Mindestsicherung oft ungenützt

Rund 190.000 Bezieher 2011 - Aber 390.000 Personen wären unter Einkommensgrenze

Rund die Hälfte aller Berechtigten bekommt trotz Anspruchs keine Mindestsicherung. Gravierende Unterschiede bestehen dabei zwischen den einzelnen Bundesländern. Während in Wien mehr als drei Viertel aller Personen unter der dafür festgelegten Einkommensgrenze die Mindestsicherung beziehen, ist es in Kärnten nur ein Fünftel. Dies geht aus Berechnungen der Armutskonferenz auf Basis von Daten der Statistik Austria aus dem Jahr 2011 hervor.

von Gefaltete Hände bitten um Geld. © Bild: Thinkstock

Die Einkommensschwelle für den Bezug der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die vor drei Jahren die Sozialhilfe abgelöst hat, ist mit der Höhe der Mindestpensionen festgelegt - für das Jahr 2011 waren das 753 Euro für Einzelpersonen. Die Mindestsicherung haben in diesem Jahr 193.276 Personen bezogen, unter der Einkommensgrenze lagen jedoch rund 390.000 Menschen. Das heißt, dass rund 50 Prozent der Anspruchsberechtigten die Leistung auch tatsächlich bezogen haben. Sozialexperte Marin Schenk schränkte gegenüber der APA allerdings ein, dass nicht alle 390.000 Personen unter der Einkommensgrenze auch tatsächlich anspruchsberechtigt sind - etwa Migranten ohne Daueraufenthaltsrecht. Trotzdem betonte er aber, "sehr konservativ gerechnet" zu haben.


Auffallend sind dabei die deutlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. So haben in Kärnten nur 20 Prozent der Personen, die unter der Einkommensgrenze lebten, zumindest einmal im Jahr 2011 Mindestsicherung bezogen. In Oberösterreich waren es 24 Prozent, in Niederösterreich 32 Prozent, in der Steiermark 33, in Tirol 35, im Burgenland 36 und in Vorarlberg 48 Prozent. Über den österreichweiten Schnitt lagen nur die beiden damals rot regierten Länder Salzburg (59 Prozent) und Wien (77 Prozent).

Mehr Mindesthilfe-Bezieher in den Städten

27 Prozent der Bezieher sind Kinder und Jugendliche in Mindestsicherungshaushalten. 30 Prozent sind Beschäftigte mit niedrigem Einkommen oder Personen, die ihre Arbeitskraft nicht einsetzen können. Als Gründe führt die Armutskonferenz prekäre Jobs, nicht-existenzsichernde Notstandshilfeleistungen, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen und hohe Lebenshaltungskosten beim Wohnen an. Prekäre Jobs mit daraus folgendem nicht existenzsichernden Arbeitslosengeld nehmen zu. Die sogenannten "working poor" haben Anspruch auf "Richtsatzergänzungen".

In großen Städten ist nach den Berechnungen der Armutskonferenz die Inanspruchnahme wesentlich größer als am Land. Schenk hält in diesem Zusammenhang den Vorwurf vor allem von ÖVP-Seite für "nicht plausibel", dass die hohe Zahl der Bezieher in Wien an einem stärkeren Missbrauch liege. Dass in Wien 150.000 Anträge gestellt werden, in Niederösterreich hingegen nur 17.000 begründet Schenk damit, dass europaweit in allen Großstädten mehr einkommensarme Menschen leben, sich die Menschen in der anonymen Großstadt eher einen Antrag stellen trauen als in einer kleinen Gemeinde, wo jeder jeden kennt. Außerdem gebe es am Land weniger Mietwohnungen und mehr Eigenheimbesitzer, und die Menschen hätten oft Angst, ihr Haus sofort zu verlieren. Das Sozialamt trägt sich allerdings erst nach sechs Monaten ins Grundbuch ein.

Schenk kritisiert aber auch einen willkürlichen und bürgerunfreundlichen Vollzug in manchen Bundesländern. Den Vorwurf, dass die Sozialämter willkürlich handeln, wiesen im Ö1-"Morgenjournal" Vertreter der Sozialabteilungen der Länder Niederösterreich und Oberösterreich zurück. Sie betonten, dass alle zuständigen Mitarbeiter die notwendigen Schulungen erhielten und die Vorgaben für die Behörden in allen Bezirken gleich seien.

Hundstorfer sieht 2 Gründe für Unterschiede

Für Sozialminister Rudolf Hundstorfer sind zwei Gründe als ausschlaggebend dafür, dass die Mindestsicherung in Wien stärker in Anspruch genommen wird als in den Bundesländern. Wie er auf APA-Anfrage am Rande des Forum Alpbach ausführte, gebe es in der Bundeshauptstadt offenbar eine bessere Information bezüglich der Anspruchsberechtigung. Zudem verfügten in den Ländern mehr Personen, über Wohneigentum und scheuten sich, Mindestsicherung zu beantragen, da sich bei längerem Bezug die öffentlichen Stellen ins Grundbuch eintragen könnten. Auch sei es in kleineren Gemeinden oft unangenehmer, einen entsprechenden Antrag zu stellen, da man sich dort besser kenne.


Der Sozialminister ist jedenfalls bestrebt, dass jene, die die Mindestsicherung gemäß den gesetzlichen Voraussetzungen beziehen könnten, dies auch tun. Funktionieren könne dies nur über bessere Information, etwa dass die potenziellen Bezieher etwa vom AMS darauf hingewiesen werden, dass eine Aufstockung ihrer Bezüge auf Mindestsicherungsniveau möglich sei.

Landau für Evaluierung

Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau plädiert für eine Evaluierung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, damit jene, denen diese Unterstützung zusteht, diese auch tatsächlich erhalten. Angesicht der Entwicklung, dass rund die Hälfte der Berechtigten die Leistung nicht in Anspruch nehmen, werde man sich genau ansehen müssen, ob eine Überprüfung nicht dringend notwendig sei, sagte Landau am Montag in einer Aussendung.

Der Caritas-Direktor warnte einmal mehr davor, Menschen, die Mindestsicherung beziehen, zu stigmatisieren und für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen. "Wenn die Parteien Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten machen - so wie zuletzt vor wenigen Wochen - ist das beschämend. Außerdem führt eine solche Polemik nur dazu, dass die nicht gerechtfertigte Scham dieser Menschen weiter zunimmt. Mit einer Neiddebatte kommen wir nicht weiter."

Kommentare

Oberon

Die Anonymität in der Stadt ist sicher ein Grund, dass mehr Menschen die Mindestsicherung in Anspruch nehmen.
Ich hoffe, dass ich nie in die Situation komme, wo das nötig wäre. Hätte ich für nahestehende Menschen zu sorgen, könnte ich mich wahrscheinlich überwinden und einen Antrag stellen, für mich alleine würde ich wohl darauf verzichten.
Arm zu sein, bedeutet in UNSERER Welt, selber schuld!

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