Eine Stadt hat sich verliebt

Die Österreicherin Stefanie Reinsperger debütierte mit Sensationserfolg im schwierigen Berlin

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wundersames habe sich am dritten Tag des Beginns der neuen Ära am Berliner Ensemble ereignet, stellte die einflussreiche "Morgenpost" fest: "Das Publikum hat sich verliebt. Nicht in ein Stück, nicht in eine Inszenierung, sondern in eine Schauspielerin." Dabei schien es nach zwei Eröffnungspremieren für den neuen Intendanten Oliver Reese nicht nach Wunsch zu laufen. Brechts "Der kaukasische Kreidekreis" war die dritte und vorerst letzte Chance, und auch die Arbeit des Hausregisseurs Michael Thalheimer traf auf vermischte Aufnahme. Wäre da nicht die Österreicherin Stefanie Reinsperger als Magd Grusche gewesen: "berührend in ihrem Schmerz wie in ihrer energischen Sanftmut ("FAZ"), "herausragend" ("Die Welt"), schlicht: "ein Jungstar" ("Der Spiegel "),"eine Sensation"(wieder die "Morgenpost"). Das Publikum jubelte im Stehen. "Dankbar und glücklich" zeigt sich gegenüber News die 29-Jährige, die vor zwei Jahren zur deutschsprachigen Schauspielerin des Jahres gewählt wurde, vom Burgtheater ans Volkstheater wechselte und dort der Direktorin Anna Badora das dringlich benötigte Publikum brachte. Druck und hohe Erwartungshaltungen hätten nun auch auf den Berliner Eröffnungspremieren gelastet. Respekt verspüre sie vor jeder Premiere, "egal, wie groß die Rolle ist. Und, ja: Mit der Grusche zu beginnen, war eine große Verantwortung und Ehre."

Der Unterschied zu Wien? Die unglaubliche Vielfalt an Theatern, alle auf gleicher Höhe des Angebots. "Da muss man nochmal anders sein Publikum gewinnen und überzeugen." Nicht zuletzt der radikale Theatererneuerer Frank Castorf habe die örtlichen Sehgewohnheiten geschärft, in Berlin sei man "abgehärteter, aber auch kritischer". Also gehe es darum, "weiterzulernen, hart an mir zu arbeiten und mich immer für das Publikum zu verschwenden. Damit die Abende, die ich spiele, etwas im Sehenden auslösen." Wer alles gebe, könne auch den kritischsten Zuschauer überzeugen.

Alles zu geben -diese Art Selbstentäußerung ist ihr Gestaltungsmerkmal, und wie sie als Grusche, vom Kampf um ihr Pflegekind entstellt und mit Blut besudelt, das Äußerste an Anmut zu mobilisieren vermag: Das ist so außerordentlich wie die Glanzleistungen in Diensten Handkes und Elfriede Jelineks, mit denen sie an der Burg und dann am Volkstheater reüssierte.

"Es war Zeit, dass sie aus Wien wegkam, um Neues zu erleben. Ich habe ihr blutenden Herzens zugeredet", pflegt Anna Badora die schmerzende Wunde.

Keine drei Monate ist das her, da spielte sie bei den Salzburger Festspielen die Nicht-Rolle der Buhlschaft auf berührende menschliche Höhe. Aber zum Anlass begann sich schon die österreichische Niedertracht zu mobilisieren, und mancherorts war über ein suboptimal geschneidertes Kleid mehr zu lesen als über die schauspielerische Leistung. "Das Körperliche sieht man beim ersten Hinschauen, aber es gibt die zerbrechliche Seite, die leisen Töne", sagte sie uns vor der Salzburger Premiere. "Die merkt man nicht gleich, und das hat mich am Anfang verletzt."

Jetzt ist sie eingetroffen, glückhafter womöglich als je zuvor. "Bis jetzt habe ich sehr viel gearbeitet und habe erst jetzt Zeit, einfach durch die Straßen zu laufen und durchzuatmen, einzusaugen, was diese Stadt alles zu bieten hat", sagt sie. Von dem, was ihr Berlin nach kaum einem Monat entgegenbringt, kann man hier noch lernen. Und die Buhlschaft spielt sie vermutlich auch im nächsten Jahr. Man sei in Gesprächen, bestätigt sie in ruhiger Selbstverständlichkeit.