Der Sommer des Kanzlers

Karl Nehammer hat Festspielbesuche und Urlaub abgesagt, denn es gibt viel zu tun. Der Bundeskanzler und ÖVP-Chef muss Richtung finden und vorgeben

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Ob Karl Nehammer den Eröffnungen der Salzburger und Bregenzer Festspiele lauscht, ob er sich beim Neujahrskonzert verstohlen die Augen rubbelt, weil die Nacht halt kurz war, oder ob er diesen Ereignissen österreichischer Hochkultur fernbleibt, ist im Grunde genommen völlig egal. Als Bundeskanzler muss er den Wert und die Wichtigkeit von Kunst und Kultur kennen. Er muss alles tun, damit die Künstlerinnen und Künstler ihre Freiheit haben. Er muss dafür sorgen, dass genug Geld von staatlicher Seite da ist und ungehindert gespielt, gesungen, gedacht, geschrieben, gemalt usw. werden kann. Wenn er sich selbst als Festspielgast - Achtung: Wortspiel - fehlbesetzt sieht, sei's drum. Ob die demonstrative Absage seines Besuchs dazu taugt, in die Rolle des krisenfesten Kanzlers zu finden, die er im Dezember als demütig Lernender angetragen hat und die ihm derzeit in der Inflations-, der Energie-, der Coronakrise entglitten ist? Eher nicht.

Dass Nehammer in einem Aufwaschen auch den Familienurlaub in Griechenland ausfallen lässt, ist schade. Man merkt, dass Nehammer die Zeit mit Frau und Kindern wichtig ist. Viel zu selten lassen Politiker erkennen, dass sie auch Familienmenschen sind, denen Dinge nahegehen. Und: Wie auch immer das Krisenmanagement in weiterer Folge ausfällt -mit erschöpften Politikern wird es sicher nicht besser. Statt Besucher zu sein, empfängt Nehammer nun Besucher - Viktor Orbán war für Donnerstag, nach Redaktionsschluss, angesagt. Der ungarische Premier hielt kurz zuvor eine skandalöse Rede, die wieder einmal zeigte, wie weit weg er von europäischen Werten ist und wie weit rechts er mit seinen da vorgetragenen Rassentheorien und Holocaust-Witzen steht. Die Einladung an Orbán erfolgte schon vor dieser Rede. Wenn's eng wird für die ÖVP, zückt diese weiterhin das "Ausländer"-Ticket, schon Kurz suchte die Nähe zum starken Mann im Nachbarland. Rainer Nowak von der "Presse" wusste zuletzt zu berichten, dass die SPÖ mittlerweile -entgegen der "Vranitzky-Doktrin" - die FPÖ nicht mehr als Koalitionspartner ausschließe.

»"Weit haben wir es gebracht", muss sich die ÖVP denken. Die SPÖ allerdings auch.«

Weil's eh schon wurscht ist, ob man die Schwarz/Türkisen oder gleich die Blauen ins Boot hole. "Weit haben wir es gebracht", muss sich die ÖVP da denken. Die SPÖ allerdings auch, sollte es zu so einem Bündnis je kommen.

Nehammer wird in diesem Sommer dennoch viel unterwegs sein. Er plant eine Österreich-Tour. Da geht es auch um Krisenmanagement, aber um parteiinternes. Der Parteichef sucht das Gespräch mit Funktionärinnen und Funktionären. Die sind frustriert. Die ÖVP liegt in den Umfragen heute ungefähr dort, wo sie vor der Episode Kurz war. Damals galt sie als unmodern und bieder. Heute als skandalgebeutelt. Nehammer wird den Anhängerinnen und Anhängern seiner Partei mehr bieten müssen als das Lamento von einer " vereinten Front" gegen die ÖVP.

"Aus Mangel an Antwort stirbt unsere Unterhaltung eines natürlichen Todes", schrieb Johann Nepomuk Nestroy. Der steht heuer weder in Bregenz noch in Salzburg am Programm. Was passiert, wenn Nehammer seinen Leuten und darüber hinaus den Menschen in diesem Land Antworten schuldig bleibt, kann man sich denken.

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