Elfriede Jelinek wird Ehrenbürgerin ...

... und noch ein paar Kleinigkeiten: Die Debatte um die Schließung von Kulturinstitutionen bricht wieder an. Man hört von einer neuen Option: Auch Geimpfte brauchen zum Zutritt einen Test

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Zugesperrt wird wohl nicht mehr. Ich höre das sogar von den umsichtigsten Entscheidungsträgern, und ich hoffe es inständig. Nicht in erster, aber auch nicht in letzter Linie, weil ich mich und Sie ein Jahr lang mit dem so bornierten wie widersinnigen Verfahren der politisch Unverantwortlichen bemüht habe: Liftkabinen und Baumärkte mit Menschen zu verstopfen, aber die lückenlosen und kostspieligen Präventionskonzepte der Theater zu ignorieren.

Die Gesundheitsagentur AGES hat übrigens die Zahlen für den August veröffentlicht: 38,4 Prozent der furchterregend in die Höhe schießenden Infektionen danken wir dem kriminellen Pfusch an den Grenzen. Für nicht wahrnehmbare 0,7 Prozent hingegen sind die Kulturinstitutionen verantwortlich. Sie werden in dieser Hinsicht nur noch vom Gesundheitsbereich mit 0,6 Prozent unterboten (was ich mir auch ausgebeten haben möchte). Der infizierte Besucher der Salzburger "Jedermann"-Premiere blieb übrigens unter 76.500 aus 39 Nationen ein Einzelfall. Er war geimpft, hat niemanden angesteckt, und seine Infektion wäre unentdeckt geblieben, hätte er nicht bald nach der Premiere bedauerlicherweise einen Herzinfarkt erlitten und wäre routinemäßig auf das Corona-Virus untersucht worden.

Zusperren wird also nicht mehr möglich sein, und das gilt auch für Kinos, Gasthäuser und Hotels. Aber aussperren schon. Dass, von sehr seriös argumentierten medizinischen Indikationen abgesehen, bis auf weiteres nur zweifach Geimpfte bzw. Genesene mit einer Impfung ins Theater dürfen: Das erscheint mir so nachvollziehbar wie die Maskenpflicht. Denn, ich habe es mehrfach zu bedenken gegeben: Fünfeinhalb FFP2-orchestrierte Stunden "Götterdämmerung" sind zweifellos unangenehm. Aber gar keine "Götterdämmerung" ist eine Katastrophe.

Es darf auch nicht infrage kommen, wieder die Zuschauerzahl zu begrenzen. Den Theatern Vollbetrieb zu ermöglichen und ihnen damit die Möglichkeit der Kurzarbeit zu nehmen, sie aber gleichzeitig daran zu hindern, Geld zu verdienen: Das entspräche dem obwaltenden Widersinn, der uns umgekehrt zu Sommerbeginn das Unheil klaffend offener Grenzen und aufgehobener Maskenpflicht gebracht hat, als der Kanzler den sich anbahnenden juristischen Problemen ein Paket Populismus entgegensetzen wollte. Da aber auch Geimpfte in seltenen Fällen infektiös sein können, höre ich nun von einer sich vielleicht anbahnenden weiteren Maßnahme, die ich nicht für unzumutbar halte: Ins Theater darf, wer geimpft ist und sich trotzdem einem Test unterzieht. Das ist, zugegeben, lästig. Aber wir Kulturverliebten werden das, von der Libido gezwickt und gebrannt, schon durchstehen.

Was ich Ihnen als zweites, im Grund aber erstes Thema mitzuteilen habe, ist hingegen von ausnahmslos lustvoller Beschaffenheit: Elfriede Jelinek wird Ehrenbürgerin der Stadt Wien, und die Ehre ist ausnahmslos unsererseits. Zwar jubelte die Jelinek-skeptische Publizistik einst eher verhalten in der Regionalausgabe: "Nobelpreis für Oststeirerin." Andererseits aber ließ die Wienerin Elfriede Jelinek daraufhin sinngemäß wissen: So wie nicht jeder, der geboren wurde, deshalb auch lebt, bin auch ich keine Steirerin, nur weil ich zufällig in Mürzzuschlag geboren wurde. Der Zufall hat mit der Besatzungssituation im Geburtsjahr 1946 zu tun, welche die Eltern aus der russischen Zone ins Steirische ausweichen ließ. Aber schicksalhaft und Schauplatz der Literaturgeschichte wurde das Elternhaus in Hütteldorf samt weiträumiger, 23 Bezirke großer Umgebung. Hier studierte sie Orgel und Komposition, woraus sich die betörende, irritierende, emotionalisierende Musikalität ihres Schreibens erklärt. Hier erlitt sie mentale Niederlagen und künstlerische Triumphe. Hier affichierte Jörg Haider sein historisches Hetzplakat "Lieben Sie Scholten, Jelinek (...) Peymann oder Kunst und Kultur?", auf das sich viele namhafte Künstler heute gern intervenieren würden.

Das Gebrüll, das vom Rapid-Stadion über dem Elternhaus zusammenschlug, hat die Gewaltchöre im "Sportstück" auf den Weg gebracht (weshalb ich ihr, Schelm, der ich bin, zum Geburtstag einen Original-Klappsitz aus der Stadion-Ruine geschenkt habe). Jetzt wird ihr in dieser wahren, offenen, von keinen Ignoranten zusperrbaren Kulturstadt eine der höchsten Ehren ausgehändigt. "Ja, Wien ist meine Stadt. Meine einzige, trotz München", befördert sie auf meinen Glückwunsch den deutschen Nebenwohnsitz ins Oststeirische. Und ich freue mich fürchterlich.

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