Die Kunst ist stärker als der Untergang

Die Salzburger Festspiele wurden mit Bartók und Orff triumphal eröffnet. Die Premiere beglaubigt die Leuchtturmfunktion der Kunst, derer sich die Politik bewusst sein muss

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Als der Intendant Markus Hinterhäuser die Eröffnungspremiere dieser Festspiele disponiert hat, war der Untergang noch ein Allerweltsmotiv der Opern- und Theaterliteratur. Gern von seiner barmherzigen Schwester, der Erlösung, begleitet, ließ er sich im Bedarfsfall zudem mit wenig Aufwand zum Spiritus Rector ganzer Symposien und Veranstaltungsserien befördern. Realiter allerdings fristete er in unseren Breiten bloß ein mit wenigen Pflichten verbundenes Dasein als Durchhalteparole beobachtungsbedürftiger Endzeitsonderlinge und Ehrenvorsitzender verdienstvoller Umwelt-NGOs.

Drei Jahre später kommt der Untergang mit dem Walten kaum nach, und der Bundespräsident auf Wahlkampftour wird nicht müde, ihn in sein Unterstützungskomitee zu reklamieren. Im Präsidententross reist mittlerweile unerbeten ein kaum zehn Personen hohes, aber mit Pfeifen und Vuvuzelas ohrenfolternd hochgerüstetes Trüppchen Abgehängter. Erst von Eferding nach Bregenz, zuletzt weiter nach Salzburg, wo sie zur Eröffnungszeremonie und zur abendlichen Premiere außer sich gerieten, sowie sich ein tatsächlicher oder vermeintlicher Politiker vor dem Festspielhaus sehen ließ.

Wogegen es geht, wissen sie selbst nicht, angeblich gegen das Impfen, aber im Grund wohl gegen das Lebenselend an sich. Wohlmeinende Ohrenzeugen glauben "Hochverräter", Pessimisten "Volksverräter" gehört zu haben, und der Anblick des armen Buben, der sich auf mütterliches Geheiß vor dem Festspielhaus die Seele aus dem Leib geschrien hat, konnte einem das Herz abdrücken.

Drinnen aber hat die Kunst triumphal ihre Hoheit behauptet, und das ist keine zynische, sondern eine zuinnerst Hoffnung gebende Feststellung. Die Kunst hat schon in Zeiten geblüht, gegen die sämtliche gegenwärtigen Misslichkeiten fußnotengroße Eskapaden der Geschichte sein werden. Nun trifft die Salzburger Eröffnungspremiere unter schätzenswertem Verzicht auf Aktualisierungplatitüden mit therapeutischer Präzision mitten ins Zentrum der obwaltenden Ängste. Man wäre nur erleichtert, könnte man sich darauf verlassen, dass unsere außer Tritt geratene Politik die Kunst nicht wieder zur Bagatellmaterie erklärt, wenn aus den zehn Schreiern wieder zehntausend werden (wie zuletzt zu Spitzenzeiten der Corona-Proteste).

Denn die Kunst hat die Funktion eines Leuchtturms. Als die Welt während der ersten Corona-Welle in Depression zu versinken drohte, hat man in Salzburg gespielt, und es wurde im Land ein wenig heller.

Lassen Sie mich also dankbar von der Kunst sprechen, von Bartóks "Blaubart" und Carl Orffs Kantate "De temporum fine comoedia", die Karajan 1974 in Salzburg uraufgeführt hat. Dass die beiden überhaupt kombinierbar wären, schien schwer vorstellbar: hier der dunkel glühende, symbolistisch-psychologische Kammerthriller um eine junge Frau, die einem Serienmörder verfällt; dort das monumentale Mysterienspiel, vielfach in lateinischer und altgriechischer Sprache nach frühchristlichen Texten, also aus der Wendezeit zwischen heidnischer und christlicher Barbarei. Eine 30 Mann starke Schlagwerkgruppe lässt die Prophezeiungen des Mystikers Origenes mit der Gewalt eines Hammerwerks an den Grundfesten der Welt detonieren, das finale, die Erlösung symbolisierende Bratschensextett ist der einzige Beitrag der Streicher.

Hinterhäusers identitätsstiftende Festspielkünstler, der Dirigent Teodor Currentzis und der Regisseur Romeo Castellucci, haben hier wieder glückhaft zueinander gefunden, und Castellucci schlägt den Bogen über die beiden so gegensätzlichen Werke: Beide sind besessen vom Dunkel, vom Untergang und der Erlösung. Castelluccis Judith ist eine Frau, die offenbar ihr Kind verloren hat und auf Blaubarts Burg den Tod sucht. Nichts vermag die Schwärze dieses Gedankens zu erhellen. Auf finsterer Bühne, zwischen lodernden Flammengarben, erfüllt sich die Tragödie im Inneren einer Frauenseele. Ausrine Stundyte ist die exzeptionelle Protagonistin, Mika Kares an ihrer Seite beeindruckt ungemein.

Nach der Pause vertraut Castellucci einem streng choreografierten Opferritual, das gleichwohl an Eindringlichkeit nichts vermissen lässt. Die Solisten und der MusicAeterna-Chor sind furios, das Herz des Gelingens aber ist das bravouröse Mahler-Jugendorchester unter Currentzis, der sich, gegen die gehässigen Diagnosen mancher Neider, auch als Handwerker von Rang bewährt. Darüber hinaus aber ist er ein großer, auratischer, inspirierender Musiker. Sehr viele dieser Qualität findet man heute nicht mehr.

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