Sie will beim Sex im Sub-Space sein

Die Algolagnie (von griechisch algos „Schmerz“ und lagneia „Wollust“) ist eine Wortschöpfung des 19. Jahrhunderts, um die Lust am aktiven Herbeiführen und am Empfangen von Schmerzreizen zu bezeichnen. Die zeitgemäße synonyme Bezeichnung ist Sadomasochismus. Es geht dabei aber nicht immer nur um Peitschen, Fesseln und Erniedrigung.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Ein aktuelles Beispiel für immer riskantere Sexpraktiken ist das gewollte Zuschnüren der Kehle beim Sex, genannt „Choking“. Auf Tik-Tok auch unter jungen Menschen kommuniziert, ist das schon länger eine Sexualpraktik insbesondere in der BDSM-Szene. Aber ganz und gar nicht ungefährlich. Leonie erklärt, dass Albert ihr in einer Art Gegengeschäft ihren innigsten Wunsch erfüllt habe. Selbst ich als Psychotherapeutin mit dem Fachbereich Sexualtherapie erschaudere, als sie es ausspricht, als würde sie von einem Faible für einen bestimmten Modetrend sprechen: „Er belohnt mich, wenn ich mit ihm Oralsex hatte, mit intensivem Choking.“ Warum sehnt Leonie diese – eigentlich entsetzliche Gewalterfahrung herbei. Was dabei geschieht, ist aber Folgendes: Wenn einer Person durch Würgen die Luft zugeschnürt wird, gelangt weniger Sauerstoff ins Gehirn. Der Körper schüttet in der Folge Adrenalin aus, weil es eine lebensbedrohliche Situation zu sein scheint. Auf diese Art wird ein tranceähnlicher Zustand erreicht. Menschen wie Leonie suchen eine Art Sub-Space (Sub bezeichnet die Position der submissiven, also der unterworfenen Person) durch die vollkommene Abgabe der Kontrolle und Verantwortung beim BDSM.

Die Abkürzung BDSM steht als Überbegriff für unterschiedliche sexuelle Spielarten. B für Bondage: Damit wird alles bezeichnet, was mit Fesseln zu tun hat – von Handschellen bis zum Ganzkörper-Einpacken in Folie. Das D bedeutet Disziplin und Dominanz. Da geht es in der Regel um Rollenspiele, Unterwerfung und Kontrolle. Das S steht für Englisch „submission“, also Unterwerfung. Und für Sadismus. M für Masochismus, Schmerzen erleiden, was als besonders Lust steigernd gilt.

Und Leonie? Hat immer wieder auch im Gespräch mit ihrem Partner Überzeugungsarbeit zu leisten, dass, von ihm „kontrolliert gewürgt“ zu werden, das größte Glück für sie sei. Sie komme auf diese Weise in den sogenannten Sub-Space, sagt sie in ihrer Sexualtherapie begeistert. Im Sub-Space, diesem rauschartigen Zustand, zu sein, sei „so schön wie Fliegen“, so Leonie. Sie gebe alles dafür, um das zu erleben. Und Albert? Fühlt sich ganz und gar nicht in der Rolle wohl, seine Partnerin bis zu deren Ekstase zu würgen. Zu groß ist seine Angst, dauerhaft etwas kaputtzumachen, sie zu verletzen. Die Gefahr von „Würgespielen“ beim Sex hat bereits – vor allem experimentierfreudige jugendliche Menschen bei einem autoerotischen Experiment – das Leben gekostet. Im Sub-Space findet aber eine Vereinzelung statt, ist Albert nur Mittel zum Zweck, während Leonie abdriftet, grenzenlos „fliegen kann“.

Der rauschartige Zustand kann auch anders erreicht werden: Indem Leonie, anstatt grenzwertige Sexualpraktiken zwischen sich und ihren Partner stellt, wahre Nähe und Bindung zulässt. Denn häufig bedeutet die Suche nach dem ultimativen Orgasmus nichts anderes als eine Flucht vor Nähe und dem wahren Liebesleben. Das ganz einfach zuschnappt, aber ohne einem die Luft abzuschnüren. Sondern zu unendlichen Weiten führt, vielleicht auch „nur“ beim Küssen oder in der guten alten Missionarsstellung atemberaubend wirkt.