Bruno Ganz hält
uns weiter in Atem ...

... und das ist gut so. Nach seinem Tod wird wieder der herausragende Bühnenschauspieler seiner Zeit gesucht. Für den Iffland-Ring könnte eventuell mit Jens Harzer zu rechnen sein

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wie eine Entmaterialisierung sei das gewesen, eine Auflösung mitten im Schaffen, berichten Menschen, die im vergangenen Sommer an der sich anbahnenden Tragödie um den Schauspieler Bruno Ganz teilhaben mussten. Der kuriose Erzähler, den ihm die Regie in eine neue "Zauberflöte" der Salzburger Festspiele geschrieben hatte, war gelernt, die Proben erreichten die spielentscheidende Phase, da bestanden die Menschen in seiner Umgebung darauf, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Im Krankenhaus fand man nichts. Dann verlor er in unheimlichem Tempo an Gewicht, und als der Krebs diagnostiziert war und ihm die Ärzte das Weiterspielen verboten, ging auch schon die üble Nachrede um, er habe sich aus einer prognostizierbaren Niederlage davongemacht. Das aber war nicht die Art des großen, integren Schauspielers Bruno Ganz. Er machte die Erkrankung öffentlich und verzichtete auf Operationen. Seine Pläne und Absichten verfolgte er bis zuletzt.

Ob er der größte deutschsprachige Bühnenschauspieler seiner Generation war? Das mögen Leute beantworten, die sich mit "Deutschland sucht den Superstar" sozialisieren. Der Idealfall eines Schauspielers war er jedenfalls. Er erschloss sich seine Gestalten mit dem analytischen Blick von außen, um sich dann rückstandslos in sie zu verwandeln, ohne hinter ihnen zu verschwinden. Davor bewahrte ihn die sanfte Riesengewalt seiner Persönlichkeit, das raumverdrängend Leise, das Wunder seiner Sprache. Intellekt und Emotion gingen bei ihm eine aufregende Synthese ein.

Wie die Theaterwelt doch anders geworden ist, seit er 1996 den Iffland-Ring nach Josef Meinrad übernahm! Die Zeit, in der er Theatergeschichte geschrieben hatte, war da schon fast vorbei, eher hatte er sich als eminenter Filmschauspieler positioniert. Das Wenige, das noch auf der Bühne kam, konnte auch schmerzlich enden wie anno 2003, als die "Burg" ein nach allen Gesetzen der Theaterlogik epochales Ereignis disponieren wollte: "Ödipus auf Kolonos" war das, das Abschiedswerk des greisen Sophokles, von Peter Handke für den Anlass übersetzt, von Klaus Michael Grüber inszeniert und von Anselm Kiefer ausgestattet. Aber die Riesenpersönlichkeit des Protagonisten blieb in den breitwandhaften Sand- und Staubstürmen bloß konturhaft erahnbar, dem späten Debüt folgte am Burgtheater nichts mehr. Als er den Iffland-Ring übernahm, stand die Gigantengeneration, mit der er anno Peter Stein an der Berliner Schaubühne das Gesicht des Theaters verändert hatte, noch in der Spätblüte. Heute sind Otto Sander und Peter Fitz verschwunden, auch Gert Voss, dem er - klar - den Ring vererben wollte, Ignaz Kirchner, Ulrich Mühe, Helmuth Lohner, Will Quadflieg.

Dass jetzt das wunderbar aufregende Spiel der Mutmaßungen über den Nachfolger beginnt, ist eine schöne posthume Reverenz an den Erblasser. Meine Wette habe ich nach Recherchen früh platziert. Jens Harzer schätzte er über die Maßen, wohl als eine Art Reinkarnation seiner - Ganz' - eigenen Kardinaltugenden: Magie der Sprache, künstlerische Ernsthaftigkeit und Integrität zu Zeiten, da bejammernswerte Seminaristen dazu angehalten sind, sich mit arrogantem Gewitzel über Text und Rolle zu erheben, tunlichst mit Mikroport und in Feinripp, nicht ohne mindestens einmal pro Abend mit dem Gemächt zu wedeln. Ansonsten? Joachim Meyerhoff, Nicholas Ofczarek, Udo Samel, Michael Maertens, Lars Eidinger, Tobias Moretti, Philipp Hochmair? Peter Simonischek aus der Abenteuerzeit an der Schaubühne? Oder ist Bruno Ganz doch bei den Mythen fündig geworden, bei Brandauer, Schenk, Matić, Degen? So groß kann die Krise des Theaters nicht sein, wenn solche Leute gegen den Zeitgeist halten.

(Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 8/19)

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Update: Jens Harzer erhält den Iffland-Ring

Der deutsche Schauspieler Jens Harzer (47), Ensemblemitglied am Thalia Theater Hamburg und wiederholt bei den Salzburger Festspielen zu sehen, ist der neue Träger des Iffland-Rings. Er wurde von Bruno Ganz, dem Mitte Februar verstorbenen bisher letzten Träger dieser Auszeichnung, als sein Nachfolger als "würdigster" Schauspieler des deutschen Sprachraums bestimmt.

Das gab Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) am Freitag in einer Aussendung bekannt. Der Ring wird von Träger zu Träger vermacht.