Minderheiten und Demokratie

Der Weltregisseur Peter Konwitschny wurde von der Nürnberger Oper gefeuert. Sie werden nicht glauben, weshalb. Auch unglaublich: In der "Josefstadt" rebelliert man gegen Peymann

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wissen Sie, wer Peter Konwitschny ist? Wenn Sie, wie unsereins, die Oper zum Atmen brauchen, dann sicher: Der Sohn des Dirigenten Franz Konwitschny ist ein wahrer, kein elaborierter Erneuerer der Opernregie, und das seit den späten Achtzigerjahren. Vielleicht haben Sie seinen französischsprachigen "Don Carlos" an der Staatsoper geschätzt, vielleicht sind Sie über ihn vor Zorn außer sich geraten. Aber Konwitschny, der seine szenische Kompetenz aus dem musikalischen Grundverständnis bezieht, ist jedenfalls ein Weltregisseur. Jens-Daniel Herzog hingegen ist Nürnberg und hat das, obwohl damals noch gar nicht als Intendant in die fränkische Provinz verpflichtet, schon vor zehn Jahren mit einer intellektuell eher ökonomisch ausgestatteten Festspiel-"Zauberflöte" in Salzburg beglaubigt. Vorher war er schon Mannheim und Dortmund, also ebenfalls nichts Gutes.

Und jetzt hat Jens-Daniel Herzog Peter Konwitschny gefeuert. Aus Nürnberg, Tage vor einer "Troubadour"-Premiere. Konwitschny, so las man, habe während der Proben "unangemessene und diskriminierende" Äußerungen getätigt. Wer sich, Böses ahnend, gefragt hat, was da vorgefallen sein mag, wurde in unserer vorwöchigen Ausgabe durch Claus Peymann aufgeklärt: Konwitschny wollte einer Chorsängerin eine Situation glaubhaft machen und forderte sie auf, sich vorzustellen, ein Löwe spränge sie aus einem Gebüsch an. Unglücklicherweise ist die Dame schwarz und wähnte sich rassistisch beleidigt.

Nun ist mir, woran Sie nicht zweifeln werden, nichts gleichgültiger als die Hautfarbe eines Menschen. Ich verweise allerdings auch auf den nicht bei der politischen Rechten ansässigen Philosophen Liessmann, der mir in einem Interview folgendes zu bedenken gegeben hat: "Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass Minderheiten geschützt werden, dass sie jenseits der Lebensformen der Mehrheit ihre Vorstellungen verwirklichen können, sofern sie nicht mit den Grundgesetzen in Konflikt geraten. Aber es ist auch das Grundprinzip der Demokratie, dass in den entscheidenden politischen Fragen Mehrheiten entscheiden. Daran soll man nicht rütteln. Sonst könnte man gleich zur Aristokratie oder zur Diktatur von Eliten zurückkehren." Mit anderen Worten ist es dringend an der Zeit, dem sich in vorauseilender Korrektheit beglaubigenden Vandalismus gegen Kunstwerke und ihre Interpreten Einhalt zu gebieten. George Tabori, der von den Nazis durch die Diaspora getrieben wurde, hat am Akademietheater den großen "Othello" des späten 20. Jahrhunderts gefertigt. Gert Voss, dem zu Anbruch der Peymann'schen Morgendämmerung am Burgtheater Nazis die Autoreifen zerstachen, müsste das desolate Vehikel heute wieder in der Garage verschließen: Sein Othello war schwarz geschminkt, aber sein Gesicht wurde, allen Künsten der Maskenbildnerei trotzend, im Liebesspiel immer weißer und das der engelschönen Julia Stemberger immer schwärzer. Bis sie in den Stürmen der Leidenschaft eins geworden waren und die Hautfarbe nichts mehr bedeutete. Unbeabsichtigt, so wie Alexander Fleming das Penicillin in einer verunreinigten Petrischale isolieren konnte, ist Tabori da ein humanes Leuchten der Kulturgeschichte unterlaufen.

Im nämlichen Interview gab Peymann zu verstehen, wie gern er an der "Josefstadt" weiterarbeiten würde. Dass er dort zuletzt tätig wurde, ist für das Haus mehr als eine Ehre: Seine Arbeiten trotzen auch als fast einzige dem unvermutet existenzbedrohenden Publikumsschwund. Es gibt aber Vorbehalte, auch seitens des technischen Personals, weil sich Peymann während der Proben unwirsch verhalten habe. Das ist, pardon, ein starkes Stück. Die "Josefstadt" wird politischerseits belauert, seit sich Direktor Föttinger mit der Posaune von Jericho gegen die kunstund bildungsferne Darbietung der Regierung zu Beginn der Pandemie verwahrt hat. Als Totschläger gegen Föttinger dient dessen couragierte Weigerung, die Kurzarbeit in Anspruch zu nehmen, weil sie die Technik ins Prekariat befördert hätte. Wer nun, im Augenblick der Bedrängnis, gegen einen der letzten riesenformatigen Quotenbringer schmollen zu müssen meint, soll eventuell mit der zart besaiteten Nürnberger Chordame einen Gesangsverein gründen.

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