Kündigungswelle an der "Burg"

Mit der neuen Direktion bleibt kein Stein auf dem anderen. Dem Haus droht Beschädigung

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Die Debütvorstellungen der neuen Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler verdienen ein von Herzen kommendes "Chapeau!". Haben sich doch in den drei Wochen seit ihrem Amtsantritt zwei Katastrophenpersonalien ihres Vorgängers verabschiedet: erst (angeblich freiwillig) der Direktor der Kunsthalle, Nicolaus Schafhausen, jetzt (eindeutig unfreiwillig) der Intendant der Wiener Festwochen, Tomas Zierhofer-Kin. Das lenkt den Blick auf einen hierzulande lang nicht wahrgenommenen Paradigmenwechsel: Ein Kulturpolitiker ist zur Einmischung nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, wenn einer Institution aus seinem Verantwortungsbereich Schaden droht. Das beginnt sich zögerlich herumzusprechen, seit in Berlin der Direktor der Volksbühne, Chris Dercon, im Gefolge ruinöser Amtsgebarung nach wenigen Monaten verabschiedet wurde.

Nun ist der designierte Burgtheaterdirektor Martin Kušej mit dem fachinkompetenten belgischen Museumsdirektor Dercon nicht zu vergleichen: Kušej ist einer der bedeutendsten österreichischen Regisseure und hat auch in seiner Eigenschaft als Intendant des Münchner Residenztheaters zumindest erkennbaren Erfolg vorzuweisen.

Allerdings verwandelt Kušej in diesen Tagen alle Befürchtungen um seine Person in Tatsachen: Wie vor drei Wochen an dieser Stelle gemeldet, lässt er das Ensemble bis Monatsende in Tagesschichten antreten, um viele -zu viele -zu verabschieden. Die Zahl ist noch nicht abzusehen. Doch was schon jetzt feststeht, ist bedrohlich genug. Einige wenige identitätsstiftende und publikumsmagnetische Schauspieler sind auf Grund ihrer langen Zugehörigkeit unkündbar. Doch im jungen Ensemble bleibt kein Stein auf dem anderen, und es trifft auch andere.

Ich werde niemanden, der es nicht selbst wünscht, mit Namen preisgeben. Aber dass hier schon jetzt schwerer Schaden gestiftet wird, darf angemerkt werden: Drei der kostbaren (ohnehin schon mit dem Mikroskop zu suchenden) österreichischen Schauspielerinnen aus zwei Generationen wurden von ihrem Abgang mit Ende der nächsten Saison unterrichtet; eine namhafte Zuwanderin, in der sich Anmut und komödiantische Riesenkräfte vereinen; eine junge deutsche Kollegin, die das Ensemble seit einigen Jahren überglänzt; eine Protagonistin, die das Haus im schweren Heroinenfach repräsentiert wie wenige andere.

Dazu kommt Kušejs Ankündigung, keine Auswärtsverpflichtungen seiner Schauspieler mehr dulden zu wollen. Ob sich Größen wie Michael Maertens oder Joachim Meyerhoff da für Wien entscheiden werden, ist abzuwarten. Auch ist zu beobachten, ob Kušej Zerwürfnisse, die er während seiner Münchner Intendanz mit heute an der "Burg" tätigen Größen entwickelt hat, ins neue Amt zu tragen gedenkt. Spätestens dann - aber besser schon früher -sollte die Politik unternehmen, was die Vorgängerregierung im Verlauf des überhasteten Ernennungsprozesses versäumt hat: nämlich diese Vorgänge zu unterbinden.

Gewiss, Kušej wird aus München erstklassige Schauspieler mitbringen. Aber wie es geht, wenn man ein ganzes, vertrautes Ensemble gegen ein anderes, unvertrautes austauscht: Das kann man derzeit am Wiener Volkstheater beobachten.

Auch hier geht es in diesen Tagen um Weichenstellungen. Aber wenn die Direktorin Anna Badora die Massenkündigung bei der Konkurrenz rasch zu nutzen verstünde, könnte für sie eventuell noch alles gut ausgehen. Wogegen nichts einzuwenden wäre.