Günther Platter: "Ich wäre am liebsten nach Hause gefahren"

Tirols Landeshauptmann Günther Platter tritt bei der vorgezogenen Landtagswahl am 25. September nicht mehr als Spitzenkandidat an. Im Abschiedsinterview spricht der 68-Jährige über sein politisches Erbe, die traumatische Nacht am Achensee und Entschuldigungen in der Politik.

von Sommertour - Günther Platter: "Ich wäre am liebsten nach Hause gefahren" © Bild: Ricardo Herrgott
Der 1954 geborene Zamser ist seit 1986 in der Politik. Er war Innenminister und Verteidigungsminister, bevor er 2008 Landeshauptmann von Tirol wurde. Bis 2013 regierte Günther Platter das Land gemeinsam mit der SPÖ, seit 2013 in einer Koalition mit den Grünen. Bei den vorgezogenen Wahlen am 25.9. tritt er nicht mehr an

Ihre letzten Wochen als aktiver Politiker fallen in einen Sommer der Krisen. Auf einmal stellen sich wieder Fragen, die lange undenkbar waren, zum Beispiel, ob ausreichend geheizt werden kann. Wie erleben Sie diese Zeit?
Es gibt derzeit schon eine herausfordernde Lage, eigentlich wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Einerseits die Pandemie, die noch nicht bewältigt ist, andererseits der Krieg in der Ukraine, wo unglaubliches Leid, Not und Elend herrschen. Die Inflation. Eine massive Teuerungswelle, mit der die Menschen konfrontiert sind. Und natürlich die Frage, wie ich meine Wohnung, mein Haus heizen kann. Man kann also schon sagen, dass es Zeiten der Verunsicherung für die Bevölkerung sind. Aber man muss in jeder schwierigen Situation auch eine Chance sehen. Und ich bin der Überzeugung, dass man auch diese Krisen mit Optimismus und klaren Entscheidungen gut bewältigen kann.

Nach Ihren politischen Zielen gefragt sagen Sie oft, die nächsten Generationen sollen es so gut haben wie wir heute. Glauben Sie wirklich, dass das so sein wird?
Ich glaube schon. Es ist immer mein Leitspruch und mein Zugang zu politischer Arbeit gewesen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es unsere Enkelkinder mindestens gleich gut haben wie wir jetzt. Ich habe mir zum Schluss meiner Periode natürlich Gedanken gemacht. Ich bin sehr viel auf den Bergen unterwegs. Bei mir zu Hause, da gehe ich immer wieder hinauf und habe auch einen schönen Platz, ähnlich wie hier, wo ich darüber nachdenke, wie meine Bilanz aussieht. Und ich möchte schon sagen, ich bin der Meinung, wir haben es gut gemacht. Und wir werden auch die aktuellen Krisen bewältigen. Wir müssen den Menschen Zuversicht geben. Das ist auch Aufgabe der Politik.

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Eine Krise, die sich nicht so schnell lösen lassen wird, ist die Klimakrise. Ist in Ihrer Amtszeit genug passiert, um Ihr Bundesland auf die großen, tiefgreifenden Veränderungen, die bevorstehen, vorzubereiten?
Natürlich, die Inflation wird sich wieder erholen, aber die Klimasituation ist, wenn man eine langfristige Perspektive annimmt, die größte Herausforderung. Wir haben daher in Tirol mit der schwarz-grünen Regierung eine Nachhaltigkeits- und Klimastrategie entwickelt, die wir sukzessive auch umsetzen. Wir bauen keine neuen Skigebiete und haben auch einen Deckel eingezogen beim Bau von neuen Hotels. Anton Mattle hat erst kürzlich dem Sommerskilauf auf den Gletschern eine Absage erteilt. Ich bin derselben Meinung.

Glauben Sie, dass das bestehende Niveau überhaupt gehalten werden kann? Laut Studien werden gerade die östlichen Teile Tirols künftig unter massiver Schneearmut leiden, was noch viel mehr Beschneiudng notwendig machen wird. Man sieht in der derzeitigen Situation ja, wie prekär das ist.
Man muss jetzt schon auch aufpassen, dass man dem Winterskilauf nicht eine totale Absage erteilt. Das wäre auch falsch. Tirol besteht nicht nur aus Tourismus, aber er spielt natürlich eine große Rolle und hat Wohlstand und Beschäftigung in die Täler gebracht. Aber es braucht immer wieder eine Anpassung der Strategie. Und man muss den Deckel draufhalten. Immer mehr, immer höher, immer weiter, das ist nicht die Ansage. Immer mehr Qualität, das ist unser Ziel. Aber wir setzen natürlich weiterhin auch auf unseren Tourismus.

Wird Skifahren irgendwann zu teuer, wenn der technische Aufwand zu hoch wird?
Das ist ein Wellental. Wenn ich mir anschaue, wie teuer Benzin, Öl, Diesel in den 70er-, 80er-Jahren waren, und dann ist es wieder runtergegangen. Das, was wir jetzt erleben, wird auch so ein Wellental sein. Aber mit der Ressource Wasser muss man schon sehr behutsam umgehen. Wir leben Gott sei Dank in einem wunderschönen Land, wo wir ausreichend Wasser zur Verfügung haben. Das Thema Wassersparen, auch im privaten Bereich, ist eine wichtige Angelegenheit.

»Wir müssen den Menschen Zuversicht geben. Das ist auch Aufgabe der Politik«

Kommen wir zu einem anderen Thema. Sie haben in einem Interview mit der Krone gesagt, dass Politikern seit Beginn der Pandemie "eine unglaubliche Kälte" entgegenschlägt.
Das Klima gegenüber Politikern ist abgekühlt.

Wie meinen Sie das genau?
Diese Pandemie war eine Zäsur. Wir sind ja mit Ischgl ganz besonders betroffen gewesen. Wir haben damals als Erste die Entscheidung getroffen, was die Quarantäne betrifft. Wir waren die Ersten, die die Wintersaison abgesagt haben. Damals war das Verständnis seitens der Bevölkerung noch relativ groß. Je länger es gedauert hat, desto weniger Verständnis hat es für einschneidende Entscheidungen gegeben. Ich möchte zwei Bereiche erwähnen. Der erste ist, dass die Verrohung der Sprache in der Politik deutlich spürbar geworden ist. Das ist etwas, was man zutiefst ablehnen muss. Ich kann nur die Bitte äußern, allen Menschen mit Respekt gegenüberzutreten. Und andererseits habe ich natürlich viele persönliche Anfeindungen erlebt bis hin zu Morddrohungen auch gegenüber der eigenen Familie. Die Politik muss sich überlegen, wie wir mit der Bevölkerung umgehen. Aber auch Teile der Bevölkerung müssen sich überlegen, wie sie mit der Politik umgehen. Hinter jeder Politikerin und jedem Politiker steht ein Mensch und eine Familie.

Waren diese Brüche vorher schon da und sind durch die Pandemie nur sichtbarer geworden, oder sind sie während der Pandemie entstanden?
Ich habe diese Erlebnisse nach dem Gipfel am Achensee gehabt. Wo ich -es ist ja bekannt -in ganz, ganz großer Sorge war, was die Entscheidung betroffen hat, einen Lockdown für alle in Kombination mit der Impfpflicht zu verhängen. Vielleicht schien diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt richtig, aber so eine Entscheidung soll man nicht über Nacht treffen, das sind schwerwiegende Maßnahmen, die einfach so dahergekommen sind. In der Früh wäre ich am liebsten nach Hause gefahren. Aber als Gastgeber und Vorsitzender der LH-Konferenz muss man die demokratische Entscheidung akzeptieren, und ich habe es dann natürlich mitgetragen. Von diesem Zeitpunkt an waren die Anfeindungen ganz massiv, weil ich ja das Gesicht dieser Maßnahmen bei der Pressekonferenz war, die anderen sind gekommen und wieder gefahren.

Ich persönlich glaube ja, dass die übereilte Ankündigung der Impfpflicht ein Fehler war, der viel Vertrauen gekostet hat. Hätte man im Nachhinein dafür entschuldigen müssen oder zumindest Selbstkritik äußern?
Ich glaube, was man allen zugestehen muss, ist, dass man zum jeweiligen Zeitpunkt bemüht war, nach bestem Wissen und Gewissen die richtige Entscheidung zu treffen. Alle Landeshauptleute und auch die damalige Bundesregierung haben es im Interesse der Bevölkerung getan, damit das Gesundheitssystem nicht kollabiert. Dass sich das im Nachhinein anders entwickelt hat, hängt auch damit zusammen, dass das Virus sich immer verändert. Man kann nicht generell sagen, dass zu dem Zeitpunkt alles falsch gemacht wurde. Deshalb möchte ich auch niemandem einen Vorwurf machen. Ich weiß nicht, ob meine Meinung damals die richtige gewesen wäre.

© Ricardo Herrgott Das News-Interview mit Platter fand auf dem Gelände der Bergisel-Schanze statt. Für die Fotos erklomm der Landeshauptmann angstfrei den Schanzenturm, von dem sonst die Skispringer starten

Eine Entschuldigung muss ja nicht gleich bedeuten, dass man sich unterwürfig in den Staub wirft. Aber sie könnte helfen, wieder aufeinander zuzugehen, und Einblick in die damaligen Reflexionsprozesse geben. Warum kommt es in der Politik so selten vor, dass sich jemand entschuldigt?
Man muss schon immer genau überlegen, wann man das macht. Entschuldigen bedeutet Schuld. Dass man schuldig ist, das hat niemand verdient, der diese politische Verantwortung übernommen hat. Man bedauert im Nachhinein, dass etwas eine andere Entwicklung genommen hat. Man stellt im Nachhinein fest, man hätte etwas anders machen können. Dieses Bedauern ist natürlich immer wieder da. Aber ich möchte hier schon einen Unterschied machen.

Sie haben die Drohungen gegen sich und ihre Familie als einen Mitgrund für Ihren Rückzug aus der Politik angegeben. Sie sind nicht der erste Politiker, der sich - auch - deswegen zurückzieht. Ein Alarmsignal für unsere Demokratie?
Ich komme noch einmal zurück auf das, was ich vorher gesagt habe. Wir brauchen eine neue gegenseitige Wertschätzung. Man muss sich gegenüber der Bevölkerung gut überlegen, was man verspricht und was man halten kann. Und nicht nur Schlagzeilen produzieren, und dann ist die Bevölkerung verunsichert, weil es so nicht eintritt. Man sollte in der Politik schon auch manchmal darüber schlafen und sich überlegen, was das Richtige ist. Aber andererseits müssen auch Teile der Bevölkerung sich überlegen, wie sie mit der Politik umgehen. Ich kenne viele, die an Politik interessiert sind, aber sagen, ich tu mir das nicht an. Das ist schon ein Alarmsignal. Denn wir brauchen die besten Leute in der Politik, auf allen Ebenen.

Sie haben Ihren Rückzug angesprochen. Finden Sie immer noch, dass es richtig war, bei der vorgezogenen Landtagswahl nicht mehr anzutreten und stattdessen Anton Mattle ins Rennen zu schicken?
Das war absolut die richtige Entscheidung, ich habe es mir ja sehr lange überlegt. Das war ein langer Prozess, ausgehend von diesen gesamten Situationen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir mit Mattle einen tollen Spitzenkandidaten zur Verfügung haben. Ein Mensch, der verlässlich ist, der die Leute mag, der Handlungsfähigkeit zeigt. Ich glaube wir brauchen momentan nicht irgendwelche Superstars in der Politik, wir brauchen Leute, die tagtäglich für die Leute im Land arbeiten.

Aber er hat es nicht leicht. Die Umfragewerte sind sehr schlecht, und er hat nur wenige Wochen Zeit, ein Wunder zu bewirken.
Apropos Wunder. Die Situation von 2018 kann man mit der jetzigen Situation nicht vergleichen, das war nicht die Normalität. Aber ich erinnere mich an das Jahr 2013, da lagen wir laut Umfragen in Medien wenige Wochen vor der Wahl auch bei 30 Prozent. Und dann waren es am Wahltag knapp 40. Wir werden sicher wieder deutlich Erste werden.

»Wir brauchen momentan nicht Superstars in der Politik, wir brauchen Leute, die tagtäglich für die Leute im Land arbeiten«

Davon gehe ich aus. Es ist immerhin Tirol. Aber wie erklären Sie sich die schlechten Umfragewerte? Liegt es an Fehlern, die im Land passiert sind, oder an der Performance der Bundesregierung?
Die Verunsicherung in der Bevölkerung angesichts der vielen Krisen trifft natürlich am meisten die Regierenden. Damit hat es hauptsächlich zu tun.

Man hört, Kanzler Nehammer, dessen Bundespartei in Umfragen gar bei 20 Prozent herumgrundelt, sei im Tiroler Wahlkampf nicht erwünscht. Stimmt das?
Das stimmt nicht. Ich bin mit Karl Nehammer sehr gut verbunden, und er wird auch in Tirol sein, das ist überhaupt keine Frage. Anton Mattle ist mit ihm, insbesondere was die Strompreisbremse betrifft, engstens abgestimmt und fordert logischerweise ein, dass hier rasch Entscheidungen getroffen werden. Aber dass Nehammer in Tirol nicht erwünscht ist, stimmt nicht.

Dabei steht nicht einmal mehr ÖVP auf dem Wahlzettel.
Bei mir ist auch gestanden "Günther Platter Tiroler Volkspartei". In der Politik braucht man einen Spitzenkandidaten und ein Team, die müssen sich ergänzen, und das bildet sich auf dem Wahlzettel ab. Die Bevölkerung soll ja wissen, wen sie zum Landeshauptmann wählt.

Trotzdem: Die Performance der Bundesregierung hat Sie 2018, noch unter Sebastian Kurz, hinaufgezogen, jetzt zieht sie Sie hinunter. Können Sie mit dem, was Schwarz-Grün in Wien leistet, zufrieden sein?
Wenn man in solchen Zeiten in der Bundesregierung tätig ist -und ich weiß, wovon ich spreche, ich war selbst lange genug Minister -, kann man es eigentlich niemandem recht machen. Ich denke, die Unterstützungsleistungen während der Pandemie, die jetzt wieder in Diskussion geraten sind, waren enorm und wichtig. Es hat wenige Betriebe gegeben, die wegen der Pandemie zusperren mussten. Aber trotzdem wird das alles natürlich kritisiert und von der Opposition negativ dargestellt. Genauso jetzt bei der Teuerungswelle. Man kann nicht hundertprozentig alles abfedern, denn das muss ja auch jemand bezahlen. Ich will nicht, dass zukünftige Generationen auf einem Schuldenberg sitzen.

Tut die Regierung genug gegen die Teuerungen?
Ich erwarte mir, dass beim Strompreis rasch eine Entscheidung getroffen wird. Aber es wurde im Vergleich zu anderen Staaten in der Europäischen Union eigentlich am meisten gemacht. Und irgendwann muss die Regierung eine Grenze ziehen.

Es gibt angeblich sogar innerhalb der Partei Unzufriedenheit mit Nehammer.
Die Diskussion ist völlig überflüssig. Ich weiß nicht, woher die Gerüchte kommen. Wir haben heuer ja kein Sommerloch, aber normalerweise würde ich sagen, diese Personaldiskussion ist dem Sommerloch geschuldet.

Das Interview erschien ursprünglich im News 33/2022.