Fünfzehn Stunden
Glück in der Oper

Ein toller Staatsopern-"Ring" in Begleitung meiner Tochter: Misstrauen Sie den Lehrplänen - Wagner ist wichtiger als Tablets und Meinungsreden

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Würden Sie mir eventuell gestatten, einmal persönlich und sentimental zu werden (ohnehin mit der Option auf pädagogische Allgemeingültigkeit, bitteschön)? Es ist nämlich so, dass meine ältere Tochter - ein zufriedener Opern-Profi seit ihren Kindergartenjahren - während der vergangenen beiden Wochen in Begleitung ihres glücksbeschwipsten Vaters ihren ersten "Ring" gesehen hat; korrekt bezeichnet: "Der Ring des Nibelungen", von Richard Wagner vierteilig in der ungefähren Netto-Aufführungslänge von 15 Stunden verfasst und an der Staatsoper denkwürdig zur Aufführung befördert. Zuvorderst war dies Verdienst der Wiener Philharmoniker und des Dirigenten Axel Kober, der ohne eine einzige Orchesterprobe vier rasante, gewaltige und doch in allen Farben und Raffinessen schillernde Opernvorstellungen herstellen konnte. Diese Personalunion aus Routine und Inspiration wurde früher abwertend - und wird heute bewundernd - Kapellmeister genannt. Und welch ein Orchester (die desorientierte Horngruppe ausgenommen) haben wir da, das solch einen Achttausender der Kulturgeschichte quasi mit Wanderschuhen bezwingt!

Am Ende der "Götterdämmerung" war meine Tochter noch für zweieinhalb Stunden 16 Jahre alt und vom Gesehenen überwältigt. Nicht ohne am nächsten Tag wieder ihren Bloggern und Youtubern zu folgen, wohlgemerkt, womit ich zur Erkenntnis gelange: Dumm sind immer nur diejenigen, die junge Menschen für dumm halten und vorauseilend jene Verblödungsmaßnahmen anbahnen, die dann alle Vorurteile beglaubigen.

Exemplarisch erleben wir das an den Lehrplänen, die den Kulturunterricht quasi liquidiert haben: Die unselige Zentralmatura hat die De-facto-Abschaffung der Beschäftigung mit Literatur zur Folge. Hypnotisiert starrt man auf die zur Reifeprüfung geforderten "Textsorten", unter ihnen Lebenszentralitäten wie das Verfassen von Leserbriefen und das Schwingen von Meinungsreden (woraus man schließen muss, dass hier Biertischpolitiker mit der Aufstiegsoption zum Wirtshausraufer herangebildet werden sollen). Folgerichtig wurden auch Volksschullehrer auf dem Verordnungsweg von der Verpflichtung zum Erlernen eines Musikinstruments entbunden. Dafür hat Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SP und unseligen Andenkens) die Zwangsbemusterung Zehnjähriger mit Tablets auf jenen Weg befördert, den nunmehr die Nachfolgeregierung zu gehen freudig entschlossen ist. Womit die mittelfristige Abschaffung des Buchs und die Multiplikation der Analphabetenrate quasi Gesetzeskraft erlangen.

Jetzt werde ich schon wieder persönlich: Mein erster "Ring" im Jänner 1969 hat meinem Leben die Richtung gegeben. Tage nach meinem 14. Geburtstag hatte es mich zu den "Meistersingern" auf den Stehplatz verschlagen. Mit dem C-Dur-Akkord am Beginn des Vorspiels war es um mich geschehen, und der wenig später angesetzte "Ring" hat das glückhafte Verhängnis zur Unumkehrbarkeit verfestigt. Auf dem Stehplatz habe ich meinen ersten wirklichen Freundeskreis und später meine erste Freundin gefunden. Beim Bühnentürl hat sich meine Liebe zu Künstlern zur Leidenschaft entwickelt. Ich habe im Gymnasium nichts mehr gelernt, weil ich nach der Schule zum Anstellen gehastet und erst gegen Mitternacht nach Hause gekommen bin. Meine Lehrer in der Wasagasse waren großmütig, meine Eltern verzweifelt. So wie schon zuvor, als ich das Hauptfach Altgriechisch gewählt habe. Wer braucht einen mit 1.000 Opernvorstellungen verstopften Kopf, dazu eine Sprache, die niemand spricht? Fast niemand. Aber für mich war es perfekt. Also: Schicken Sie Ihre Kinder bei nächster Gelegenheit in den "Ring". Sollten sie dafür den Perfektionskurs für Meinungsredner schwänzen - schreiben Sie ihnen eine Entschuldigung.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at