Kunst ist nicht Luxus,
sondern Menschenrecht

Die Salzburger Festspiele haben mit Glanz eröffnet, während fast alle resignieren zu müssen meinten. Das hat Neid aus der Nachbarschaft mobilisiert - man sollte ihn als Privileg nehmen.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Nach der eröffnenden "Elektra"- Premiere war das, als sich das Publikum nach langem Jubel diszipliniert und maskiert ins Freie begeben hatte. Markus Hinterhäuser schaute mit ein paar Freunden auf ein Glas ins nahe "Triangel", denn Premierenfeiern gibt es heuer keine. Und während des ganzen, kurzen Wegs, dann vor und in dem Lokal, applaudierten die Besucher dem Intendanten, der seine Festspiele gegen die Gepflogenheiten der ganzen Welt aufgesperrt und zwei Opernpremieren denkwürdigen Formats programmiert hat.

Sitzt man einmal -maskiert bis zum Heben des ersten Vorhangs und allein zwischen zwei leeren Sesseln -auf seinem Platz, begreift man, wie irrational der Umgang mit Kunst in der Krise ist. In Flugzeugen drängen sich unmaskierte Fremde auf unreduzierten Plätzen, in Gaststätten und auf Demonstrationen führt man feuchtsprühend Konversation. Aber ein stumm und konzentriert in eine Richtung blickendes Publikum soll eine Gefahr darstellen? Jeder Anwesende ist namentlich bekannt und hat sich beim Eingang ausgewiesen. Selbst wenn es zu einem Infekt käme, bestünde die Konsequenz darin, dass mutmaßlich zehn Personen aufgefordert würden, ihren Gesundheitszustand zu beobachten. Couragiert hochgerechnet, erscheinen mir auch die Abstände im Zuschauerraum in absehbarer Zeit überflüssig.

Interessant ist, welches Ausmaß an Groll diese Festspiele seitens auswärtiger Politiker und Kommentatoren auf sich ziehen. In Bayreuth hat man, bedingt auch durch die Erkrankung der Intendantin, frühzeitig abgesagt und nicht einmal ein Behelfsprogramm ins Auge gefasst. Während nun deutsche Festspielbesucher glücklich dem Salzburger Intendanten applaudieren, stänkert ein bayrischer Provinzminister in die Nachbarschaft herüber und nennt das Wagnis "sportlich". Das passt schon: Wer Mozart, Strauss und Handke für sportliche Disziplinen hält, sollte sich mit der gottlob verflossenen Staatssekretärin Lunacek zum Training verabreden (so nannte sie die Bühnenproben). Aber die Kunst in Ruhe lassen.

Bemerkenswert giftig trotz widerwilliger Anerkennung des Gebotenen reagiert auch die deutsche Kritik. Ja, Pech, in Bayreuth hat man nichts zusammengebracht. Aber glücklicherweise gibt es zumindest in Salzburg und Niederösterreich (wo Grafenegg mit aller Pracht eröffnet) Politiker, die wissen, was es mit der Kunst auf sich hat. Und die auch finanzielle Mehrbelastungen auf sich nehmen, um das Menschenrecht auf Kunst zu sichern. Negatives Gegenbeispiel in Österreich sind die mit einer riesigen Seebühne privilegierten Bregenzer Festspiele, in deren Namen ein Präsident Metzler, ein Wirtschaftstreibender, über Medien wissen ließ, dass er abgesagt habe.

Die Salzburger Festspiele, die nicht abgesagt haben, entstanden auf den Trümmern der Monarchie. Künstler errichteten ein neues Weltreich, eines der Kunst, und sogar 1945, inmitten der Verwüstungen nach der Befreiung von der Nazi- Pest, wurde gespielt. Helga Rabl-Stadler mit ihrem Löwenherzen und Markus Hinterhäuser mit seiner Feinfühigkeit und Hochkompetenz kann nur stehend applaudiert werden.

Für den Nachsatz ist mir im Grund der Platz zu schade, wo es doch so viel Ermutigendes zu berichten gibt. Aber tatsächlich fällt auf, dass ein bestimmter Typus des freiberuflichen Kritikers, der seine Meinungen an diverse Medien veräußert, in der Krise offenbar an Existenz und Nerven beschädigt wurde. So wurde mir durch Zufall bekannt, dass mich einer übel beflegelt hat, weil ihm ein Interview mit dem Dirigenten Christian Thielemann nicht zu Gesicht stand. Auch Thielemann selbst wurde angepöbelt. Der mir bis dahin namentlich unbekannte Mann tritt derzeit als Mitverfasser des neuen Buchs von Franz Welser-Möst in Erscheinung. Was wiederum die Frage aufwirft, ob Kritiker, die aus ihrer Verbindung mit Künstlern unmittelbaren finanziellen Nutzen ziehen, nicht im Sinne sauberer Gebarung den Beruf wechseln sollten.