Sexueller Missbrauch in der
Kirche: Fragen und Antworten

Die Skandalserie um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger in der römisch-katholischen Kirche hält diese seit Jahrzehnten im Atem. Und wirft viele Fragen auf. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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Missbrauch in der Kirche - Sexueller Missbrauch in der
Kirche: Fragen und Antworten

Was ist der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche?

Es handelt sich dabei um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Amtsträger der katholischen Kirche, insbesondere durch Priester, seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Gemeint ist damit auch sexueller Missbrauch in von der katholischen Kirche geführten Institutionen, etwa Internaten oder Erziehungsheimen.

Seit wann weiß man von dem Missbrauch?

Die ersten Fälle wurden Mitte der 1980er Jahre in den USA bekannt, doch erst langsam etablierte sich ein Bewusstsein dafür. In den USA und Irland wurden 1996 strengere kirchliche Richtlinien für den Umgang mit Missbrauch eingeführt, anderswo in Europa zum Teil erst in den 2000er Jahren. Die meisten Fälle sind bisher aus den USA, Australien sowie aus westeuropäischen Ländern bekannt, doch man geht davon aus, dass sich früher oder später auch Länder der Dritten Welt vermehrt mit dem Problem konfrontiert sehen werden. In Lateinamerika ist das zum Teil schon der Fall.

Was war das Problem mit dem Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche?

Der Hauptvorwurf an die zuständigen Bischöfe lautet, dass sie Taten vertuschten bzw. nicht entschieden - insbesondere mit Strafanzeigen und kirchenrechtlichen Bestrafungen - gegen die Täter vorgingen; sie insbesondere oft in Positionen beließen, wo sie weiterhin in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen kommen konnten. Manche Beschuldigte wurden auch - häufig nach Rücksprache mit Therapeuten - an andere Dienstorte oder in andere Diözesen versetzt. Zuweilen wurden die Opfer dazu angehalten, über die Taten nach außen Schweigen zu bewahren und keine Anzeige zu erstatten.

"Es ist wahr, dass eine allgemein mangelhafte Kenntnis der Natur des Problems und auch mitunter der Rat von Fachärzten die Bischöfe zu Entscheidungen veranlasst haben, die sich aufgrund nachfolgender Ereignisse als falsch erwiesen. Ihr seid jetzt dabei, verlässlichere Kriterien auszuarbeiten, um sicherzustellen, dass sich solche Fehler nicht wiederholen", fasste Papst Johannes Paul II. 2002 vor US-Bischöfen die Problematik zusammen.

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Besonders schwierig war die Situation von Kindern in Internaten und Heimen, wo sie zuweilen sogar mehreren Tätern hilflos ausgeliefert waren. Doch auch in den Familien, die häufig stark kirchlich gebunden waren, glaubte man den Opfern oft nicht. "Behaupte nicht so schlimme Sachen, das macht der Herr Pfarrer nicht!", habe man da etwa auf Anschuldigungen geantwortet, erinnert der Mannheimer Psychiater Harald Dreßing, Leiter der 2018 veröffentlichten Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland (MHG-Studie).

"Die Kirche hat den Schutz der Institution viel zu lang über den Schutz der Kinder gestellt", sagt die österreichische Vatikan-Journalistin Gudrun Sailer. Der vatikanische Kinderschutzexperte Hans Zollner schrieb von einer "Bunkermentalität". Allerdings ist nach wie vor weitgehend unerforscht, inwieweit ein derartiges Vorgehen - etwa die Bevorzugung von Therapie für den Täter statt einer Strafanzeige - in der damaligen Zeit auch in anderen, nichtkirchlichen Institutionen verbreitet war. Im Bericht der Royal Commission über Missbrauch in Institutionen in Australien berichteten 36 Prozent der Betroffenen von Missbrauch in Einrichtungen der katholischen Kirche, 32 Prozent von Missbrauch in staatlichen Einrichtungen.

War der sexuelle Missbrauch hauptsächlich in früheren Jahrzehnten ein Problem?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Die bekanntesten Fälle gehen auf die 1960er-1980er Jahre zurück. In der John-Jay-Studie (2004), die Missbrauch in der katholischen Kirche in den USA untersuchte, stieg die Kurve der bekannten Missbrauchsfälle in den 1960er Jahren steil an; seit Mitte der 1980er Jahre ist demnach eine deutliche Abnahme zu verzeichnen. Dreßing kann einen so starken Rückgang allerdings "nicht bestätigen" - vor allem, wenn man die abnehmende Zahl der Taten mit der abnehmenden Zahl der Priester in Bezug setzt: "Die Quote ist gleich geblieben." Im Untersuchungszeitraum der MHG-Studie von 1946 bis 2014 habe es in den Akten der Diözesen sehr wohl auch Meldungen neuerer Taten - bis in die Gegenwart hinein - gegeben. Allerdings gibt es heute zumindest in der katholischen Kirche in den westlichen Ländern ein deutliches Bewusstsein für die Schwere der Taten, sowie Meldestellen, Missbrauchsbeauftragte und Präventionsschulungen.

Wie ging und geht der Vatikan mit dem Problem um?

Die römische Kurie dürfte dieses in früheren Jahrzehnten mehr als innere Angelegenheit der Diözesen betrachtet haben. Was die Päpste betrifft, so dürfte Johannes Paul II. nach Aussage der Vatikan-Journalistin Sailer das Thema zumindest in den ersten Jahren seines Pontifikates nicht in seiner Schwere erkannt haben. Sailer erinnert daran, dass der polnische Papst solche Vorwürfe aus seiner Heimat vor allem in Form von Verleumdungen der Nationalsozialisten und Kommunisten gegen die Kirche kannte. "Er hatte aber Kardinal (Joseph) Ratzinger zur Seite", erinnerte sie: "Dieser hat sehr gut Bescheid gewusst über die Tragik." Ratzinger, lange Jahre Leiter der Glaubenskongregation, setzte sich dafür ein, dass die Strafverfahren gegen Priester wegen Missbrauchs in Rom geführt werden. Seit 2001 ist die Glaubenskongregation dafür zuständig. "Das sollte dazu dienen, dass die Fälle nicht unter den Teppich gekehrt werden können", so Sailer. Johannes Paul II. stellte 2002 vor US-Bischöfen klar: "Im Priestertum und Ordensleben ist kein Platz für jemanden, der jungen Menschen Böses tun könnte."

Als Benedikt XVI. war Ratzinger der erste Papst, der sich mit Missbrauchsopfern traf - im April 2008 anlässlich eines USA-Besuches in Washington. Solche Treffen wurden auch unter seinem Nachfolger Franziskus zu einem Fixpunkt von Papstreisen. "Aber Franziskus macht noch mehr", so die Vatikan-Expertin. Sie erinnert daran, dass er sich nun regelmäßig mit Missbrauchsopfern trifft und ihnen zuhört. Auch der nun stattfindende Kongress mit den Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen gehört zum Bestreben, den Kampf gegen Missbrauch effizienter zu führen.

Wer sind die Täter? Was sind die Beweggründe für ihre Taten?

Beim Missbrauchsskandal fokussiert die Aufmerksamkeit vor allem auf die Taten von Priestern und Ordensleuten. Die Studien stellen fest, dass rund vier Prozent der Priester der untersuchten Zeiträume als Beschuldigte von sexuellem Missbrauch aufscheinen. Einigkeit herrscht weitgehend auch darüber, dass nur ein kleiner Teil der Täter im engeren Sinn als pädophil diagnostizierbar ist. Deutlich war allerdings die Verbindung der Missbrauchshandlungen mit weiteren Problemen des Täters wie Alkoholismus, Depressionen, Vereinsamung oder sozialen Schwierigkeiten.

»Es wird ja niemand Priester, damit er sich nachher an Kindern vergreifen kann«

Die Täter waren im Durchschnitt bei der Ersttat Ende Dreißig; diese wurde im Durchschnitt 14 Jahre nach der Priesterweihe begangen. "Es wird ja niemand Priester, damit er sich nachher an Kindern vergreifen kann", kommentiert Sailer.

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Zwei Drittel der Opfer waren männlich. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu Missbrauch im Familienkontext, wo die überwiegende Zahl der Betroffenen weiblich sind, entspricht aber den Zahlen in anderen Institutionen - etwa Schule oder Heimen -, wie sie etwa die Royal Commission in Australien festgestellt hat. Auch der Ryan-Bericht in Irland hielt fest, dass nur in den Erziehungsheimen für Buben systematisch und häufig sexueller Missbrauch stattgefunden hat, der meist auch nicht geahndet wurde.

Ist der Zölibat an allem schuld?

Über diese heikle Frage gehen die Meinungen auseinander. Einig sind sich die Forscher zwar weitgehend darüber, dass der Zölibat allein für sich genommen keine Ursache für den Missbrauch darstellt. Unterschiedliche Ansichten gibt es hingegen darüber, ob die zölibatäre Lebensform für bestimmte Personen unter Umständen einen Risikofaktor darstellen kann. "Der Zölibat hat eine magnetische Anziehungskraft auf junge Männer, die unreif sind, sich mit ihrer Sexualität nicht richtig auseinandersetzen, die ihre Homosexualität vielleicht verleugnen", sagt Dreßing dazu. Andere Experten wie die deutschen Psychiater Norbert Leygraf und Hans-Ludwig Kröber - die selbst eine Studie über das Profil der beschuldigten Priester verfasst haben - argumentieren hingegen, dass zölibatär lebende Männer statistisch gesehen deutlich seltener pädosexuelle Taten begingen als nicht-zölibatär lebende.

Wie die Kirche den Umgang mit Missbrauchsfällen rechtlich regelt

Beim Anti-Missbrauchsgipfel ab Donnerstag im Vatikan soll am Ende jeder Bischof die nötigen kirchenrechtlichen Verfahren kennen, um gegen sexuellen Missbrauch in seiner Diözese ankämpfen zu können. Dies sei eines der Ziele der Tagung, hielt Papst Franziskus im Vorfeld fest, wie Kathpress meldet.

Wichtigste Grundlage für das Vorgehen ist der Codex kirchlichen Rechts (CIC) von 1983, insbesondere der Strafrechtskanon 1365, Paragraf 2, der Sexualdelikte von Klerikern an Minderjährigen unter Strafe stellt. Nachdem bereits in den 1990er Jahren vereinzelt über Missbrauch und Misshandlungen berichtet wurde, war eine der ersten Rechtsreformen der Erlass "Sacramentorum sanctitatis tutela" (Der Schutz der Heiligkeit der Sakramente), kurz "SST" genannt, von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) im April 2001.

Der Erlass ersetzte Vorschriften von 1922 zu sexuellen Übergriffen in der Beichte. "Die Überzeugung, dass eine umfassende gesetzliche Regelung bezüglich des sexuellen Verhaltens von Personen mit Erziehungsverantwortung notwendig ist, ist sehr jung", heißt es in einer Erläuterung der Glaubenskongregation von 2010.

Wichtigste Neuerung in SST war die Anweisung, bei glaubhaften Vorwürfen die weitere Klärung von Fällen sexuellen Missbrauchs an die Glaubenskongregation nach Rom zu überweisen. Damit sollte eine mögliche Vertuschung vor Ort verhindert werden. Zudem wurde die frühere Altersgrenze für Minderjährigkeit von 16 auf 18 Jahre angehoben; die Verjährungsfrist stieg von 10 auf 20 Jahre, gerechnet ab dem 18. Geburtstag des Opfers. In schweren Fällen kann die Verjährung aufgehoben werden.

Papst Benedikt XVI. (2005-2013) aktualisierte 2010 den Erlass durch einen inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Normenkatalog. Dabei wurde auch Kinderpornografie unter die sogenannten "delicta graviora" gefasst.

Kontroverse Aussagen von Täter, Opfern und Zeugen

Die Glaubenskongregation ist in Missbrauchsfällen sowohl Rechts-wie Fachaufsicht für Diözesanbehörden, begleitet und berät diese aber auch. Zuständig ist sie für alle Kleriker ab dem Diakonat. Für Verfahren gegen Ordensfrauen und Ordensbrüder sind deren Orden zuständig, für Laien mit kirchlicher Verantwortung die örtliche Diözese. Mit 17 Mitarbeitern ist die Disziplinarabteilung der Kongregation inzwischen die größte Abteilung.

Ist die Faktenlage relativ klar, wird ein Verwaltungsverfahren eingeleitet. Sind Aussagen von Täter, Opfern und Zeugen kontrovers und die Sachlage komplex, wird ein kirchliches Gerichtsverfahren eingeleitet: vor Ort, wenn dort die personellen und fachlichen Voraussetzungen bestehen, sonst im Vatikan.

Wie lange dauert ein Verfahren?

Ein Verfahren in Rom dauert durchschnittlich ein knappes Jahr. Bei Fallzahlen wird unterschieden zwischen alten Fällen (seit längerem bekannt), neuen Fällen (länger zurückliegend, aber erst kürzlich bekannt geworden) und aktuellen Fällen. Zwischen 2014 und 2018 gab es im deutschsprachigen Raum etwa fünf aktuelle Fälle pro Jahr.

Als mögliche Strafen sieht das Kirchenrecht vor: die Einschränkung des Einsatzbereichs ohne Begegnung mit Kindern und Jugendlichen, etwa die Versetzung in ein Archiv oder Altersheim. Aber auch Wallfahrt und Gebete sind als Bußauflagen vorgesehen. Weiter gibt es das Verbot, Klerikerkleidung zu tragen, das Verbot priesterlicher Tätigkeiten in der Öffentlichkeit oder deren komplette Untersagung.

Die schwerste und bei Missbrauch am häufigsten verhängte Strafe ist die Entlassung aus dem Klerikerstand, oft Laisierung genannt. Eine Exkommunikation wäre im Fall sexuellen Missbrauchs unangemessen, weil sie nur eine Beugestrafe darstellt. Als solche muss sie sofort aufgehoben werden, sobald der Täter bereut, eine im Fall von Missbrauchsgefahr sinnlose Maßnahme.

Wie eine liebende Mutter

Weil bei der oft schleppenden Aufarbeitung von Missbrauchsfällen klar wurde, wie häufig Vorgesetzte Missbrauch vertuscht hatten, erließ Papst Franziskus im Juni 2016 eine Anordnung zur Absetzung von Bischöfen und Ordensoberen, die ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Benannt ist der Erlass nach den italienischen Anfangsworten "Come una madre amorevole" (Wie eine liebende Mutter).

Zuständig sind in diesen Fällen die Vatikanbehörden für Bischöfe, Mission, Ostkirchen und Orden. Ein eigenes Gericht für Bischöfe, die Missbrauch vertuschen, wie es 2015 angekündigt worden war, kam nicht zustande.

Maßgeblich für den Umgang der Kirche vor Ort sind vor allem nationale Richtlinien der Bischofskonferenzen zur Prävention von Missbrauch sowie zur Intervention. Dazu gehören auch die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden und eine Meldepflicht. In Österreich setzten die Bischöfe 2010 eine entsprechende Rahmenordnung gegen Missbrauch und Gewalt in der Kirche unter dem Titel "Die Wahrheit wird euch frei machen" in Kraft, die 2016 nochmals nachgeschärft wurde.

Mit Blick auf die Weltkirche hatte der Vatikan im Mai 2011 die Bischofskonferenzen aufgefordert, ihre Richtlinien gemäß der "neuen Normen" von 2010 zu überarbeiten oder - falls noch nicht geschehen - solche zu erlassen. Seit 2014 berät dabei auch die Päpstliche Kinderschutzkommission. Zum am Donnerstag beginnenden Gipfel im Vatikan hat die Glaubenskongregation eine Bestandsaufnahme dieser nationalen Richtlinien erstellt.

Kommentare

Lucas Di Lorenzo

Gilt das Strafrecht nicht auch für Priester der Katholischen Kirche?
Vergewaltigung und Sexueller Mißbrauch ist ein strafrechtliches Delikt. Mithilfe zur Vertuschung von Straftaten ist ebenso ein strafrechtliches Delikt. Es wird Zeit, dass die weltliche Gerichtsbarkeit sich endlich mit dem Thema befasst. Nur wer Konsquenzen befürchten muss, überlegt sich 2 mal was er tut. Kirche hin, Kirche her.

Pauline Obermayr

Für mich stellt sich schon die Frage, wem schützt die Kirche mit sicherheit nicht die Opfer. das vorgehen ist doch der blanke HOHN den Opfern gegenüber.

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