Hirscher!
... und dann lange nichts

Österreich ist seit fast 30 Jahren die Skination Nummer eins. Trotzdem gehen dem ÖSV schön langsam die Toptalente aus. Jetzt soll die Nachwuchsarbeit auf völlig neue Beine gestellt werden - unter dem Motto: mehr Klasse statt Masse!

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Ski-Nachwuchs - Hirscher!
... und dann lange nichts

Der Doppelsieg in der Abfahrt beim Weltcupfinale in Are durch Vincent Kriechmayr und Matthias Mayer war Balsam auf der Seele der österreichichen Speedspezialisten. Über ein Jahr hatte bis dahin die ÖSV-Durststrecke in der alpinen "Königsdisziplin" gedauert. Damit holte das Herrenteam 17 Siege in diesem Weltcupwinter. Aber: Allein 13 davon gehen auf das Konto von Marcel Hirscher. Am Sonntag holte sich der 29-jährige Salzburger nicht nur seine siebente "große Kristallkugel" in Serie für den Gewinn des Gesamtweltcups ab, sondern auch zwei "kleine" für die Disziplinenwertungen in Slalom und Riesentorlauf. Seit dem Weltcupwinter 2011 hat Marcel Hirscher 17 Kristallkugeln gewonnen. Die anderen Österreicher spielen dagegen schon seit Jahren im Kampf um den Gesamtweltcup oder um die Disziplinenwertungen fast keine Rolle mehr.

Rückblende: Vor 20 Jahren, beim Weltcup-Finale in Crans-Montana, steigerte sich das ÖSV-Herrenteam in einen regelrechten "Kristallrausch" hinein: Nicht nur, dass Hermann Maier nach fast 30 Jahren wieder den Gesamtweltcup nach Österreich holte (vor Andreas Schifferer und Stephan Eberharter), auch die "kleinen Kristallkugeln" aller fünf Disziplinenwertungen gingen ausschließlich an ÖSV-Athleten. Mehr noch: In den 35 Saisonrennen feierten die Österreicher damals 25 Siege durch acht verschiedene Rennläufer (zehn davon Hermann Maier).

Neue Ideen sind gefragt

ÖSV-Langzeitpräsident Peter Schröcksnadel hält nichts von Schwarzmalerei, im Gegenteil: "Wir haben vielleicht nicht mehr eine derart breite Spitze wie vor 20 Jahren, aber wir sind in der Nationenwertung noch immer die Skination Nummer eins. Tatsache ist, dass die anderen Nationen aufholen, weil sie unser System kopiert haben. Daher müssen wir uns wieder etwas Neues einfallen lassen und unseren Vorsprung ausbauen. Ich bin mir aber sicher, dass wir nach Marcel Hirscher wieder den einen oder anderen österreichischen Topfahrer haben. Das war nach Hermann Maier so, nach Stephan Eberharter und auch nach Benni Raich."

Allerdings hat Schröcksnadel erkannt, dass in den letzten Jahren aus dem ÖSV-Nachwuchs zu wenig nachkommt: "Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und tun das auch, indem wir unser Trainings-und Ausbildungssystem permanent überprüfen. Wir haben zum Beispiel auf allen Ebenen kleinere Trainingsgruppen eingeführt, um unsere Athleten noch individueller betreuen zu können. Und wir sind dabei, die Nachwuchsarbeit gemeinsam mit den Vereinen, den Landesverbänden und den Schwerpunktschulen wie Stams oder Schladming zu optimieren."

Weg vom Kirchturmdenken

Vor eineinhalb Jahren hat der ÖSV-Präsident deshalb mit dem Ex-Rennläufer Christian Greber einen neuen Nachwuchschef installiert. Die ersten Analysen des 46-jährigen Vorarlbergers, der nach dem Ende seiner Weltcupkarriere in der Rennsportabteilung der Skifirma Head hautnah die Trainings-und Ausbildungssysteme anderer Skinationen wie Norwegen, Schweiz oder USA hautnah studieren konnte, fallen ernüchternd aus: "Wir haben heute 50 Prozent weniger Breite an der Spitze als noch vor zehn oder 15 Jahren. Auch was unsere Erfolge im Nachwuchsbereich betrifft, geht es eigentlich stetig bergab. Dafür gibt es viele Gründe, daher müssen wir auch an vielen Schrauben drehen. Wir sollten uns jedenfalls so rasch wie möglich vom nach wie vor im österreichischen Skisport weit verbreiteten Kirchturmdenken verabschieden und ohne Scheuklappen neue Wege versuchen."

»Es hat sich bei uns im Nachwuchs eine gewisse Bequemlichkeit eingeschlichen«

Als Sofortmaßnahme hat Greber mit voller Rückendeckung durch den Präsidenten zwei Trainingsgruppen mit den jeweils vier besten männlichen Talenten der Geburtsjahrgänge 2000 und 2001 ins Leben gerufen, die individuell und hochprofessionell so schnell wie möglich an größere Aufgaben herangeführt werden sollen. Eine solche Nachwuchs-Elitegruppe gibt es nun auch für 16-und 17-jährige weibliche Talente. Ein besonderes Augenmerk wird dabei in Zukunft auf die körperliche und mentale Fitness gelegt. Angedacht sind zum Beispiel österreichweite verbindliche sportmotorische Tests ab dem Schüleralter, die dann Voraussetzung für die Aufnahme in einen Landes-oder ÖSV-Kader sind. Ein solcher "Power Test" ist im Schweizer Skiverband seit zehn Jahren Standard. Greber: "Wir haben in den letzten Jahren unsere Talente zu spät dem Wettkampfstress ausgesetzt. Aber je früher man damit beginnt, umso höher sind die Erfolgschancen später auf Europacupoder Weltcupebene. Es hat sich in den diversen ÖSV-Kadern vielleicht eine gewisse Bequemlichkeit eingeschlichen. Noch zu meiner aktiven Zeit bist du mit drei Messern im Rücken ins Rennen gegangen."

Der Europacup, die "2. Liga" der internationalen FIS-Rennen, wird zwar nach wie vor von den Österreichern dominiert. Aktuell rangieren in der Europacup-Gesamtwertung drei ÖSV-Läufer an der Spitze. Der Haken: Leader Johannes Strolz ist bereits 25 Jahre alt, also in einem Alter, in dem zum Beispiel Marcel Hirscher schon dreifacher Gesamtweltcupsieger war. Der Vorarlberger Strolz dagegen erzielte erst heuer im März beim Riesentorlauf in Kranjska Gora mit Platz 22 sein bislang bestes Weltcupergebnis. Herren-Cheftrainer Andreas Puelacher kündigte deshalb im Dezember ein Ende der "Wohlfühloase Europacup" an: "Das Ausweichen in den Europacup kann es auf Dauer nicht mehr geben. Diese Rennläufer müssen jetzt endlich auch im Weltcup stechen. Für den Aufwand, den wir betreiben, waren ihre Ergebnisse in den letzten Jahren eindeutig zu wenig."

Debakel der Junioren

Für Christian Greber ist klar, dass es sich bei seiner Arbeit um ein Langzeitprojekt handelt. Der Schweizer Skiverband zum Beispiel hat seine Nachwuchsarbeit vor mehr als zehn Jahren auf völlig neue Beine gestellt. Erste Erfolge stellen sich aber erst seit Kurzem ein.

Bei der Junioren-Weltmeisterschaft 2018 in Davos fuhr der 20-jährige Marco Odermatt die Konkurrenz in Grund und Boden, krönte sich zum fünffachen Juniorenweltmeister. Ganz ähnlich hatte vor zehn Jahren bei der Junioren-WM 2008 auch der steile Aufstieg von Marcel Hirscher zur Nummer eins der Welt begonnen, mit Gold in Slalom und Riesentorlauf. Bei der diesjährigen Junioren-WM gab es für die ÖSV-Vertreter dagegen nichts zu holen. In der Abfahrt landete der beste Österreicher auf Platz zwölf.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe von News Nr. 11/2018 erschienen.