Die Lehren aus einer tollen "Götterdämmerung"

Die Staatsopern-Direktion Roscic steht vor der Verlängerung, alles andere wäre Unfug. Ein sehr beachtlicher Wagner-"Ring" belegte den tadellosen Zustand des Hauses, warf aber auch Fragen auf

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wenn mir in den kurzen Wochen des Luftholens zwischen den sinnlosen Theaterschließungen jemand mit Gejammere über die Maskenpflicht kam, habe ich immer das Nämliche erwidert: Fünf Stunden "Götterdämmerung" mit Maske sind sicher eine Zumutung. Aber gar keine "Götterdämmerung" ist eine Katastrophe. Ich habe dabei den vierten Abend des Wagner'schen "Ring"-Zyklus mit Bedacht gewählt, denn dieses Werk nimmt innerhalb meiner Opernversessenheit nochmals besonderen Rang ein. Es ergeht mir da wie meiner großen Tochter, die am Donnerstag der Vorwoche Seite an Seite mit mir auf der Sesselkante gefiebert hat. Ein sehr guter "Ring" (das "Rheingold" musste ich allerdings versäumen) nahm da ein furioses Ende. Nun würde ich Sie nicht mit einer Opernkritik behelligen, könnte man vom "Ring" nicht präzise den Gesamtbefund des Hauses hochrechnen.

Speziell in Anbetracht der Tatsache, dass Bogdan Roscic' Vertrag vor der (dringend zu befürwortenden) Verlängerung stehen dürfte, verdient dieser "Ring" Obacht. Lassen Sie mich beim Gesanglichen beginnen. Jörg Schneiders sehr guter Mime, Szilvia Vörös' erstklassige Waltraute, die Rheintöchter, die Nornen, die acht Walküren, der Waldvogel: alles heikel, alles tadellos aus dem Ensemble, sogar mehrfach aus dem neuen Opernstudio besetzt. Hier wurde offenbar beste Aufbauarbeit geleistet. Auch Fricka, Gunther und Gutrune kamen anhörbar aus dem Haus. So, wie es sein soll.

Die großen, tragenden Partien besetzte man aus dem schmalen Fundus internationaler Wagner-Stimmen (Albert Dohmens Hagen wollen wir als Option durchlassen). Ich kann mich da auf einige beschränken, zunächst auf den Wotan John Lundgrens, der Rätsel aufgab. Im leicht zu bewältigenden "Rheingold" angeblich miserabel, legte er in der mörderisch fordernden "Walküre" Glänzendes vor, ehe er erkrankungshalber aufgeben musste. Ein schlanker Bariton mit herrischem Vibrato, ein nobler, ausdrucksstarker Gestalter wie einst Thomas Stewart: Von diesem Unterschätzten möchte man mehr hören. Von ähnlicher Art ist der neue Siegfried Michael Weinius: kein Brüller, sondern Inhaber einer mittelgroßen, ökonomisch eingesetzten Stimme mit vielen Farben, dazu ein kluger, selbstironischer Gestalter.

Die erste von drei zentralen Erkenntnissen des Abends kommt aber von Nina Stemme, der unerreichbaren Brünnhilde. Was hat sich die Direktion Roscic mit tapferen Sentas und Elektras, zuletzt einer besorgniserregenden Isolde abgemüht! Merke: Das Beste bleibt das Beste, auch wenn es nicht neu ist. Eigensinn beim Besetzen muss sehr gut argumentiert sein.

Die zweite Erkenntnis betrifft Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung aus dem Jahr 2008: Dieser seinerzeit unterschätzte "Ring" ist klug auf die inneren Anweisungen der Partitur konzentriert. Im Repertoirebetrieb muss der szenische Bereich, den Roscic konsequent und verdienstvoll entwickelt, vor allem durch problemlose Anwendbarkeit beglaubigt sein. Das hat uns die Pandemie mit ihren Umbesetzungsapokalypsen gelehrt. Wenn Bechtolfs Inszenierung demnächst an ihr Lebensende gelangt, sollte diese Entscheidung sehr schlüssig belegt oder revidiert werden.

Womit ich mich ans Herz jeden Opernabends vorgearbeitet habe, zum Orchester und seinem Dirigenten. Niemand, so beglaubigte dieser aufwühlende, in aller Raffinesse und Farbenpracht monumentale Abend, spielt das heute den Philharmonikern nach. Zentral verantwortlich dafür war der Düsseldorfer Generalmusikdirektor Axel Kober, ein hoch inspirierter, das Orchester mitreißender Handwerker wie meinerzeit der große Horst Stein. Diese "Götterdämmerung" war das Beste, was die Direktion Roscic bisher an Wagner-Dirigaten zu bieten hatte. Das ist nicht unbedingt ein Kompliment, haben wir hier doch erst kürzlich eine orchestral ordentliche "Parsifal"- und eine einschlägig sedierende "Tristan"-Premiere unter der Leitung des Musikdirektors zur Kenntnis genommen. Wohlgemerkt: Ungeachtet gewisser Widerstände aus dem Orchester muss man froh sein, Philippe Jordan für die Funktion gewonnen zu haben. Ihm sind auch zwei hervorragende Mozart-Dirigate gutzuschreiben. Aber das gesamte Chef-Repertoire in einer Hand zu konzentrieren, ist keine gute Entscheidung. Nobles Teilen wäre hier angesagt. Jemanden wie Kober näher ans Haus zu binden und sich für die Sternstunden des bald verfügbareren Thielemann zu versichern, würde den Musikdirektor Jordan sowohl ehren als auch für seine Kernkompetenzen entlasten.

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