Das verlorene
Geheimnis des Theaters

Die Theaterkunst verliert ihre Pretiosen. Nach Elfriede Ott sind nun Peter Matić und Brigitte Swoboda zu betrauern. Sie waren einzigartig, weil sie den "Ton" hatten.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Ist es noch zulässig, sich um den "Ton" zu sorgen? Oder gibt man sich damit als theatraler Paläolithiker dem Spott preis ?Der "Ton" ist die Übereinkunft gleichgesinnter Schauspieler, mittels Sprache eine bestimmte, unverwechselbare Atmosphäre herzustellen. Mit der Herkunft der Beteiligten hat das nicht viel zu tun: Den von vielen geliebten, von anderen verlachten Burgtheater-Ton zum Beispiel haben durchgängig 60 Prozent Österreicher und 40 Prozent Deutsche hergestellt (manchmal war es auch umgekehrt, ohne dass der "Ton" durch Heinz Moog, Heinz Reincke oder Michael Heltau beschädigt worden wäre, ganz im Gegenteil). Er war Standard von Schiller bis Ionesco, und Schnitzler, Raimund oder Nestroy wären ohne ihn gar nicht aufführbar gewesen. Mit Claus Peymann und seinen Wunderschauspielern kam 1986 eine neue Farbe dazu, und gegen alle polemischen Prognosen gewann der "Ton" noch an Schönheit und Eigenart.

Der Nestroy-Ton war allerdings anderswo zu Hause. Nicht an der "Burg", da laborierte er an der unwiderstehlich harmlosen Liebenswürdigkeit des Publikumsmagneten Josef Meinrad. Schon gar nicht an der "Josefstadt", wo er über die Nachkriegsjahrzehnte zur kakanischen Sprachkarikatur degeneriert war. Wer Nestroy sehen wollte, wie er ist, scharf und klar, der Sprache und der Menschenskepsis verpflichtet: Der musste ins Volkstheater gehen. Womit ich mich endlich dem einen Anlass dieser Kolumne nähere, einem prägenden Erlebnis meiner Kindheit an der Seite meiner Mutter, hoch oben auf den billigen Abo-Plätzen des riesengroßen, weiß und golden schimmernden Hauses. Helmut Qualtinger war der Titus Feuerfuchs im "Talisman": ein panischer Lebensverlierer, der sein Gewissen im tiefsten Keller eingeschlossen hat, um als Betrüger und Heiratsschwindler Karriere zu machen. An seiner Seite ist mir eine sehr junge Debütantin unvergesslich geblieben, eine raue, proletarische Salome Pockerl, unbeeinflussbar in ihrer Solidarität, zu Tränen rührend in ihrem Verzeihen. Brigitte Swoboda und ich sind, viel später und für eine kurze Zeit, etwas wie Freunde geworden. Bewundert habe ich sie immer. Für sie schienen Dario Fo, Peter Turrini, Heinz Unger und Felix Mitterer das neue, politische Volkstheater erfunden zu haben. Für sie hatte Wolfgang Bauer, dessen herausragende Interpretin sie wurde, der Jugendkultur seine unheimlichen Befunde ausgestellt. Und als der geniale Ernst Hinterberger das politische Volkstheater ins Fernsehen übertrug, da war es ein Glück, dass es sie gab. Sonst wäre der "Kaisermühlen Blues" nicht geworden, was er wurde, nämlich eine Pretiose der Genregeschichte.

Brigitte Swoboda hatte sich zum Zeitpunkt ihres Todes schon lang von der Bühne zurückgezogen. Aber am Burgtheater haben noch ein paar jener wundersamen Originale überwintert, um die einst Peymann seine Vorgänger herzerweichend beneidete. Was hätte das erneuerte deutschsprachige Theater mit Kurt Sowinetz oder Hugo Gottschlich noch alles wagen können! Zum Glück gab es Peter Matić, der ein Theaterkonservativer war und dem trotzdem kein Abenteuer zu groß sein konnte, wenn es nicht den Beruf pervertierte. Die Pension, in die er sich mit dem Antreten der neuen Direktion verabschieden wollte, war ihm nicht ungelegen gekommen. Aber wie man ihn vermissen wird! Er war der Herr des "Tons", er formte Welten aus Sprache, und selbst wer unglücklich genug ist, ihn nur als Synchronsprecher gekannt zu haben, wurde von ihm beschenkt. Am Ende wurde er immer zarter und durchsichtiger. Zuletzt sah ich ihn, als Karin Bergmann hochverdient zum Ehrenmitglied des Burgtheaters ernannt wurde. Wir haben einander nachher beim Bühnentürl zugewinkt, und dann verschwand er wie ein Lächeln.

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