Auch schlechte Hymnen verdienen Schutz!

Kennen Sie die niederösterreichische Landeshymne? Jetzt schon, denn sie soll mit drei Kolleginnen "gecancelt" werden. Da bin ich dagegen, in einem Fall besonders

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Ich persönlich bin ja für Hymnen schwer zu interessieren, zumal sie häufig an miserablen Texten laborieren. Die oft bei wehrlosen Unsterblichen beschlagnahmten Melodien sind naturgemäß meist besser. Auch wenn sie, wie im Fall der österreichischen Bundeshymne, bloß von einem falschen Mozart namens Holzer stammen und aus Schlamperei ins namhafte Werkverzeichnis verwickelt wurden.

Der Textverfasserin der Bundeshymne, die Österreicherin Paula von Preradovic, stand den Austrofaschisten nahe und soll mit dem Widerstand gegen die Nazis sympathisiert haben, was indes beides ohne Belang ist: Die auf vierhebigen Trochäen des Weges hinkenden Banalitäten transportieren das Selbstbildnis eines jungsteinzeitlichen Bergvolks, das sich unter Verwendung erster primitiver Werkzeuge („Land der Hämmer“) im Ackerbau verwirklicht. Die Dome sind als kühner Vorgriff auf das Mittelalter zu würdigen. Und den Hinweis auf die künstlerische Ader haben die von der Muse gezwickten Damen Glawischnig und Rauch-Kallat zur Travestie zugespitzt (meine Lieblingsversion waren die großen „Töchter, Söhne“, die sich wie Töchtersöhne anhörten und somit männliche Enkel hochleben ließen).

Aber sei’s drum: Hymnen sind nun einmal keine Meisterwerke. Am ehesten gehen sie als historische Momentaufnahmen durch, sonst müsste man sie turnusmäßig erneuern, was zu viel des Aufwands wäre. Sie ahnen, weshalb ich Sie trotzdem mit dem Thema behellige? Weil es gerade gegen die Bundesländerhymnen geht. Da stimme ich nicht zu, obwohl mehrere von mir geschätzte Personen die Abschaffung bzw. Adaptierung erst der niederösterreichischen, jetzt auch der oberösterreichischen, der Kärntner und der Salzburger Hymne gefordert haben.

Woher nun meine Bedenken (auch abgesehen von der Frage, ob Sie eine der Hervorbringungen auch nur mit Namen kennen, es sei denn, Sie wären als Bezirksfinanzreferent feierlich in den Ruhestand gesungen worden)? Erstens ist keine der Hymnen schlechter als die Bundeshymne, und eine, auf die ich noch komme, ist sogar viel besser. Keine transportiert bedenkliche Botschaften (was im Fall offiziellen Sangesguts tatsächlich nicht zu billigen wäre). Nur die Verfasser waren möglicherweise keine Guten, was sie mit einigen der größten Geister der Kulturgeschichte gemein haben. Mit anderen Worten: Wenn wir uns gegen das obwaltende Bespitzeln, Denunzieren und Auslöschen lebender und toter Künstler verwahren, muss das für alle gelten. Auch für sehr schwache.

Überfliegen wir also die Hymnen. Dass der Mann, der sich literarisch an einem schönen Kärntnerlied vergriffen hat, ein gewisser Gallenstein war (Johann Thaurer Ritter von, 1779-1840): Das sollte für das deprimierend gereimte Geographiebuch „Dort, wo Tirol an Salzburg grenzt“ Strafe genug sein. Die 1930 bei einer nachmals Führer-affinen Pädagogin in Auftrag gegebene vierte Strophe wurde entschärft. Kasnudl drüber!

Die plumpe Salzburger Hymne „Land unsrer Väter“ schrieb 1928 der Pfarrer Anton Pichler (1874-1943), der Herr hat ihn durch Begabungsentzug genug gezüchtigt. Der Komponist, ein gewisser Sompek: ein versunkener Nazi ohne Bedeutung, den man belassen soll, wo er jetzt ruht, statt ihn noch als Symbolfall zu exhumieren.

Bei der niederösterreichischen Hymne ist Beethoven mit dem Geselligkeitslied „In allen guten Stunden“ außer Obligo. Aber der Verfasser des Textes? War ein Titan der Gesinnungsakrobatik, gegen den sich der Herr Karl wie ein märtyrerhafter Aufrechter ausnimmt. Franz Karl Ginzkey (1871-1963, „Hatschi Bratschis Luftballon“) war gleichzeitig austrofaschistischer Staatsrat und illegaler Nazi, hat sich also quasi selbst erschossen, dazu Freimaurer, solange es opportun war, aber doch lang genug, dass ihm der NSDAP-Beitritt per Führer-Dispens genehmigt werden musste. Nach dem Krieg hat er es umweglos zum Wiederaufbauvorzeigedemokraten geschafft. Aber der Hymnentext („Mein Heimatvolk, mein Heimatland“) ist bloß ein schwülstiges Neutrum, nichts weiter. Insgesamt war Ginzkey die Vorsicht in Person. Sogar seine Nazi-Gedichte umschwafeln nur unscharf den deutschen Weihnachtsbaum. Konnte ja keiner wissen, wann es vorbei wäre. Insofern ist die Hymne am Ende die österreichischeste von allen.

Aber die oberösterreichische, der „Hoamatgsang“ von Franz Stelzhamer (1802-1874)! Auf beide lasse ich nichts kommen. Richtig, Stelzhamer war ein Antisemit. Aber ein Antisemit war damals bald einer (auch Peter Rosegger, der dem sozialen Aufbegehren die Stimme gegeben hat). Denn Antisemitismus war, mit fraglos verheerenden Folgen, eine gesellschaftlich akzeptierte Position, und gegen die glühenden jüdischen Antisemiten Karl Kraus und Otto Weininger war Stelzhamer ein Provinzkrakeeler. Sein „Hoamatgsang“ aber, schön in Töne gesetzt vom Zeitgenossen Hans Schnopfagen, ist ein warmherziges, authentisches Liebesgedicht, das sich statt aus blechernem Bekenntnisgeklapper aus dem Idiom seines Kulturkreises speist. Und dass man die Heimat lieben kann wie „a Hünderl sein’ Herrn“? Das hat mit dem Metternich’schen Untertanenstaat gar nichts zu tun. Ich kenne und schätze Hunde, die ihren Herrn lieben und den Namen Metternich nicht einmal gehört haben.

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