Das Leuchten der Kompetenz

Netrebkos triumphale Salzburger Aida

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Die Erleichterung kannte keine Grenzen: Endlich eine "Aida" ohne Elefanten, so las man in mindestens jeder zweiten Kritik zur Salzburger Festspielpremiere. Das Irritierende ist, dass ich persönlich noch nie eine Aida mit Elefanten gesehen habe. 1924 wurden mehrere dieser Dickhäuter anlässlich einer Monumentalproduktion auf die Hohe Warte verbracht, und vor 13 Jahren schleppten sich zwei ausgemergelte Zirkuselefanten durch den Bühnenhintergrund der Arena von St. Margarethen (das habe ich versäumt).

Was die Rezensenten meinten, ist die begrüßenswerte Tatsache, dass die iranische Filmkünstlerin Shirin Neshat Verdis intime, avantgardistische Oper von allem Spektakelhaften befreit hat: Starr, fast oratorienhaft verrichtet eine unheimliche Priesterkaste ihr Zerstörungswerk. Das tut dem Stück gut, doch fehlt es am Handwerk, insbesondere an der Personenführung: Wenn sie agieren, artikulieren sich die Sänger in vorzeitlichen Operngesten. Das gilt nicht für die phänomenale Anna Netrebko, deren Rollendebüt die Premiere mit beinahe uneinlösbaren Erwartungen belastet hatte. Die Stimme ist dramatisch geworden, ohne an Schönheit verloren zu haben; und die Bühnen-Aura der (im Leben äußerst bodenständigen) Netrebko schafft eine Schmerzengestalt, auf deren Schultern das Leiden der ganzen Welt zu lasten scheint. Auch die Partner lassen wenig zu bemängeln übrig. Riccardo Muti, der letzte Pult-Gottähnliche der Karajan-Nachfolge, und die Wiener Philharmoniker brauchen eine Zeit, ehe sie mit aufregenden Farbmischungen im Nil-Akt und einem entrückten Finale ihren eigenen Standards mehr als gerecht werden. An diesen Festspielen, denen heuer fast alles aufregend - zumindest polarisierend und jenseits des Immergleichen -gelungen ist, zeigt sich Grundsätzliches: Kein noch so entwickeltes Marketing-und Spektakelbewusstsein kann das Wissen eines Musikers kompensieren. Nach Jahren der Krise sind diese ersten Festspiele des Pianisten und Musikintellektuellen Markus Hinterhäuser unwidersprochen als weltformatig ausgewiesen.

Für dieses Prinzip stehen exemplarisch auch die am 18. August beginnenden Festspiele von Grafenegg, die vor zehn Jahren vom Pianisten Rudolf Buchbinder begründet wurden und seither eine Erfolgsgeschichte sondergleichen schreiben: Puristisch-klassisch und (auch im Gefolge großzügiger finanzieller Ausstattung) auf konsequentem Weltniveau hat man eine ganze unterversorgte Gegend zum Blühen gebracht.

Im schon erwähnten St. Margarethen hingegen, wo heuer Verdis Hofnarr Rigoletto (ohne Elefantenbeteiligung) das Martyrium erleidet, klagt man über zögerlichen Publikumszulauf. Die Esterházy-Stiftung, die das Spektakel vor drei Jahren unfreundlich übernommen hat, bezahlt ihr Bemühen um musiktheatralische Seriosität und Qualität mit beträchtlichen Risiken.

Mit umso größerer Spannung blickt man dem Resultat einer anderen Esterházy'schen Aktivität entgegen. Am 24. August werden die Haydn-Festspiele eröffnet, und zwar erstmals nicht am identitätsstiftenden Originalschauplatz Schloss Esterházy in Eisenstadt: Die gleichnamige Stiftung hat das Festival nach Konflikten mit der Landesregierung schlicht delogiert. Nun wird das Publikum zu Schiff, in Eisenbahnzügen und Shuttlebussen an Haydns wichtigste Wirkungsorte gebracht. Die künstlerische Weltelite -Mischa Maisky, Renaud Capuçon, Piotr Beczala -ist aufgeboten. Und von ganzem Herzen ist zu wünschen, dass die exilierten Festspiele eine triumphale Reise antreten.