Muss sie sich beim Sex seinen Wünschen unterwerfen?

In der Sexualität sind der Fantasie schier keine Grenzen gesetzt, wenn und solange bei niemandem ein Leidensdruck entsteht. Wer will nun was? Und wo sind die Grenzen?

von LIEBES LEBEN - Muss sie sich beim Sex seinen Wünschen unterwerfen? © Bild: Nathan Murrell

Wer passt sich wem an? Wer gibt die Tonart beim Sex an? Gemeinhin - ja, spätestens seit dem Kinohit "Fifty Shades of Grey" fand ein Paradigmenwechsel statt. Sadomasochistische Unterwerfungsrituale ebenso wie Erniedrigungsund Züchtigungsspiele sind mehr als nur gesellschaftsfähig geworden. Also ganz ehrlich, ich finde diesen Hype um einen Kinokassenschlager mehr als verdächtig. Die Folge: In den biedersten Haushalten sind nun gleichsam zwischen Werkzeugkasten und Schmuckkassette ein persönliches Peitschensortiment und vielleicht noch Masken, Reizwäsche, Handschellen und Seile für Bondage-Spiele. Das Sextoy-Set befindet sich zwischen Erste-Hilfe-Kasten und Tresor. In der Fernsehwerbung werden wie Deko-Objekte aussehende Dildos selbst zu Zeiten angepriesen, wenn Kinder zuschauen können. Man steht zu seinen gewagten Gelüsten, ergeht sich in Dirty Talk, Pärchentausch oder dient seiner Frau als Sklave. Es gehört schon fast dazu, auf Fetischismus, Auspeitschen und Fesseln zu stehen, alles andere wäre Blümchensex.

Meiner Klientin Sabina erging es ähnlich, als ihr Lebensgefährte Anton auf einmal von ihr wollte, dass sie sich schon als standardisiertes Vorspiel der Fellatio hingab. In ihrer Psychotherapiesitzung sagt Sabina:

"Muss ich das denn jedes Mal schon aus Liebe tun?" Und dass sie es zwar sinnlich finde, zur Einstimmung mit Lippen und Zunge ihren Liebsten zu verwöhnen und seine Wollust zu steigern, aber doch nicht immer! Jetzt gehe Anton aber schon davon aus, dass es jedes Mal so sei. So weit, so gut, wenn, ja wenn sie das auch wirklich will. Allerdings setzt Anton Sabina mit Argumenten moralisch und psychologisch unter Druck: Einmal behauptet er, wenn sie einmal keinen Oralsex haben, dass sie ihn damit bestrafen wolle. Und das andere Mal sagt er, dass der verjüngende Wirkstoff Spermidin laut wissenschaftlicher Forschung im Sperma enthalten sei. Spermidin wird auch aus Weizenkleie gewonnen und für Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Somit tue er ihr einen Gefallen, wenn er sie zum Schlucken von Samenflüssigkeit bewege. Soll das heißen, dass Sabina sich gegen Antons subtile Gesundheitsförderung auflehnt? Keineswegs!

Es geht hier um etwas anderes. Und zwar um etwas sehr Wichtiges, das Wichtigste überhaupt - nicht nur im sexuellen Umgang miteinander, sondern in jeder Hinsicht, wenn es um zwischenmenschliche Kommunikation geht. Nennen wir es die ausgewogene Balance zwischen Selbstfürsorge und Achtsamkeit, gepaart mit Respekt den Wünschen des Partners oder der Partnerin gegenüber. Mal ehrlich: Menschen wie Anton meinen es vielleicht gar nicht schlecht. Aber sie manipulieren. Und das auf eine Art, die beim Gegenüber neben einem Erwartungsdruck auch noch Schuldgefühle weckt. Soll Sabina sich nun Antons sexuellen Wünschen unterwerfen? Nein! Nur wenn sie will. Aber das überhaupt entdecken zu können, muss er ihr Raum geben. Wenn er so weitermacht, erstickt er ihre Autonomie und beginnt, sie zu instrumentalisieren. Wer aber andere beim Sex nicht nur zu seinen Zwecken missbraucht, trägt ganz von selbst zum sexuellen Genuss des Partners oder der Partnerin bei. Ungefragt würde Anton, wäre er wirklich einfühlsam, Sabina auch mal mit Cunnilingus verwöhnen. Bis jetzt nie passiert. Mal schauen, wie sich eine Rollenumkehr auf ihre Beziehung auswirkt. Und ob auch sie seine Gesundheit mit ihren sexuellen Wünschen "fördern" kann. Denn jede neue Spielart regt doch die Gehirnfunktionen an. Und das beugt zum Beispiel Demenzerkrankungen vor, bitte merken.