Der späte Fall
des James Levine

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Der führende amerikanische Dirigent James Levine, 74 Jahre alt und im Gefolge eines Parkinson-Leidens an der Metropolitan Opera in New York nur noch Gast, wurde dort aus sämtlichen Verpflichtungen entlassen und ging aller Ehrentitel verlustig. Diese Konsequenz wäre noch vor einem Jahr unvorstellbar gewesen, wurde aber mit Beginn der Metoo-Debatte zusehends erwartbarer. Die Wiener Philharmoniker etwa legten die Zusammenarbeit schon vor Jahrzehnten still, und die Motive mögen nicht nur künstlerischer Art gewesen sein: Die Gerüchte um Übergriffe Levines auf männliche Minderjährige wurden zusehends konkreter. Anders als in der soeben gerichtlich unterbundenen Debatte um den Dirigenten Gustav Kuhn, der Opfer einer Diffamierungskampagne wurde, gab es hier also Anlass zum Eingreifen. Nun ist Levine aus der Sicht Kundiger kein so stilbildender Musiker, dass man auf sein Wirken nicht verzichten könnte. Aber auch andere, Maßgeblichere, wurden schuldig. Karajan und Karl Böhm konnten ihre im Nazi-Reich blühenden Karrieren nach 1945 unbehindert in lichte Höhen führen, und sie haben der Interpretationsgeschichte Wesentliches hinzugefügt. Die Lehre? Karajans, Böhms, auch Levines künstlerischer Nachlass hat mit außerkünstlerischen Verfehlungen nichts zu tun und muss daher unbehelligt bleiben. Aber dass sich der Umgang mit Verantwortung künftig ändert: Dafür immerhin ist Metoo zu danken.

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