Einer, dem nichts nachzusagen ist

Heinz Sichrovsky über Wiens scheidenden Kulturstadtrat

Wiens Kulturstadtrat Mailath-Pokorny geht. Was er hinterlassen hat, was der Nachfolger können muss

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wenn man einem Politiker nach 17 Jahren Amtszeit nichts nachsagen kann, ist das in Zeiten der Grasser- und Westenthaler-Prozesse zweifellos verdienstvoll. Wenn ihm dabei aber zusätzlich kaum Ausreißer ins Außerordentliche passiert sind, so ist das der scheidende Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Anlässlich seines Rücktritts wird er oft als Verwalter bezeichnet. Ein ehrbarer Beruf, wobei man nicht vergessen darf, dass sich der Stadtrat einmal in eine Art Unsterblichkeit einschreiben konnte: nämlich als er das im Musical-Stumpfsinn versunkene Theater an der Wien dem Opernbetrieb wiedergegeben und den formidablen Intendanten Roland Geyer installiert hat. Zu danken war die Umwidmung wesentlich auch dem brillanten Finanzstadtrat Sepp Rieder. Als der aus dem Amt ging, wurden die Visionen knapp.

Was ist Mailath sonst gelungen? Nach einem grauenvollen Pfusch bei der Nachbesetzung der "Josefstadt"-Direktion - Hans Gratzer wurde in die Katastrophe getrieben - inthronisierte Mailath Herbert Föttinger, den heute besten Theaterdirektor Wiens. Für das Volkstheater hätte er Andrea Eckert, Paulus Manker und Maria Happel haben können. Er entschied erst - tadellos - für Michael Schottenberg und dann für Anna Badora, deren demnächst zu verhandelnde Vertragsverlängerung aufgrund der bedrohlichen Auslastungsentwicklung in der Schwebe steht. Der endlich finanzierte Ausbau des Wien Museums ist wohl Michael Ludwigs Starthilfe für Mailaths Nachfolger.

Wer aber soll dieser Nachfolger sein? Die Entscheidung ist glaubhaft noch nicht gefallen. Aber Ludwig bewahre uns vor einem Quoten-Bobo, gleich welchen Geschlechts, welchen Hintergrunds und welcher Orientierung. Wie rasch man Blühendes zerstören kann, zeigt sich in diesen Tagen in Berlin: Dort hatte der inferiore Kurzzeit-Kulturstaatssekretär Tim Renner - ein Musikproduzent - dem von Selbstüberschätzung verblendeten Museumsdirektor Chris Dercon die legendäre Volksbühne ausgeliefert. Renners Nachfolger setzte den Mann jetzt auf die Straße, das Haus ist nach wie vor von der Schließung bedroht. Auch Mailath hat seinen Dercon zu verantworten: Seine einzige verheerende Fehlentscheidung betrifft den Intendanten der Wiener Festwochen, Tomas Zierhofer-Kin; das einst wegweisende Festival ist (auch reputativ) leergespielt. Die Personalie Zierhofer-Kin zu beenden, wäre für Mailath ein nicht leicht zu tätigendes Einbekenntnis der Fehlentscheidung gewesen. Der Nachfolger kann jetzt frei agieren: Die bald beginnenden Festwochen müssten Zierhofers allerletzte Chance sein, wobei es mit einer leichten Besserung nicht getan sein darf.

Wie man am Beispiel sieht, kann auch einem kompetenten und erfahrenen Kulturpolitiker eine Personalie misslingen. Aber mit Gewalt heraufbeschwören muss man den Untergang auch nicht. Deshalb sollte das Anforderungsprofil für den neuen Amtsträger klar umrissen sein: Wie Mailath und seine Vorgänger Ursula Pasterk und Peter Marboe, wie der große Kunstminister Rudolf Scholten braucht er die bestmögliche bildungsbürgerliche Grundausstattung, um von dieser Operationsbasis mit offenem Sinn auch an die experimentellen Randbereiche vordringen zu können.

Der mit unterschiedlicher Intensität genannte Wiener SPÖ-Kultursprecher Ernst Woller wäre in diesem Sinn eine sichere Bank: Der Mann trainiert seit 25 Jahren auf den Job. Mit einem neuen, hoffentlich kunstverständigen Finanzstadtrat zu Seite stünden seine Chancen nicht schlecht.