Wie (un)gesund leben
die Österreicher?

Wo liegen die gesundheitlichen Baustellen? Und wie können wir sie beseitigen?

Eines gleich mal vorweg: "Die Österreicher waren noch nie so gesund wie heute", lobt Prof. Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin der MedUni Wien. Luft nach oben hin gebe es dennoch. Wo also liegen die gesundheitlichen Baustellen? Wie können wir sie beseitigen? Und warum hält sich manch Problem so hartnäckig? Der Experte gibt Aufschluss.

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Teures Gut - Wie (un)gesund leben
die Österreicher?

14 Prozent der Österreicher, so das Ergebnis einer aktuellen Studie, haben ein Alkoholproblem. Das sind immerhin vier Prozent weniger als noch vor zwanzig Jahren. Dennoch liegt Österreich im europäischen Vergleich auf Platz fünf der meisttrinkenden Länder. Im Gegensatz zu anderen Kulturen ist der Alkoholkonsum hierzulande sozial akzeptiert. "Wir können Alkohol zu jeder Tages- und Nachtzeit in beinah unbeschränkter Menge kaufen und konsumieren", gibt Kunze zu bedenken. Und wie die Praxis zeigt, werden Suchtmittel, die leicht verfügbar sind, auch häufiger konsumiert.

Österreich hat ein Alkoholproblem

Dabei ginge es nicht um das abendliche Achterl. Problematisch sei der Konsum dann, wenn Alkohol als eine Art Medikament eingesetzt wird. Etwa um bestimmte Situationen besser zu meistern oder Ängste zu lindern. Wie aber kann man hier gegensteuern? Diese Frage wird dem Wiener Sozialmediziner zufolge gerne mit dem Ruf nach mehr Aufklärung bei Jugendlichen beantwortet. Er selbst jedoch meint: "Man sollte nicht in der Schule beginnen, sondern bei den Erwachsenen." Denn: "Junge Leute werden immer etwas ausprobieren." Und hat in der älteren Generation erst mal ein Umdenken stattgefunden, würde sich dieser Trend auch bei den Jüngeren widerspiegeln.

Der wohl am besten geeignete Hebel für eine Abkehr vom übermäßigen Alkoholkonsum ist dem Experten zufolge die Preispolitik. Nach dem Motto: Was teurer ist, wird seltener gekauft. "Es ist wissenschaftlich gesichert, dass das funktioniert." In der Alkohol- ebenso wie in der Tabakindustrie. Ein Beispiel: In Australien kostet eine Schachtel Zigaretten derzeit rund 18 Euro. Der Anteil an Rauchern in der Bevölkerung ist zwischen 1993 und 2013 von 25 auf 15 Prozent gesunken. Der Preis soll übrigens weiter steigen: Ab 2020 wird man in Sydney und Co. für ein Päckchen umgerechnet 30 Euro berappen müssen.

»Der starke Raucher aus bildungsnahen Schichten wird immer mehr zur Seltenheit«

"Der starke Raucher aus bildungsnahen Schichten wird immer mehr zur Seltenheit", so Kunze. Am meisten geraucht werde heute in bildungsfernen Schichten. Eine Preispolitik nach australischem Vorbild würde damit bei genau jener Gruppe ansetzen, bei der das Problem am stärksten ausgeprägt ist. Und obwohl rund 700.000 Menschen in Österreich hochgradig tabakabhängig sind und jährlich bis zu 14.000 Österreicher an den Folgen des Rauchens sterben, hakt es an der Umsetzung. Warum? "Weil der Gesundheitsbereich hier nicht die entsprechende Kompetenz hat."

Alternativen zur Zigarette

Maßnahmen werden gesetzt. Dem Experten zufolge jedoch nur halbherzig. Ob die Einführung von Schockbildern und die Anhebung der Altersgrenze für den Tabakkauf auf 18 Jahre den gewünschten Erfolg bringen werden, wird sich weisen. Abgesehen davon müsse die Palette medikamentöser Nikotinersatzprodukte um solche erweitert werden, die zum Beispiel auch in der Trafik gekauft werden können. "Man braucht Produkte, die Nikotin enthalten, aber nicht verbrannt werden." Wie etwa Snus, das sich in Schweden seit jeher großer Beliebtheit erfreut.

Hierbei handelt es sich um mit gemahlenem Tabak gefüllte Säckchen, dessen Nikotin über die Mundschleimhaut aufgenommen wird. Der Tabakkonsum der Schweden ist mit dem der Österreicher vergleichbar. "Aber nur halb so viele erkranken in Schweden an Lungenkrebs". Insofern laute die Frage: Ist man Fundamentalist oder Realist? "Der Fundamentalist sagt, man müsse komplett auf Nikotin verzichten. Ich bin Realist. Menschen haben immer versucht, ihre Stimmung mit diversen Produkten zu regulieren. Die Frage ist nur: Wie geht das möglichst ungefährlich?"

»Früher hat man gegessen, was da war. Heute kann man immer essen. Das schafft ein Problem«

So viel zu den Suchtmitteln. Und wie ist es um unsere Ernährung bestellt? "Hier gibt es ein einziges Problem. Das ist allerdings gewaltig: der wahnwitzige Überfluss." 90 Prozent der Produkte, die angeboten werden, brauchen wir laut Kunze nicht zum Überleben. "Die menschliche Geschichte ist eine Geschichte des Mangels. Es gab Zeiten, zu denen es nicht genug zu essen gegeben hat. Dieses Problem haben wir heute nicht. Im Gegenteil." Heute laufen wir Gefahr, mehr zu konsumieren als tatsächlich notwendig ist. "Früher hat man gegessen, was da war. Heute kann man immer essen. Das schafft ein Problem."

Lebensmittelindustrie nicht verteufeln

Zu viel Fett, zu viel Zucker. Ganz abgesehen von Konservierungsmitteln. Der schwarze Peter wird gerne der Lebensmittelindustrie zugeschoben. Zu Unrecht, wie Kunze meint. "Die Nahrungsmittel sind heute viel sicherer noch vor 30, 40 Jahren." Klar, die Anbieter wissen, was sich gut verkauft. So finden wir im Supermarkt unter anderem meterlange mit Süßigkeiten gefüllte Regale. Die Verantwortung trage aber der Konsument. "Es liegt an uns, was wir uns kaufen." Und um ein weiteres Beispiel zu nennen: "McDonald's ist nicht schuld. Die Leute müssen ja nicht hineingehen."

Reglementierungen auf Produktebene würden das Problem der ungesunden Ernährung nicht lösen. "Würde man eine Fettsteuer einführen, müsste man Olivenöl anders besteuern als Schmalz. Bei einer Topfengolatsche müsste man genau ausweisen, wie viel Fett in ihr steckt. Man müsste den Fettgehalt von zigtausenden Produkten erfassen. Das geht nicht. Das ist zu kompliziert. Dafür bräuchte man einen Überwachungsstaat. Gott sei Dank dürfen wir noch das konsumieren, was wir wollen." Gleichzeitig müssten wir lernen, mit dieser Freiheit umzugehen.

»Gott sei Dank dürfen wir noch das konsumieren, was wir wollen«

Abgesehen davon hält Kunze von generalisierten Ernährungsempfehlungen wenig. "Zu sagen, das ganze Essen ist zu fett oder zu süß, ist dumm." Nicht jeder müsse sich ernährungstechnisch kasteien. "Warum kein Schmalzbrot essen, wenn die Cholesterinwerte und das Gewicht in Ordnung sind?" Der Experte plädiert für individuell angepasste Empfehlungen. Und dafür, sich möglichst oft auf die Waage zu stellen. "Damit einem das Gewicht nicht davonsaust." Apropos Gewicht: Österreich hat nicht nur ein Über-, sondern auch ein Untergewichtsproblem. Von Letzterem betroffen seien vor allem junge Frauen.

Aufholbedarf in Sachen Bewegung

Aufpassen müsse man dem Sozialmediziner zufolge auch bei veganer Ernährung. "Dass es hier nicht zu einer Mangelversorgung kommt. Jede einseitige Ernährung macht mittelfristig ein Problem." Schließlich wäre da noch die Bewegung. Eine 2016 veröffentlichte Umfrage zeigt: Die Österreicher sind regelrechte Bewegungsmuffel: 31 Prozent betreiben nie, 17 Prozent nur selten Sport. Dieser Lebensbereich ist also noch ausbaufähig. Wobei Kunze bewusst nicht von Sport spricht. Vielmehr empfiehlt er, die Bewegung in den Alltag einzubauen.

"Mehr zu Fuß gehen, eine Station früher aussteigen. Den Drucker möglichst weit vom Schreibtisch entfernt aufstellen, aufstehen, hingehen. Stehungen statt Sitzungen machen." Denn: Der Mensch sei nicht zum Sitzen gebaut. Bewegung ist Kunze zufolge ein zentrales Element für unsere Gesundheit. Sie beeinflusst unseren Stoffwechsel und wirkt sich indirekt auf unseren Lebensstil aus. Der, alles in allem, nun ja auch wieder nicht ganz so schlecht sein kann, sind die Österreicher, wie der Sozialmediziner betont, heute doch so gesund wie noch nie.