"Nur ned zu ernst nehmen"

Die erfolgreiche österreichische Band gibt sich jetzt melancholisch

Vieles scheint anders als vor zwei Jahren. Als No-Names krachten Seiler und Speer damals in die heimische Musikszene. Seitdem liegen sie kommerziell unangefochten an der Pop-Spitze. Unverdrängbar von Bands wie Bilderbuch oder Wanda. Im Kern ist bei den beiden Niederösterreichern dennoch das meiste gleich geblieben. Das Missverständnis etwa bleibt ihr treuer Begleiter.

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Pop - "Nur ned zu ernst nehmen"

So wurde ihr Video zum Vorboten des neuen Albums als "anbiedernd" und "bemüht lustig" kritisiert. Darin schlüpfen Christopher Seiler und Bernhard Speer für den heiteren Gitarrenpopsong "I was made" in die Rollen einer Hairspray-Metal-Band, Boyband, machen auf Gangsta-Rapper, auf Beatles und imitieren im weißen Anzug die Schlagerlegenden "Die Amigos". Das kann - oberflächlich betrachtet - natürlich als Schmäh auf Skikurs-Niveau verstanden werden. Auch wenn Seiler zu Beginn des Videos deutlich raunzt: "Scho' wieda die zwa Volltrottln!"

© Video: News.at

Nur wenige verstehen, dass sich das seit zwei Jahren gehypte, gefeierte, bejubelte und mit Preisen überhäufte Duo damit deutlich über die eigene Berühmtheit lustig machen will. Dabei betont Christopher Seiler, Sohn eines Schlossers und einer Hausfrau aus Felixdorf im Industrieviertel Wiener Neustadts, immer wieder seine Abneigung gegen jeglichen Promi-Status und die Promi-Szene per se. "Natürlich ist die Botschaft, dass uns die eigene Berühmtheit am Oasch geht", sagt Seiler. "Die meisten Leute verstehen das aber nicht, wenn wir uns selbstkritisch hinterfragen."

Düstere Erkenntnisse

Das war zum Karrierestart genauso. Das kritisch gemeinte "Ham kummst", das die Zerstörung einer Existenz durch Alkoholsucht beschreibt, wurde zur Saufhymne Nummer eins. Es ist Christopher Seiler nicht egal, wenn er so massiv falsch verstanden wird. Aber er meint damals wie heute, dass der Kern der Zuhörerschaft ihn schon richtig verstehen würde. Und den anderen mag es der 30-Jährige eigentlich nicht näher erklären.

Außer, wenn es hart auf hart kommt. Wie im Herbst, als dem Sänger kurz vor der Bundespräsidentenwahl der Kragen geplatzt ist. Da wurde Seiler, der vom Karrierestart an sagte, dass er sich nicht öffentlich politisch äußern möchte, von einem Fan aufgefordert, den FPÖ-Kandidaten zu unterstützen. Sein wütendes Video für mehr Toleranz mit dem Hinweis auf das Wahlgeheimnis schlug damals medial hohe Wellen. "Auf einmal wurde geschrieben, ich sei gegen Hofer-Wähler, und ich habe Morddrohungen bekommen." Drei Wochen vor dem ausverkauften Konzert in der Stadthalle kamen Drohmails gegen ihn und seine Familie. Das wollte Seiler so nicht hinnehmen. "Ich hab zurückgeschrieben. Gefragt, ob die Leute eigentlich mein Video gesehen haben. Haben sie nicht. Sie haben nur die Schlagzeile aus der Zeitung gekannt ..."

Dass Schlagzeilen oft unhinterfragt bleiben, Leute sich damit abspeisen lassen und in ihrer Informationsblase wohlfühlen, formt in Seiler ein düsteres Weltbild. "Ich hab den Glauben an die Gesellschaft verloren", sagt er. Der erste Schritt in den Widerstand sei gemacht, meint er und zückt zum Beweis sein neues, altes Handy. Eines wie früher, als Handys nur zum Telefonieren da waren.

Ein bissel wie früher

Die Bruchlinie, an der die Missverständnisse entstehen, verläuft entlang dem rasant gestiegenen Bekanntheitsgrad und der breiten Masse, die Seiler und Speer über Nacht erreicht haben. Dass jedes ihrer Worte auf die Waagschale gelegt wird, ist seit dem Riesenerfolg neu. Dass ihre Kunst auch Leute erreicht, die sie nur zufällig oder am Rand konsumieren oder das falsche Bild der Gaudi-Brüder von "Ham kummst" vor Augen haben, ebenso. Früher machten sie Internetserien für eine eingefleischte Fangemeinde, weil die erlernten Berufe Bürokaufmann (Seiler) und Elektroinstallateur (Speer) nicht erfüllend waren. Speer wurde Filmemacher und inszenierte die von Kabarettist Seiler geschaffenen Kunstfiguren.

Seiler und Speer
© Stefan Joham

Das waren der Vokuhila-Schrebergarten-Zyniker "Da Koda", Seiler unverkleidet als lauter Grantler in "Schichtwechsel" und schließlich der asoziale, cholerische, alkoholsüchtige Arbeitslose Anton Horvath in der Erfolgsserie "Horvathslos". Gemeinsam haben alle Figuren das Scheitern am Leben und an sich selbst. Einsamkeit und Verzweiflung, die sich in Wut und Zynismus entladen, prägen die Charaktere. Keine leichte Kost, die man mal eben im Vorbeigehen für einen Lacher konsumiert. Die Youtube-Fangemeinde dieser Art von schwarzem Humor und Gesellschaftskritik war lange erarbeitet und handverlesen. Sie wusste, wem sie da folgte.

Diese Fans der ersten Stunde werden sich aufgehoben fühlen in der melancholischen, nachdenklichen Tonalität des neuen Albums des Duos. "Der Mensch an sich ist widerlich", singt Seiler in "Mama sperr die Kinder weg" und beklagt die zunehmende soziale Kälte und Ignoranz ("Weck mi auf"). In "Foin" geht es darum, dass das Leben an uns vorbeizieht, während wir Unwichtigem Wichtigkeit geben. "Madl moch die Augen auf" hat Seiler für seine Freundin geschrieben, der er aus Depressionen helfen wollte.

Die vermeintlichen Spaßnummern à la "Ham kummst" sind mit drei an der Zahl im Hintertreffen. Ein bissel unpassend wirken sie auf dem nachdenklichen Werk. Berechnung lässt sich Seiler diesbezüglich nicht unterstellen. "Wir zeigen mit den stilleren Nummern, was wir können, und die sind mir wichtig. Aber wenn ich Bock habe, eine Urlaubsparodie auf All-inclusive-Clubs zu schreiben, mache ich das genauso. Basta."

Die Flughöhe runterfahren

Und dann sind da die dunklen Liebeslieder "Mon amour" und "A letztes Schluckerl" über Beziehungen im Endstadium. Der Blick auf die Liebe ist bei Seiler und Speer stets düster. "Wenn alles leiwand ist, redet man ja nicht darüber. Erst wenn's richtig g'schissn ist, fangt man an zu reden und zu philosophieren und Lieder zu schreiben", sagt Speer. Der 33-Jährige gibt mit "A letztes Schluckerl" sein Gesangsdebüt. "Das Lied ist für meine Exfreundin aus der Beobachterperspektive. Ich hab mich g'schlichn und die Sockenlade ausgeräumt und die letzten Flaschen ausg'soffn und das Schluckerl übrig gelassen", erzählt er.

Nach Vierfachplatin für das Debütalbum, nach ausverkaufter Stadthallenshow, Hauptact auf Festivals, Deutschlandtour und über hundert Wochen in den heimischen Charts ist der Erfolgsdruck ordentlich. Könnte man meinen. Seiler und Speers Reaktion ist, ihn zu negieren. "Wir können das alles gar nicht ernst nehmen", sagt Speer. "Wir sind ja auch nur deswegen erfolgreich, weil wir uns nicht ernst nehmen, sondern die Dinge machen, die uns Spaß machen." Deshalb habe man das neue Album auch "und weida?" genannt. "Ihr könnts uns noch tausendmal fragen, wie es weitergeht. Drauf g'schissn. Und weida? Wir machen weida, wo wir wollen", sagt Speer.

Dass der Riesenerfolg von "Ham kummst" eine Flughöhe gebracht hat, aus der es weh tun könnte, abzustürzen, sieht er anders. "Glauben Sie tatsächlich, dass wir etwas zu verlieren haben? Es ist doch gar nicht unsere Motivation, etwas steigern zu wollen." Seiler gibt gar den Anschein, ganz froh zu sein, dass der Hype langsam nachlässt. "Die Flughöhe von früher haben wir ja nicht mehr. Letztes Jahr waren wir dieses gehypte Ding, da kannst wirklich durchdrahn, wenn dich keiner mehr normal behandelt. Aber wir sind langsam und sanft gelandet, ein bissel zurück, wo wir hergekommen sind."

Über die Kunstfigur Horvath sagte Seiler einmal: "Dem is alles wuascht. Das ist eine besondere Freiheit, weil bei dem hast kein Druckmittel, mit dem du ihm Angst machen kannst." Die neue CD erreichte Gold nach einer Woche und Platz eins der Charts. Schwer zu negieren.