Die Kunst wird von allen Seiten umzingelt

In London attackieren Psychoten Velazquez, bei uns Kulturjournalisten Handke und Currentzis. Dagegen löst das Getöse um den Favoritener Jubiläumsbrunnen beinahe sentimentale Gefühle aus

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Dass die Kunst einmal in solche Umzingelung geraten könnte, hätte ich mir noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen können. Von allen Seiten dringt es auf sie ein. In London wurde erstmals das Bild und nicht mehr der Rahmen attackiert. Wie von Sinnen hackten sie auf Velazquez' "Medusa" ein, und als zaghafte Gegenmaßnahmen anliefen, war das Schutzglas schon perforiert. Wen das schockiert, der muss ein Träumer sein. Die hier hammerführende Aktionsgruppe "Just Stop Oil" ist ein Filialunternehmen des Holocaust-Verharmlosers Roger Hallam, der sich nach einschlägigen Kundgebungen aus seiner Gründung "Extinction Rebellion" strategisch zurückziehen musste. "Extinction Rebellion" wiederum gleicht wie ein Klon der "Letzten Generation", die ihren ersten Flughafenüberfall gerade erfolgreich hinter sich hat: Hallam wurde 2019 festgenommen, als er bei den Landebahnen von Heathrow Drohnen steigen lassen wollte. Von regem Pendelverkehr zwischen den p. t. Anhängerschaften darf ausgegangen werden, gegenseitige Solidaritätsadressen sind aktenkundig.

Auch dass es jetzt die sittsamen Freitags-Teenies ereilt hat, erstaunt mich nicht. Dachte tatsächlich jemand, dem Klimawandel werde Einhalt geboten, als sich eine Fünfzehnjährige vor dem schwedischen Reichstag niederließ? So wie sich damals Pilgerströme zur Anbetung eines mental beeinträchtigten Kindes auf die Hadsch begaben, formieren sie sich jetzt angesichts der erwartbaren Folgen zu Lynchkommandos. Ob der verhetzte, grausam überforderte Twen Greta Thunberg nun seine beiden Ehrendoktorate verliert (so wie der epochale Biologe Konrad Lorenz in Salzburg das seine), wird zu beobachten sein. Der Klimaschutz jedenfalls ist zur Exzentrikermaterie degradiert, und das lässt für die Erde nichts Gutes erhoffen.

Um nun endlich zur Kunst zurückzukehren: Die mit Meißeln und Hämmern ein Gemälde von Velazquez attackierenden Psychoten stehen symptomatisch für die um sich greifende Verwüstungswut. Werke der Kultur-, insbesondere der Literaturgeschichte sind von der Zerstörung bedroht. Grenzalphabeten, die sich aus der Zurückweisung durch die Muttersprache in ein englisch-küchenlateinisches Kauderwelsch evakuiert haben, durchkämmen Werke der Weltliteratur nach unstatthaften Wörtern und erlassen Warnhinweise vor "Romeo und Julia". Ungebildete warnen Ungebildete vor der Verstörungskraft, die das Wesen aller Kunst ist: ein Teufelskreis ohne Ausweg, zumal jede Flatulenz durch die digitalen Leitmedien des Analphabetismus Orkanstärke erreichen kann.

Dass sich Wissenschafter, die es besser verstehen sollten, aus opportunistischen Gründen mit solchen Erscheinungen gemein machen, ist ein weiteres Verhängnis. Die Kulturjournalisten hätten hier eine Aufgabe, aber die wurden ins Orchideenformat gespart und nutzen dankbar die Weiterbildungsangebote ins Schläger- und Denunziantensegment. Geübt wurde und wird an Peter Handke, Gottfried Helnwein und Anna Netrebko, an philharmonischen Impfvordrängern und am Filmregisseur Ulrich Seidl, an den Dirigenten Gustav Kuhn, Daniele Gatti, Teodor Currentzis und John Eliot Gardiner ... ich mag Sie nicht wöchentlich mit meinem Lamento beschweren.

Unter all diesen finsteren Perspektiven rührt mich beinahe das vertraute Grundrülpsen um den Jubiläumsbrunnen im einschlägig unversorgten zehnten Wiener Gemeindebezirk. Der dreifach Biennale-nobilitierten Künstlergruppe Gelitin ist der Skandal diesmal eher zugefallen, denn ich kann an der famosen Komposition nichts Provokantes entdecken. Sehr im Gegensatz zum Salzburger Sommer 2003. Da stellte die große, eigensinnige, durch provinzlerisches Selbstgenügen leicht reizbare Museumsdirektorin Agnes Husslein den Festspielen ein besonderes Artefakt vor die Tür: "Arc de Triomphe", ein Werk der damals noch "Gelatin" gerufenen Untergrundperformer, stellte einen unrealistisch, wenn auch beneidenswert bestückten Akrobaten von irritierender Gelenkigkeit dar. Und jetzt? Sieht man eine ins Niemandsland zwischen Ironie und Apokalypse entrückte Skulpturengruppe von großer Ausstrahlung. Dass das Werk von der Günstigpublizistik in Haft genommen wurde, dürfte eher ein Zufall sein, zog aber erhebliches Nachgrunzen nach sich.

Mich erinnert das an die beruflichen Kinderjahre bei der "Arbeiterzeitung". Das intern gemiedene Niederösterreich-Ressort war dort realiter eine von der Landespartei finanzierte Seite, zugedacht der Ikonisierung eines gewissen Leopold Grünzweig, der nicht zu beneiden war: Ein Verdammter inmitten der triumphalen Kreisky-Jahre, verwaltete er hoffnungslos die rote Landesparteiorganisation im schwärzesten Bundesland. Aber Nitsch mochte er nicht, weshalb nach Rückfrage auch die Niederösterreich-"AZ" ihrer Empörung über die Prinzendorfer Umtriebe Ausdruck verlieh. Wir Jungen hielten auf der Kulturseite tapfer dagegen. Und genau dieses Dagegenhalten, immer auf Seiten der Kunst, vermisse ich heute.

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