenz mit "Ariadne auf Naxos". Vielleicht wundern Sie sich in Kenntnis meiner Prioritäten, dass ich die Dirigenten nicht genannt habe. Das war allerdings kein Versehen. Vielmehr verkörpern die Maestri die Pointe des Ganzen. Wird denn nicht anhaltend darüber lamentiert, dass es fast keine großen Operndirigenten mehr gibt? Aber "Fidelio" verantwortet Zubin Mehta, "Pique Dame" Valery Gergiev und "Ariadne" Daniele Gatti.

Vor allem Letztgenannter steht im Rang des Exempels: Weil er im Aufzug eine Oboistin begehrlich angeblickt haben soll, wurde er in Amsterdam als Chef gefeuert. Tatsächlich hatte man nach Meinungsverschiedenheiten bloß einen Vorwand gesucht, um ihn loszuwerden. Aber Gatti war in einflussreichen Kreisen abgemeldet. Dafür ist er jetzt anerkannter Musikdirektor in Rom, und die Florentiner "Ariadne", die er mit seinem Schicksalszwilling Hartmann vorbereitet, würde ich mir für viele Häuser wünschen.

Pereira wollte übrigens auch den großen, nach unjudizierten Vorwürfen geächteten Dirigenten James Levine nach Florenz engagieren. Levines Tod vereitelte das vorbildliche Projekt. Vorbildlich? Ja, denn Künstlerisches von Persönlichem zu trennen, ist die Voraussetzung für Qualität, um die es einzig zu gehen hat. Das wäre auch den gegen Handke pöbelnden Krawallbrüdern zu kommunizieren. Und kein Salzburger Empörungsgschaftlhuber soll sich unterstehen, Karajan seinen Platz oder Böhm seinen Saal wegzunehmen. Kürzlich wurde gar öffentlich Daniel Barenboims Qualifikation als Festspieldirigent angezweifelt. Sie werden nicht glauben, weshalb: Er hat nach einem Konzert einen Hornisten des West-Eastern Divan Orchestra scharf angeredet. Nun muss man wissen, dass Barenboim für das humanistische Projekt israelische und arabische Musiker zusammengeführt hat, wobei nicht jeder Beteiligte Weltformat verkörpert. Also: Weg mit Barenboim, zurück mit den Musikern in die Autonomiegebiete, wo man einander bekanntlich ausnahmslos höflich und zuvorkommend begegnet.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at