Der Bihänder ist an sich nicht das Instrument, zu dem man in meinem vorgeblichen Hochzivilisationsressort bedenkenlos griffe. Auch den Morgenstern führt man unter meinesgleichen höchstens, wenn er mit Vornamen Christian heißt. Heute aber würde ich mit Ihrer freundlichen Genehmigung das mittelalterliche Instrumentarium gern auspacken. Adressat ist eine "HistorikerInnen-Kommission", die sich auf Anregung der Stadt Wien aufgemacht hat, um "belasteten Personen" ihre Straße abzuerkennen. Die folgende Geschichte danke ich dem Schriftsteller Gerhard Ruiss, der sich mit seiner IG Autoren auch so bewundernswert wie vergebens gegen die Analphabetisierungskampagne der Deutsch-Lehrpläne stemmt. "Belastet" nämlich ist, den amtlich gefütterten Ausführungen zufolge, die Schriftstellerin Alma Johanna Koenig, geboren am 18. August 1887 in Prag, ermordet am am 1. Juni 1942 im Konzentrationslager Maly Trostinez. Was die bedeutende Romancière, Lyrikerin und Übersetzerin, der wir sogar die Erschließung des Edgar-Wallace-Krachers "Der Frosch mit der Maske" verdanken, über den Tod hinaus Unsühnbares begangen hat? Sie soll sich in einer Erzählung aus dem Jahr 1920 des "Antiziganismus" schuldig gemacht haben, weil dort - wir kennen es aus "Carmen" - eine triebhafte Zigeunerin porträtiert wird. Dies entnahm die Kommission, die ihre Resultate unter der Patronanz der stolzgeschwellten Kulturstadträtin präsentierte, einer Dissertation über das Frauenbild Alma Johanna Koenigs. Den gschaftlhuberhaft geblähten Blödsinn der Argumentation können Sie unter https://www.wien. gv.at/kultur/abteilung/pdf/umstrittene-strassennamen-1-band.pdf nachlesen. Dort wird das Ende der von den Nazis gleich bei der Ankunft im Lager umgebrachten Alma Johanna Koenig nicht etwa der Erwähnung gewürdigt. Vielmehr unterstellt man ihr mit dem zynischen Nebensatzvermerk "obwohl selbst Jüdin" auch noch den Gebrauch "antijüdischer Stereotype".
Am 14. Februar 1977 hat die Stadt Wien der ermordeten Schriftstellerin Alma Johanna Koenig einen elenden Weg im 23. Bezirk zugestanden. Ihr den jetzt streitig machen zu wollen, entspricht dem intellektuellen Gesamtbefund einer Denunziationsgesellschaft, die in ihrer bildungsfernen Selbstgerechtigkeit über Leichen geht. Auch über solche, vor denen wir noch mehrere 1000 Jahre in Schmach und Schmerz verstummen müssten.
Zum Teufel außerdem mit Shakespeare, der den "Kaufmann von Venedig" verbrochen hat, mit dem jüdischen Antisemiten Karl Kraus, mit "Carmen" und "Troubadour"! Alle Macht der "HistorikerInnen-Kommission" und ihren AuftraggeberInnen, die ich diesfalls mit Vergnügen gendere. Nach denen wird dereinst prognostizierbar niemand eine Straße benennen wollen. Aber ihre Büroschilder könnte man ihnen schon jetzt abmontieren, und bei dieser Gelegenheit auch gleich die zugehörigen Sitzgelegenheiten.
Wobei Alma Johanna Koenig nur ein besonders empörendes und widersinniges Beispiel ist. Es ist -ich moniere es nicht zum ersten Mal - dringend an der Zeit, die Leistungen herausragender Menschen von ihren charakterlichen und politischen Umständen zu trennen. Konrad Lorenz, dem die Salzburger Universität das Ehrendoktorat aberkannt hat, Karajan, Karl Böhm waren große Geister, die in ihrer elenden Zeit nichts anderes begangen haben, als sich anzupassen. Wer von uns das unter wesentlich kommoderen Umständen noch nie getan hat, der darf sich gern als Nachnutzer des ehemaligen Alma-Koenig-Wegs in Wien 23 bewerben.
Das Postskriptum gilt diesmal Danielle Spera, die das von ihr brillant geführte Jüdische Museum im Sommer an die Historikerin Barbara Staudinger übergeben muss. Was die gebürtige Wienerin, der alles Gute zu wünschen ist, vor ihrer Vorgängerin auszeichnet, wüsste ich so wenig zu benennen wie André Heller, Brigitte Bierlein oder Peter Huemer, die mit vielen anderen Intellektuellen Danielle Speras Verbleib gefordert haben. Es sei "Zeit für den Generationenwechsel", lautete das offiziöse Gefasel, das abermals die Hirnleere der obwaltenden Debatten illustriert: Ist nach dem alten, weißen Mann jetzt die alte, weiße Frau an der Reihe, wobei das Greisinnenalter diesfalls mit 64 festgesetzt wird? Für die Exekution wäre noch eine Kommission einzusetzen.