Kataloniens Regierungssitz:
Durchsuchungen & Festnahmen

Madrid dreht Kataloniens Regionalregierung den Geldhahn zu und lässt Regierungsangestellte festnehmen

Der Konflikt zwischen der spanischen Zentralregierung und der separatistischen Regionalregierung hat sich am Mittwoch, knapp eineinhalb Wochen vor dem geplanten Unabhängigkeitsreferendum, erneut zugespitzt. Madrid versucht mit allen Mitteln, die Organisation der Volksabstimmung zu torpedieren.

von Spanien - Kataloniens Regierungssitz:
Durchsuchungen & Festnahmen
© Bild: Josep LAGO / AFP

Bei einer Polizeirazzia in mehreren Büros der katalanischen Regionalregierung wurden Mittwoch früh in Barcelona elf Mitarbeiter und der Chef der Abteilung Wirtschaft und Finanzen, Josep Maria Jove, festgenommen. Jove gilt als "rechte Hand" von Kataloniens separatistischem Vize-Ministerpräsidenten Oriol Junqueras.

Demonstration gegen Festnahme

In Barcelona kam es bereits zu ersten Bürgerprotesten gegen die Verhaftungen. Nach einem Aufruf der separatistischen Bürgerplattform ANC versammelten sich in der Früh Hunderte von Unabhängigkeitsbefürwortern vor dem Amtsgebäude der Wirtschaftsabteilung, dem Amt für außenpolitische Angelegenheiten und dem Hauptsitz der Regionalregierung auf dem Sant Jaume Platz, um gegen die Festnahmen zu demonstrieren.

"Illegale Finanzierung" des verbotenen Unabhängigkeitsreferendums

Hintergrund der Festnahmen und Durchsuchungen ist die "illegale Finanzierung" des verbotenen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober mit öffentlichen Geldern. Bereits in der vergangenen Woche stellte Spaniens Finanzminister Cristobal Montoro den katalanischen Haushalt unter strengere Kontrolle, um zu verhindern, dass öffentliche Gelder zur Vorbereitung der - nach Ansicht Madrids - illegalen Volksbefragung benutzt werden.

Nachdem sich Kataloniens stellvertretender Ministerpräsident Oriol Junqueras weigerte, Madrid wöchentlich Rechenschaft über die Ausgaben der Regionalregierung zu geben, kam es am Mittwoch zu den Durchsuchungen und Festnahmen im Wirtschaftsressort der Regionalregierung. Zeitgleich legte Montoro die katalanische Staatskasse auf Eis.

Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien verhindern

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy versicherte immer wieder, er werde alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um das für den 1. Oktober geplante Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien zu verhindern. "Wie man in den vergangenen Tagen sehen konnte, handelt es sich dabei vor allem um Maßnahmen, die logistische Fähigkeit der separatistischen Regionalregierung in Barcelona zu schwächen, überhaupt einen Volksentscheid mit über 5,5 Millionen Wahlberechtigten durchführen zu können", erklärte Oriol Bartomeus, Politologe an der Universität von Barcelona, im APA-Gespräch.

Nachdem die paramilitärische Guardia Civil bereits am vergangenen Wochenende in einer Lagerhalle in der Provinz von Barcelona 1,3 Millionen Flugblätter und anderes Werbematerial für das geplante Unabhängigkeitsreferendum beschlagnahmten, konfiszierten die Beamten am Dienstag zudem 55.000 Briefe, in denen die Regionalregierung ausgewählte Bürger aufforderte, am 1. Oktober als Wahltisch-Helfer zu fungieren. Wie nun die 6.300 Wahltische besetzt werden sollen, ist fraglich.

Polizei beschlagnahmte neun Millionen Wahlzettel

Eineinhalb Wochen vor dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in der spanischen Region Katalonien hat die der Zentralregierung in Madrid unterstellten Polizei aber nicht nur 14 Menschen festgenommen, sondern auch rund neun Millionen Wahlzettel beschlagnahmt. Insgesamt seien in der katalanischen Hauptstadt Barcelona 41 Durchsuchungen durchgeführt worden, berichteten Medien am Mittwoch.

Razzia mit Handgreiflichkeiten

Bei der Razzia im privaten Postunternehmen Unipost in Terrassa kam es in der Nacht auf Mittwoch sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen der Polizei und Hunderten von Unabhängigkeitsbefürwortern, die die Beamten an der Beschlagnahmung der Briefe hindern wollten. Die katalanische Regionalregierung hatte das Privatunternehmen mit der Verschickung der Briefe an die Wahlhelfer beauftragt, nachdem die spanische Post alle Briefträger aufforderte, die Wahlpost weder zu befördern und noch zuzustellen.

"Ausnahmezustand"

Nach der Razzia an seinem Amtssitz hat Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont der spanischen Regierung vorgeworfen, über die Region "de facto den Ausnahmezustand" verhängt zu haben. Auch seien die Autonomieregelungen für Katalonien praktisch ausgehebelt, etwa durch die verschärfte Kontrolle der Zentralregierung über seine Finanzen, sagte Puigdemont am Mittwoch.

Volksbefragung gestoppt

Die Madrider Zentralregierung ließ die Volksbefragung über eine mögliche Loslösung der Region von Spanien vor dem Verfassungsgericht stoppen. Da die spanische Verfassung tatsächlich weder die Abspaltung einer Region noch die Durchführung von Unabhängigkeitsreferenden zulässt, erklärten die Verfassungsrichter das Vorhaben für illegal und verboten sämtliche Maßnahmen und Aktivitäten, ein solches vorzubereiten.

Ermittlung gegen 712 katalanische Bürgermeister

So ermittelt die Staatsanwaltschaft derzeit auch gegen 712 katalanische Bürgermeister, die öffentliche Wahllokale für das Referendum zur Verfügung stellen wollen. Wer der Vorladung nicht nachkommt, wird festgenommen. Zudem beauftragte die Staatsanwaltschaft die Guardia Civil auch mit der Suche nach den Wahlurnen, welche die Regionalregierung an einem unbekannten Ort aufbewahrt.

»Der Konflikt ist vorprogrammiert.«

Die Madrider Zentralregierung versucht, die Durchführung eines Referendums durch die separatistische Regionalregierung von Carles Puigdemont mit allen Mitteln zu torpedieren. Unterdessen sagen jüngste Umfragen voraus, dass die Unabhängigkeitsbefürworter bei einer solchen Volksbefragung keine Mehrheit erreichen würden. Sollte eine Mehrheit dennoch für die Abspaltung stimmen, will Puigdemont innerhalb von 48 Stunden die Unabhängigkeit der wirtschaftsstärksten Region Spanien mit 7,5 Millionen Einwohnern ausrufen. "Der Konflikt ist also vorprogrammiert, weil es beim Referendum keine Mindestbeteiligung gibt und voraussichtlich zu 95 Prozent Separatisten wählen werden", so der Politologe Bartomeus.

FC Barcelona pocht auf Recht der Katalanen zur Selbstbestimmung

Der FC Barcelona hat sich in den Streit um das katalanische Unabhängigkeitsreferendum eingeschaltet und das Vorgehen Madrids verurteilt. Der weltberühmte Fußballverein veröffentlichte am Mittwoch eine Erklärung, in der er unter Verweis auf sein "historisches Engagement für die Verteidigung des Landes" jede Handlung verurteilt, welche die Meinungs- und Entscheidungsfreiheit untergrabe.

"Der Wille der Mehrheit des katalanischen Volkes" müsse Beachtung finden, erklärte die Barca-Führung. "Nach den Ereignissen der vergangenen Tage, insbesondere des heutigen" stelle sich der Verein auf die Seite "der Demokratie, der Meinungs- und Entscheidungsfreiheit".

Die Geschichte des FC Barcelona ist eng mit dem katalanischen Nationalgefühl verknüpft, das er auch während der Franco-Diktatur (1939-75) hochhielt. Trotz mehrfacher Sanktionen durch die UEFA waren im Barca-Stadion, dem Camp Nou in Barcelona, immer wieder Flaggen der Unabhängigkeitsbefürworter zu sehen.

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