Arbeitslos und
ohne Geld

Österreich ist ein Sozialstaat. Für lange Zeit konnten arbeitslose Menschen davon ausgehen, dass der Staat sie auffängt, wenn es ihnen nicht so gut geht. Mit der neuen Regierung könnte 2018 aber zu einem Jahr der Einschnitte werden

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Sozialstaat - Arbeitslos und
ohne Geld

Es ist nichts weniger als ein Sicherheitsnetz: Wer seinen Job verliert, bekommt maximal ein Jahr lang Arbeitslosengeld ausbezahlt. Deutlich weniger als im Beruf davor, aber meist genug, um sich über Wasser zu halten. Tut sich auch danach kein Job auf, fließt Notstandshilfe -so es im selben Haushalt nicht jemanden gibt, der ausreichend verdient.

Dieses System ist alles andere als perfekt und bringt viele Bezieher häufig an ihre finanziellen Grenzen. Aber es ist jahrelang erprobt und gilt weltweit als Best-Practice-Modell. Und: Es ist kein Almosen, sondern eine Versicherungsleistung. Wer niemals gearbeitet hat, hat auch keinen Anspruch auf das Geld. Wer selbstständig war und plötzlich ohne Auftrag dasteht, schaut ebenso durch die Finger.

"Allein die Vorstellung, dass ich arbeitslos werde und so lange kein Geld bekomme, bis ich wieder einen Job gefunden habe, macht mich irre", sagt Irene, die ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. "Es soll ja Leute geben, die Sparbücher mit eisernen Reserven horten, ich gehöre leider nicht dazu."

Mehr Langzeitarbeitslose

Eine Abschaffung des Geldbezuges ist zurzeit aber auch gar nicht vorgesehen. Die Neuerungen, die die neue Regierung einführen will, werden dennoch einiges an der gängigen Praxis bei Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung ändern -und damit bei vielen Betroffenen für verschärfte Bedingungen sorgen.

So soll die Höhe des Arbeitslosengeldes künftig "mit klarem zeitlichem Rahmen degressiv gestaltet" werden. Im Klartext: Die Bezugsdauer von bisher sechs bis zwölf Monaten -abhängig vom Alter des Arbeitslosen -könnte reduziert werden. Ganz sicher aber soll die Höhe des Arbeitslosengeldes kontinuierlich geringer werden. Außerdem soll die Notstandshilfe in das Arbeitslosengeld einfließen. "Verklausuliert bedeutet das nichts anderes, als dass die Notstandshilfe abgeschafft wird", ist Judith Pühringer, Geschäftsführerin von Arbeit plus -einem österreichweiten Netzwerk sozialer Unternehmen -, überzeugt. "Das ist ein Bruch mit dem alten System."

404.699 Menschen waren Ende November als arbeitssuchend gemeldet. Die Summe bezieht sich auch auf Notstandshilfebezieher und Schulungsteilnehmer

167.065 Personen haben österreichweit im Gesamtjahr 2016 Notstandshilfe bekommen -das sind fast doppelt so viele wie zehn Jahre davor

307.500 Einwohner hatten 2016 Anspruch auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Ein Großteil davon hat lediglich sein Arbeitseinkommen damit aufgestockt

Besonders schlimm findet die Betriebswirtin, dass die türkisen und blauen Politiker davon ausgehen, dass es an der Motivation der Menschen liegt, wie schnell sich ein neuer Job findet: "Immerhin soll offenbar der Großteil des Arbeitslosengeldes gleich zu Beginn ausbezahlt werden." Als ob es so möglich wäre, auf diese Weise rascher an eine neue Stelle zu kommen.

Gibt es außerdem keine Notstandshilfe mehr, werden diejenigen, die es nicht rechtzeitig in den Arbeitsmarkt zurück geschafft haben, automatisch zu Beziehern der bedarfsorientierten Mindestsicherung -und damit zu Sozialhilfeempfängern. "Das ist dann aber keine Versicherungsleistung mehr, sondern eine Fürsorgeleistung", sagt die Arbeit-plus-Chefin: "Damit nähern wir uns arbeitsmarktpolitischen Zuständen wie in Deutschland." Komme die Einführung von Ein-Euro-Jobs mit Arbeitspflicht hinzu, werde Hartz IV auch in Österreich Realität, sagt Pühringer: "Dann gibt es mehr Arme und noch weniger Chancen auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt."

Gedeckelte Leistung

Diese Einschätzung teilt auch das Finanzministerium. Eine bereits 2016 beim Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass die Einführung von Hartz IV zu 160.000 armutsgefährdeten Menschen mehr führen könnte. Schon jetzt sind 736.000 Menschen mindestens einen Monat im Jahr auf Notstandshilfe angewiesen. Weitere Millionen an "gesellschaftlichen Folgekosten", so die Studienautoren, würden sich noch gar nicht abschätzen lassen.

All diese neuen Belastungen könnten eintreten, wenn ein Abtausch der Notstandshilfe mit der Mindestsicherung durchgezogen wird. Denn im Gegensatz zur Notstandshilfe, die 95 Prozent des Arbeitslosengeldes (also im Maximalfall 1.604 Euro monatlich) ausmachen kann, sieht der aktuelle Satz der Mindestsicherung für Alleinstehende lediglich 840 Euro im Monat vor. Asylberechtigte sollen sogar nur 345 Euro im Monat erhalten. Außerdem wird die Mindestsicherung bei mehreren Personen im Haushalt für alle mit 1.500 Euro im Monat gedeckelt -eine finanziell herausfordernde Sache, wenn es gilt, viele Menschen in einem Haushalt satt zu bekommen.

Eine weitere Änderung betrifft die persönlichen Umstände der Betroffenen: Sind bei der Notstandshilfe Eigentum und Vermögen erlaubt, gibt es die Mindestsicherung nur noch für vollkommen Besitzlose.

All diese Anpassungen hat das Finanzministerium in seiner 30.000 Euro teuren Studie bereits berücksichtigt. Aus Sicht der Politik ist die Übernahme des deutschen Systems nach Österreich ein Gewinn. Notstandshilfe und andere Zahlungen im Sozialbereich kosteten den Staat 2016 immerhin 1,8 Milliarden Euro. Die angedachten Neuerungen könnten diese Kosten um rund eine Milliarde Euro jährlich verringern. Das schont zwar das Budget des Staates, geht aber auf Kosten seiner von Arbeitslosigkeit betroffenen Einwohner.

Dazu kommt, dass sich das deutsche Modell der Sozialhilfe als Vorbild für Österreich nur bedingt eignet, sagt Pühringer: "Hartz IV hat bei Weitem nicht das gebracht, was man sich erwartet hat. Nur die Armutsbetroffenheit und die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist angestiegen." Und auch die Langzeitarbeitslosigkeit im Nachbarland hat sich verstärkt. Die wirklich offensichtliche Veränderung passiert außerdem bei der Umschichtung der Gelder: Nur noch 30 Prozent der deutschen Arbeitslosen beziehen noch Einkünfte aus der Arbeitslosenversicherung, 70 Prozent bekommen bereits Hartz IV. "Kommt das auch bei uns, ist das total dramatisch und ein totaler Rückschritt", sagt Pühringer.

Doch keine Entlastung

Bundeskanzler Sebastian Kurz versucht derweil, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen. Er kündigte an, dass die Arbeitslosenbeiträge für Bezieher niedriger Einkommen (konkret bis 1.948 Euro brutto im Monat) gesenkt werden sollen.

Die Aktion scheint aber nicht ganz aufgegangen zu sein. So antwortete Wifo-Experte Stephan Schulmeister prompt via Twitter: "Das ist nicht möglich: Zirka 37 Prozent verdienen weniger als 1.342 Euro, bezahlen keinen Arbeitslosenversicherungsbeitrag und können daher nicht entlastet werden. Verdient jemand 1.500 Euro, so wird er um 30 Euro pro Jahr entlastet, beim mittleren Einkommen von 1.700 Euro um 50 Euro." Es wird noch ein langer Weg.

Kommentare

Lucas Di Lorenzo

Herr Kurz hat nicht mal ein Studium abschliessen können, was in Österreich automatisch zur Kanzlerschaft befähigt. Einer seiner Vorgänger, Werner Faymann, war aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Sehr bald wird sich zeigen, was die Herren Kurz und Sprache wirklich draufhaben. Außer Ankündigungen waren bis dato noch keine sinnvollen Vorschläge erkennbar.

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