Sigi Maurer: "Die Tür zur ÖVP hat sich weiter geöffnet"

Die grüne Verhandlerin über die Chancen einer Koalition und ihre polarisierende Persönlichkeit

Sigi Maurer galt als mögliche Hürde für eine türkis-grüne Regierung. Nun wird ernsthaft über eine Koalition zwischen ÖVP und Grünen verhandelt. Was die stellvertretende Klubchefin der Öko-Partei dazu sagt, wie hoch sie die Chancen auf ein Regierungsübereinkommen einschätzt und wieso sie so polarisiert.

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Interview - Sigi Maurer: "Die Tür zur ÖVP hat sich weiter geöffnet"

Die Grünen werden mit der ÖVP über eine mögliche Koalition verhandeln, das ist fix. Wie ist das Gefühl, die Stimmung jetzt bei den Grünen? Überwiegt die Freude oder ist man eher nervös und angespannt?
Sigrid Maurer: Ich glaube, es ist eine Mischung aus allem. Es ist natürlich schon eine neue Situation für uns und es werden sicher sehr herausfordernde Verhandlungen. Aber es gibt ein großes Commitment und den Wunsch, das zu versuchen, um die Veränderungen, für die wir im Wahlkampf gerannt sind, jetzt auch tatsächlich in die Umsetzung zu bringen. Da sind wir schon sehr gespannt.

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Die Grünen haben auch 2003 schon mit der ÖVP verhandelt, allerdings ohne Erfolg. Warum könnte es dieses Mal anders ausgehen als vor 16 Jahren?
Ich glaube schon, dass sich die Gesamtsituation geändert hat. Die Rahmenbedingungen sind sehr drängend, insbesondere den Klimaschutz betreffend. Andererseits ist die FPÖ in Regierung so unfassbar schädlich, dass das keine Alternative ist. Das bedeutet nicht, dass wir eine Koalition zu jedem Preis eingehen, aber dass wir ernsthaft verhandeln müssen und schauen, was geht.

Das heißt, wenn es mit Türkis-Grün nichts werden sollte, kommt Ihrer Meinung nach automatisch wieder die FPÖ zum Zug?
Das kann ich grundsätzlich nicht beurteilen. Natürlich ist es ein Drohszenario, auch weil es ja doch Leute wie Johanna Mikl-Leitner gibt, die das nicht ausschließen. Ob es ein Automatismus ist, weiß ich nicht, diese Frage muss man Sebastian Kurz stellen.

»Ich würde schon sagen, dass sich im Vergleich zum Wahlabend, die Tür weiter geöffnet hat. «

Sie sagten am Wahlabend, für eine mögliche Koalition müsste die ÖVP eine „komplette Wende“ hinlegen, denn es gäbe „keine Schnittmenge“. Hat sich diese Ansicht inzwischen ein bisschen verschoben?
Das hat sich auf bestimmte Themenbereiche bezogen. Aber grundsätzlich ist natürlich klar: Wir sind angetreten für den Klimaschutz, um da ganz massiv hineinzugehen und das war auf ÖVP-Seite nicht so prioritär. Da musste sich was drehen und ich glaube, dass es grundsätzlich inzwischen gesickert ist, dass es da Veränderungen braucht. Die Frage, ob diese Erkenntnis weit genug geht und ob Sebastian Kurz bereit ist, den Schritt in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu machen, werden die Verhandlungen erst ergeben. Aber ich würde schon sagen, dass sich im Vergleich zum Wahlabend, die Tür durch die Sondierungen weiter geöffnet hat.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen, dass es zu einer Koalition kommt, ein? Ihr Kollege Michel Reimon, der ebenfalls als großer Kritiker der Kurz-ÖVP gilt, sagte, er sehe die Chancen bei über 50 Prozent. Was sagen Sie?
Da würde ich jetzt Michel Reimon zitieren. Ich würde sagen, es ist ziemlich 50/50.

Er sagt aber ein bisschen über 50 Prozent…
Sagen wir 50/50.

Es gibt in der Bevölkerung große Zustimmung zu Türkis-Grün. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die befürchten, die Grünen würden damit ins offene Messer laufen und an der Kurz-ÖVP zerrieben werden. Eine im Internet gern geteilte Illustration dazu zeigt Sebastian Kurz als Sensenmann an die Tür der Grünen klopfend…
Das habe ich noch gar nicht gesehen, ich habe gerade keine Zeit für Social Media.

Aber haben Sie Angst, dass eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner den Grünen schaden könnte?
Angst ist grundsätzlich keine politische Kategorie und soll nie die Leitlinie sein in der Politik. Es geht um die Frage, ob es möglich ist, mit dieser ÖVP ein zukunftsträchtiges Programm zu schnüren, wobei natürlich klar ist, dass sich beide bewegen müssen.

Sie können diese Bedenken also nicht nachvollziehen?
Grundsätzlich kenne ich die Argumente und ich verstehe auch, warum diese Befürchtungen existieren. Aber wir haben eine Verantwortung und dementsprechend werden wir jetzt diesen Schritt wagen. Wie der genau aussehen wird, werden wir sehen. Das ist ja gewissermaßen Pionierarbeit.

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»Was ich jedenfalls ausschließen kann, sind sämtliche Spekulationen, die es seitens der FPÖ gegeben hat.«

Sie sind jetzt Teil des Verhandlungsteams. Sollte eine ÖVP-Grün-Regierung zustande kommen, wären Sie auch bereit, einen Ministerposten zu übernehmen, sollte man auf Sie zukommen?
Diese Frage stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt sowieso nicht. Das steht ganz am Ende, falls wir soweit kommen. Was ich jedenfalls ausschließen kann, sind sämtliche Spekulationen, die es seitens der FPÖ gegeben hat. Mein Job ist im Klub.

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Und das bleibt auch so?
Davon gehe ich aus.

»Mein Gott, das war halt im Wahlkampf. Ich nehme das sehr sportlich. «

Für die FPÖ sind Sie eine Reizfigur – und auch Sebastian Kurz wischte Sie in einem Wahlduell als mögliche Ministerin mit den Worten „Das ist ausgeschlossen“ sofort vom Tisch. Warum glauben Sie, sind Sie so eine Reizfigur?
Da würde ich schon deutlich unterscheiden zwischen Norbert Hofer, der mit seiner FPÖ seit Jahren Hetzkampagnen gegen mich befeuert und Sebastian Kurz und der ÖVP. Das hat schon andere Qualitäten. Zu dieser Innenministeriumsgeschichte muss ich sagen: Mein Gott, das war halt im Wahlkampf. Ich nehme das sehr sportlich. Das hat auch keinen weiteren Einfluss auf die Zusammenarbeit.

Dennoch sind Sie eine Persönlichkeit, die sehr polarisiert. Warum?
Das müssen Sie die Leute fragen, die sich so unendlich provoziert fühlen. Natürlich gibt es schon eine Vermutung, denn wenn man sich die Kommentare ansieht, kommt schon sehr viel…wie soll ich sagen… von nicht mehr ganz jungen Männern, die ein Problem damit haben, dass eine junge Frau selbstbewusst und bestimmt auftritt.

Ihre Kollegin Alma Zadic zum Beispiel ist auch eine junge Frau, die selbstbewusst auftritt. Warum regt sie dann nicht so auf?
Das kann ich nicht beurteilen. Man muss aber dazusagen, dass das bei meiner Person schon sehr kampagnenmäßig organisiert war.

Etwas, das viele – immer noch – mit Ihrem Namen verbinden und das immer wieder Thema ist, ist Ihr „Stinkefinger-Posting“ aus dem Jahr 2017. Bereuen Sie es?
Es war definitiv ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, zu dem ich das gepostet habe. Das war mir nicht so bewusst. Ich habe im Rahmen der Metoo-Debatte diskutiert und bin massiv mit Hass geflutet worden und es hat mir einfach gereicht. Ich wollte damit sagen: „He Leute, ihr könnt mir noch so viele Vergewaltigungsdrohungen schicken, ihr bekommt mich nicht still.“ Ich verstehe aber, dass es Leute vor den Kopf gestoßen hat. Insbesondere mit dem Spin der Medien, dass es eine Verabschiedung gewesen sei. [Anmerkung: Die Grünen mussten zu dem Zeitpunkt gerade das Parlament verlassen.] Aber das war es nicht und man sieht das im Kontext des Tweets auch ganz genau. Ja, vom Zeitpunkt her, war es ungünstig, zur Botschaft stehe ich aber zu 100 Prozent.

Was machen die Grünen 2019 anders als die Grünen, die 2017 aus dem Parlament geflogen sind?
Das was über allem steht, ist, dass wir alle gemeinsam einen Wahlkampf geführt haben. Wir sind fürs selbe Ziel gerannt. Und wir haben uns geöffnet: Im Klub haben wir Leute von NGOs, über Wissenschaftlerinnen oder eine Journalistin. Wir sind ein junger Klub, haben viele Frauen und viele Leute mit Migrationshintergrund. Der Klub spiegelt also eine sehr breite Palette der Bevölkerung wieder. Und das gilt nicht nur für den Klub, sondern auch, wie wir insgesamt auftreten und unsere Politik anlegen: Ein Stück weit zurück zu den ursprünglichen Grünen, die eine Bündnis-Partei sind, die ganz eng im Dialog mit der Zivilgesellschaft und mit Playern außerhalb der Polit-Bubble im Austausch stehen. Ich glaube, dass das irrsinnig befruchtend wirkt und auch zu diesem Erfolg beigetragen hat.

»Ich möchte nicht stehen lassen, dass Werner Kogler der Allesretter ist und Eva Glawischnig, die die alles kaputt gemacht hat.«

Was macht Werner Kogler anders als Eva Glawischnig?
Werner Kogler ist natürlich ein ganz eigener Typ, der bei vielen Leuten extrem gut ankommt und gerade diese Öffnung hat er massiv betrieben und sich getraut, viele Leute aufzunehmen, die Quereinsteigerinnen sind. Genauso hat er einen Wahlkampf mit einem Energielevel durchgezogen, das unglaublich war.

Aber ich muss auch sagen, dass sehr vieles, was Eva Glawischnig entgegengeworfen wurde, schon sehr ungerecht war. Da war viel klassischer Sexismus abseits jeglicher inhaltlicher Kritik dabei. Klar, Glawischnig ist gescheitert. Sie hat die Grünen sehr weit gebracht aber 2017 ist das Projekt in die Binsen gegangen und da hatte sie natürlich auch Verantwortung.
Aber ich möchte eben nicht stehen lassen, dass Werner Kogler der Allesretter ist und Eva Glawischnig, die die alles kaputt gemacht hat. So Schwarz-Weiß ist es sicher nicht.

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Gibt es auch etwas, das Sie persönlich dieses Mal anders machen als früher?
Natürlich lernt man dazu und eine zweite Gesetzgebungsperiode im Parlament wird sicher anders aussehen als die erste. Ich würde auch sagen, dass was uns in der Vergangenheit gefehlt hat, war schon oft der gemeinsame Fokus auf das Ziel, aber der ist zu 100 Prozent da.

Sie sind im Gegensatz zu den meisten Ihrer KollegInnen ein „alter Hase“ im Parlament. Was raten Sie ihnen? Welchen Tipp können Sie Ihnen aus Erfahrung mitgeben?
(lacht laut auf) : Locker Bleiben würde ich sagen! Das sagt zwar Werner auch dauernd aber ich finde es in der Politik wichtig, dass man sich selber nicht zu ernst nimmt und gut über sich selber lachen kann. Natürlich soll man mit dem gebotenen Ernst und Verantwortungsbewusstsein an das Ganze rangehen, aber eben nicht verbissen.