Ein Aufruf an das
AMS von Wanne-Eickel!

Entschlossen unterwirft unsere Kulturpolitik das Land einem Avantgardebegriff, der schon vor zehn Jahren zart gemüachtelt hat. Jetzt ist hoffentlich nicht die "Josefstadt" dran

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Vor wenigen Wochen erst habe ich Sie an dieser Stelle mit meiner Besorgnis über den aktuellen Befund der österreichischen Kulturpolitik behelligt. Dass ich es schon wieder tue, weist - Sie haben es erraten - auf anstehende Verschärfungen hin. Wie ernst die Situation ist, besiegelt die Botschaft bedeutendster Schriftsteller des Landes zur Bestellung des neuen ORF-Direktors. Sie richtete sich nicht gegen Roland Weißmann, wie sollte sie auch? Man wird den neuen Grande Organiste des hiesigen Medienwesens aufmerksam, aber mit Fairness beobachten. Aber dass in keinem der Bewerbungskonzepte das Wort "Kultur" Platz fand, hat schon die Autorenvereinigung irritiert. Und nun richten sich Elfriede Jelinek, Robert Menasse, Michael Köhlmeier, Monika Helfer, Doron Rabinovici und Robert Schindel per Facebook - an wen, um ihm angesichts des Bestellungsvorgangs die noch verbliebenen Achtungsrudimente abzuerkennen? An den Kunstvizekanzler Kogler von den Grünen, die nach Hainburg unter maßgeblicher Künstlerbeteiligung gegründet wurden. Größere, demonstrativere Ignoranz als das ressortzuständige Ministerium legte seit Ausbruch der Pandemie diesbezüglich nicht einmal die FPÖ offen, wobei die Staatssekretärin am wenigsten dafür zu tadeln ist, dass sie nichts zu reden hat.

Dass man die Theater im Herbst wieder hirnlos zusperrt, ist hoffentlich auszuschließen. Wer geimpft ist, soll seinem Nebengeimpften meinethalben auf dem Schoß sitzen, das dürfte sich selbst bei amtsinhabenden Harthörigen herumzusprechen beginnen. Aber nun offenbaren sich die pandemischen Finessen im Besonderen für die Bühnen. Ideal war die Lage für solche, die halblaut maulend den Betrieb eingestellt und ihre gigantischen Personalkosten über die Kurzarbeit dem Staat aufgebrummt haben. Mancher, der seit langem gegen schlechte Auslastung kämpfte, hat sich im vergangenen Jahr auf diese Weise den Betrieb saniert.

Die "Josefstadt" hingegen war immer zum Bersten voll und ihr Direktor Herbert Föttinger der Erste, der mit der Donnerbüchse gegen die Schließung aufrieb. Dabei hat er sich in eine Kundgebung des Zorns und des Stolzes verrannt und auf staatliche Notzuwendungen verzichtet: Sein Haus sei betriebsbereit und produziere weiter, sagte er, als er zu meinem Erstaunen die Möglichkeit der Kurzarbeit nicht in Anspruch nahm. Jetzt ist das Haus in unbekannter Millionenhöhe verschuldet und muss saniert werden. Man könnte einwenden, das Geld wäre so oder so vom Staat gekommen. Aber dass mit den Schulden der "Josefstadt" nun das ohnehin dürre Kulturbudget belastet werden muss, hat in der Branche wenig Beifall gefunden. Föttinger selbst erklärte kürzlich, seinen Vertrag nicht über 2025 hinaus verlängern zu wollen.

Womit wir beim Eigentlichen sind. Die "Josefstadt" nämlich ist nicht nur das aktivste Uraufführungstheater der Republik, in dem Turrini, Mitterer oder Kehlmann die Heimat gefunden haben. Sie ist auch die letzte große Bühne Wiens, die sich der tödlich langweiligen Uniformierung des Spielstils widersetzt. Will ein junger Mensch, der (wie meine Tochter) das Theater liebt und Literaturwissenschaft studiert, einfach ein Stück von Shakespeare, Goethe oder Tschechow und nicht die Emissionen übergeschnappter Wanne-Eickeler Provinzdramaturgien sehen, ist er in der "Josefstadt" richtig. Das kann sich schnell ändern, wenn wir uns die Besetzungspolitik der (auch diesfalls entscheidungsmächtigen) Wiener Kulturverwaltung vergegenwärtigen. Hier nämlich regiert eine einzig dem persönlichen Geschmack der Amtsinhaberin und ihrer Entourage verpflichtete Uniformität, die Sorgen bereitet. Ein sachte verjährender, schon zart ranziger Avantgardebegriff hat das Kommando übernommen. Die Festwochen unterscheiden sich nicht mehr erkennbar von den Tanzwochen, und unter Hinweis auf die vermehrte Förderungswürdigkeit des Tanzes wurde auch die freie Opernszene quasi ins Prekariat juriert. Länger schon überlege ich deshalb, ob die städtische Kunstbürokratie von der Amtsinhaberin abwärts ihrem Bewegungsdrang nicht besser in der Tanzschule Elmayer nachgäbe. Das generalsanierte Volkstheater, das über mehrere qualifizierte Bewerber hinweg aus Dortmund besetzt wurde, hat im Juni zehn Tage lang wenig Ermutigendes vorgewiesen. Im Herbst wird nach zwei Jahren Sperre wiedereröffnet, aber statt bis zur Erschöpfung zu trommeln, hat man den September-Spielplan erst am 13. August überhaupt ins Netz gestellt! Im Jüdischen Museum passt die erfolgreiche Direktorin Danielle Spera nicht mehr. Vermutbar orientiert man sich am Erfolgsmodell der grotesk neubesetzten und seither aus der Wahrnehmung getilgten Kunsthalle. Dank gemeinsamer Anstrengungen von Bund und Stadt werden sich zudem auch das Theater an der Wien und die Volksoper künftig maximal qualitativ von der Staatsoper unterscheiden. Da wird sich doch, zum Donnerwetter noch einmal, beim AMS Wanne-Eickel auch für die "Josefstadt" jemand finden lassen.

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