Als die Musik Salzburgs
Alleinherrscherin war

Vor 30 Jahren starb Herbert von Karajan, dem der Zeitgeist die letzten Lebensjahre vergiftete. Heute sieht man wieder klarer, was er geleistet hat und was von ihm zu lernen wäre

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Gerade, dass sie ihm nicht das Ableben nahegelegt haben: Wie sich alle darin überboten, dem alten, von mörderischen Rückenschmerzen gepeinigten Karajan die letzten Jahre zu vergiften! Im Sog der Wahrheitsfindung um die Waldheim-Tumulte bestand vordringlicher Bedarf nach dem nächsten Mitreiter. Man fand den sehr jungen Karajan, der (wie fast jeder, den der Ungeist nicht zur Ermordung oder Vertreibung bestimmt hatte) die Avancen der Reichskulturkammer vorauseilend erwidert hatte. Den biografischen Makel vermengte man dilettantisch mit dem Künstlerischen: Der über Jahrzehnte maßlos Vergötterte war plötzlich das Verhängnis der Salzburger Festspiele, ein reaktionärer Klotz auf dem Weg ins 20. Jahrhundert.

Und wie unrecht man ihm damit getan hat! Als Herbert von Karajan am 16. Juli 1989 in seinem Haus in Salzburg-Anif starb, im selben Jahr wie Bruno Kreisky und Thomas Bernhard: Da gingen tatsächlich drei Epochen zu Ende. Denn was sich der als einfaches Direktionsmitglied verkleidete Salzburger Alleinherrscher zum Prinzip gemacht hatte, müsste für ein Festival von Weltgeltung bis heute verbindlich sein: Das Beste ist gerade gut genug. Also drängte die Elite an Sängern und Dirigenten nach Salzburg, denn Karajan Nein sagen, hieß, sich mit der damals allmächtigen Tonträgerindustrie überwerfen. Hier zu vergleichen, wäre allerdings unzulässig: Da selbst Spitzenlabels im digitalen Zeitalter der Bedeutungslosigkeit entgegenkümmern und die Weltklasse immer schmäler wird, entscheiden sich Sänger und Dirigenten, die es sich leisten können, zusehends für den regenerierenden Sommerurlaub. Aber man muss (wie es jetzt auch wieder geschieht) probieren, sie zu bek0mmen, und dabei zumindest ein paar Erfolge vorweisen. Sonst erledigt sich ein Höchstpreisfestival von selbst. Das Beste, das von Karajan an Salzburg gebunden wurde, waren übrigens nicht nur alle großen Sänger zweier Generationen, nicht nur Karl Böhm oder der junge Muti, sondern auch Friedrich Cerha oder Krzystof Penderecki. Denn zwar war Karajans Interesse am zeitgenössischen Musikschaffen anhaltend überschaubar. Aber so einfältig, sich deshalb einen Reaktionär heißen zu lassen, war er nicht. Deshalb gelangten in seiner Ära weitaus mehr maßgebliche Opernwerke zur Uraufführung als unter seinem als Radikalreformer gerühmten Nachfolger Gerard Mortier.

Was Karajan in erster Linie vorzuwerfen ist, betrifft die konsequente Ausgrenzung des Epochemachers Nikolaus Harnoncourt. Doch schon der zweite Vorwurf bedarf der Überprüfung: Das Musikalische stand in seinem Prioritätenkatalog himmelhoch über dem Szenischen, und ich frage mich mit wachsender Skepsis, ob er damit so unrecht hatte. Abgesehen davon, dass eine "Zauberflöte", wie er sie mit Giorgio Strehler fertigte, seither dringlich gefragt gewesen wäre.

Und was er sonst noch alles war! Karajan war der erste Jet-Set-Dirigent, der Massen für die klassische Musik zu begeistern verstand. Er war ein technischer Pionier erster Ordnung und hat quasi die DVD vorerfunden. Und er war ein Gründer, wie ihn nach ihm die Klassik-Welt nicht gesehen hat. Um seine Opernproduktionen für die Deutsche Grammophongesellschaft, an der er beteiligt war, kostengünstig vorproben zu können, erfand er die Osterfestspiele. Dazu kamen später die Pfingstfestspiele: Wer dort abonnierte, hatte ein Vorkaufsrecht für die hoffnungslos überbuchten Osterfestspiele. Dort führt nach degenerativen Verfallsjahren heute Christian Thielemann den Taktstock, Karajans Nachfolger auch im Stilistischen: Für beide erschließen sich die Wahrheiten der Partitur aus der kompromisslosen Schönheit des Klangs. Versuche niemand, einem der beiden nahezutreten.

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