Die Künstliche Intelligenz ist nicht unbezwinglich

Mittlerweile fürchten sich auch Kreative wie (angeblich) wir Journalisten vor der KI. Wir schaffen das, möchte ich da eine entzauberte Dame zitieren. Wir müssen nur auf die einzigartigen Benefizien der Sprache vertrauen

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Das haben wir uns hübsch vorgegaukelt! Uns, den Kreativen, den Schriftstellern und den Journalisten, werde die Künstliche Intelligenz nichts anhaben können, dachten wir. Und jetzt? Erwischt es uns genauso wie die Computerfritzen, denen wir schadenfroh zusehen wollten, wie sie sich Schritt für Schritt aus der Weltgeschichte programmieren. So lese und höre ich zumindest ständig. Aber ich glaube es nicht, und meine Zweifel schlagen in viele Richtungen aus.

Erstens: Was heißt "uns"? Einen Journalisten, selbst einen avancierten, mit einem Schriftsteller in dieselbe Branche zu verfrachten: Das ist, als wollte sich ein größenwahnsinniger Möbeltischler parasitär bei einem Bildhauer einnisten. Wobei ich, andererseits, für eine Sitzgarnitur von Kolo Moser manches bildnerische Lebenswerk zweiter Ordnung hergäbe. So einfach ist es also nicht, und in der Tat ist jedes Wort des rasenden Reporters Egon Erwin Kisch einem Regal Hera Lind vorzuziehen. Da ließen sich freilich mittels KI minutenschnell Bibliothekswände hochziehen. Ein ungefährer Handlungsgang, optional mit Alter, Beruf und Gut-Böse-Befund der Hauptpersonen, und im Verfahren der Fertigteilbelletristik entstünden die Nebenfiguren gleich mit. Aber einen Satz von Shakespeare, Kleist oder Handke zu erschaffen: Da stünde der Blechtrottel vor seinem Waterloo wie kürzlich, als ihm befohlen wurde, die Zehnte Symphonie Beethovens auszuführen, und er sich in einem nicht versiegenden Schwall musikalischer Banalitäten übergab.

Oder, um bei meinem Metier zu verbleiben: ein Interview von André Müller, der die scheuesten Zeitgenossen hypnotisch nötigte, ihr Innerstes nach außen zu kehren und sich lustvoll der öffentlichen Schmach auszuliefern? Nun ist nicht jeder von uns ein André Müller und seine Klientel nur einem winzigen Spitzengrüppchen zugänglich. Und in der Tat könnten Interviews mit österreichischen Würdenträgern vielfach ohne Qualitätsminderung der Künstlichen Intelligenz übertragen werden (und das nicht erst seit dem durch Kurz und Fleischmann initiierten Innovationsschub). Ein Fertigteil wird da fugenlos in den nächsten einrasten, und selbst das Argument der Exklusivität schlägt nicht mehr: Der Befragte muss der Künstlichen Intelligenz nur ein Detail zurufen, das er den Mitbewerbern des gerade bemusterten Mediums vorenthält, und alle Beteiligten können einen hübschen Zitierer verbuchen. Nur die Langfassung wird niemand lesen wollen. Wenn Sprache zum bloßen Verständigungs- und Mitteilungsinstrument degeneriert, wie die Sozialen Medien es auf den Weg gebracht haben: Dann sind wir als Journalisten überflüssig.

Womit ich den erlösenden Begriff erreicht zu haben glaube: Die Sprache ist es und die verzweifelte Notwendigkeit ihrer Auferstehung aus den Katakomben des Berufs. Den Leser spielerisch zu betören und auch den Gesprächspartner in das Spiel zu ziehen: Das ist unsere Chance. Denn einen Sachverhalt darzustellen, auf dem Gesamtletztstand des auf der Welt publizierten Wissens und Scheinwissens: Da werden wir die KI nicht mehr einholen. Sie wird sogar unstatthafte Worte durch statthafte ersetzen und das Resultat mit sinnverlorenen Doppelpunkten, Sternen und Unterstrichen bemustern (wenigstens die Pfählung mit dem großen I ist fast außer Gebrauch). Aber genau dieses Resultat kann sich künftig jeder selbst aufrufen. Dafür braucht uns keiner.

Rechtschreib-, Grammatik- und Interpunktionsfehler wird uns die Künstliche Intelligenz nicht genehmigen. Aber das ist für uns Journalisten keine erlösende Nachricht: Wer seine Sprache nicht von innen versteht, dem hilft kein Korrektor. Wer - heute Routine - das Pronomen "das" nicht von der Konjunktion "dass" unterscheiden kann: Der wird auch nach der Korrektur daran scheitern, auf dem Boden des Hauptsatzes stehend den Nebensatz samt seinen Folgerungen und Zumutungen geschmeidig von der Sehne schnellen zu lassen.

Wer das Geschenk des "scharfen s" (ß), das wir den Schweizern voraushaben, nicht zu schätzen weiß, dem fehlt es am Wichtigsten, dem Auge und dem Ohr für die Sprache. Der kann die Galaxie zwischen der österreichischen Lieblingsinvektive "Geh scheißen" und dem deutschen Pendant "Verpiss dich" nicht einmal mit dem Hubble-Teleskop erkennen: hier sanfte Niedertracht, dort der Tritt mit dem Stiefel. Es wird, mit anderen Worten, Zeit, sich wieder der Ironie zu entsinnen, des ungreifbaren Zwischentons, der Trottel in den "Foren" zur Weißglut bringt; ebenso der beherzten Grenzüberschreitung (wie ich Manfred Deix vermisse!) und des kalkulierten Übergriffs. Gegen die Diktatur der politischen Korrektheit, die in ihrer empörungsgeilen Lynchbereitschaft Synonym eines aggressiven Analphabetismus wurde. So gesehen vergönne ich dem Presserat die geforderte Etaterhöhung zwar von Herzen. Würde aber dennoch anregen, einen Teil der Summe in den Wiedererwerb der Techniken des Unstatthaften zu investieren. Wenn es nur nicht zu spät ist.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte:
sichrovsky.heinz@news.at