Und abermals lamentiert die "Gastro"

2.000 Geimpfte bzw. Genesene, alle mit PCR-Test, in der Staatsoper. Aber das Haus wurde zugesperrt wie das Land. Trügt mein Verdacht, dass die Machtdemonstration der SPÖ und der Grünen den Koalitionswechsel andeutet?

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Die vorwöchige Ausgabe war noch nicht ausgeliefert, da hatten sich meine Befürchtungen schon in Tatsachen verwandelt. Fast alles zu, nur die Schilifte und die Waffenhandlungen nicht. Alle theoretisch in Klausur, aber praktisch alle unterwegs, und das theoretisch illegal. Legal machten sich nur 40.000 Stück Nazis und Kräuterweiblein aller drei Geschlechtsvarianten auf die Plateausohlen (damit niemand sie durch die Kanaldeckel impft). Und während der Gesundheitsminister im Fernsehen mit dem Europa-Pokal für Immunisierte wedelt, geht erwartungsgemäß die sich eben erst zögernd belebende Impfbereitschaft gleich wieder zurück: So albern es von Kurz war, Geimpften das Ende der Pandemie vorzugaukeln, so sinnesverwirrt ist es jetzt, ihnen zu vermitteln, dass ohnedies alles eins ist.

Ich wage mich damit, zugegeben, weit aus dem Gehege für Kulturverliebte und möchte Sie deshalb zwischendurch zur Erholung gern über die Gestaltung meines vergangenen Sonntagabends informieren. Ich war mit meiner jüngeren Tochter in der Staatsoper beim "Fliegenden Holländer". Larmoyanz angesichts der sich anbahnenden Prognostizierbarkeiten wollte keine walten, sondern alle (drei phantastische Einspringer inbegriffen) sangen und musizierten wie ums Leben. Insbesondere der erkrankungshalber schwer reduzierte dreiteilige Chor, den man mit Externisten in Betriebsbereitschaft versetzt hatte. So arbeitet die Firma Roscic, die idealtypisch mein eigenes Lebensmotto bestätigt: Es gibt nichts, was nicht geht. Ich weiß nur nicht, ob ich es zusammenbringe.

Das Haus war voll. Viele junge Leute, die nachher vor Begeisterung außer sich gerieten, ersetzten auf Einladung der Direktion die Touristen. Sie saßen für 20 Euro auf den besten Plätzen, und eine geglücktere Investition wurde im Theaterbereich seit der verpflichtenden Anbringung von Feuerlöschgeräten nicht getätigt.

Das für unser Thema Entscheidende aber war: Jeder der mehr als 2.000 Anwesenden war in den bekannten Varianten mehrfachgeimpft beziehungsweise genesen. Jeder hatte noch vor Betreten des Hauses zudem einen gültigen PCR-Test vorgewiesen, viele trugen Masken. Ihnen aus Solidarität mit Nazis und Kräuterweiblein das Haus zuzusperren, ist unzumutbar. Zumal ich Wetten entgegennehme, dass das Lamentieren um die "Gastro" (vielleicht verständigen wir uns bald auf die Bekämpfung des pandemischen Sprachkretinismus) wieder kein Ende nehmen wird. Dass aber die politische Obsorge um die wieder zusammenbrechende Kunst nicht hemmungslos ins Kraut schießen dürfte. Deshalb, mit der bald zwei Jahre lang erprobten Unmissverständlichkeit: Die Theater sind frühestmöglich (am besten vor den Gasthäusern) unter den zuvor genannten Bedingungen zu öffnen. Sperrstunde um 22 Uhr, wie erwogen wurde? Durchführbar. Masken auf dem Platz? Zumutbar.

Überhaupt, die Sache mit der Solidarität. Haben nicht erst im vergangenen Frühjahr drei Bundesländer einen endlosen Ost-"Lockdown" erduldet, während uns aus Vorarlberg Bilder fröhlicher Restaurantbesucher zugemittelt wurden? Und haben sich die pandemischen Ereignisse damals nicht auch ohne bundesweite Lähmung so erfreulich entwickelt, dass es im Sommer nur einer professionell agierenden Regierung bedurft hätte, und wir stünden anders da?

Mit Absicht nehme ich übrigens nicht nur den jetzt alleinschuldiggesprochenen Messias, nach dessen Auferstehung kein Hahn dreimal kräht, in die Verantwortung. Das schändliche Dilettieren der Gesundheitsbehörde unter der Aufsicht des schon zweiten überforderten Amtsinhabers verantwortet nicht Kurz. Der übrigens während der ersten Welle tadellos agiert hat, bis ihn sein mittlerweile aktenkundiges Faible für Umfragen in gegenseitige Fundamentalopposition zum kurzfristig beliebteren Anschober versetzt hat.

Und als die SPÖ-Politikerin Mireille Ngosso im Juni 2020, da behutsame Vornormalität hätte angebahnt werden müssen, 50.000 Menschen für die Black-Lives-Matter-Bewegung auf die Straße holte, war der Zweck zwar edel, das Mittel aber ein Skandal.

Was jetzt nicht mehr zählen darf, ist Parteitaktik. Als zuletzt die roten Landeshauptleute (auch der noch Minuten zuvor konträr argumentierende Doskozil) mit dem grünen Gesundheitsminister die Komplettsperre erzwangen, statt nach Schallenberg-Wunsch die Ungeimpften zu zermürben: Da dämmerte mir auf, dass man den Kanzler möglicherweise als Vorleistung für die Neuwahl samt folgendem Koalitionswechsel anrennen ließ. Das hatten wir allerdings schon, und es hat sich nicht bewährt.

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