"Platz eins ist
eine Notwendigkeit"

Sebastian Kurz, Chef der neu belebten ÖVP, sieht gerne klar. Deshalb hofft er auf möglichst klare Verhältnisse nach der Wahl am 15. Oktober. Was er will, hat er im Gespräch mit News zu umreißen versucht

von Sebastian Kurz - "Platz eins ist
eine Notwendigkeit" © Bild: Copyright 2017 Matt Observe - all rights reserved.

Welche Bilanz ziehen Sie nach der ersten Phase des Wahlkampfs? Sind Sie zufrieden?
Ich habe vor vier Monaten die Führung in der Volkspartei übernommen -mit dem klaren Ziel, die Partei zu öffnen, zu einer breiten Bewegung zu machen, neue Menschen an Bord zu holen, ein Reißverschlusssystem einzuführen, um auch weiblicher zu werden. All das hat funktioniert. Wir haben die Statuten geändert, damit ich die inhaltliche Linie vorgeben, aber auch Personalentscheidungen alleine treffen kann. Also habe ich sehr viel geändert.

Wie schaut diese echte Veränderung in Zahlen aus?
Dass ich die Unterstützung für die Veränderung bekommen habe, dafür bin ich sehr dankbar und vor allem auch dafür, dass wir in den letzten drei, vier Monaten über 150.000 neue Unterstützer gewonnen haben. Mein Ziel ist es natürlich, am 15. Oktober das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zu bekommen, um in diesem Land eine echte Veränderung möglich zu machen.

Es läuft laut Umfragen gut für Sie. Ist die Sache nach Ihrem Gespür schon gelaufen?
Überhaupt nicht. Entschieden wird erst am 15. Oktober. Keiner weiß, wie die Wahl ausgeht. Ich hoffe natürlich, dass die Bevölkerung uns das Vertrauen schenkt. Mein Ziel ist es, den Stillstand und auch die Streiterei der letzten Jahre zu beenden und Österreich wieder an die Spitze zu führen.

Wie soll das gelingen?
An die Spitze führen heißt, die Steuerlast endlich zu senken, sicherzustellen, dass unsere Sozialsysteme wieder gerechter und treffsicherer werden, und vor allem auch die illegale Migration nach Österreich zu stoppen. Klare Entscheidungen kann man vor allem auch dann treffen, wenn man gestärkt ist durch ein eindeutiges Wahlergebnis. Das würde ich mir natürlich wünschen.

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Wie sollte dieses eindeutige Ergebnis ausschauen?
Je stärker die Unterstützung für mich ist, desto größer meine Möglichkeit, die Veränderung auch wirklich faktisch umzusetzen.

Was wäre zahlenmäßig eine Messlatte?
Ich lass mich auf keine Spekulationen ein. Der erste Platz ist die Notwendigkeit, um den Führungsanspruch in diesem Land zu stellen.

Können wir das Interview weiterführen, ohne den Begriff Mittelmeerroute zu verwenden?
(Schmunzelt.) Es kommt darauf an, was Sie fragen. Wenn Sie mich über Migration fragen, werden wir über Afrika und die Mittelmeerroute sprechen müssen, weil es einen massiven Migrationsdruck aus Afrika gibt. Es leben derzeit in Afrika eine Milliarde Menschen, Mitte des Jahrhunderts zwei Milliarden Menschen, Ende des Jahrhunderts laut Prognosen vier Milliarden Menschen. Wenn wir als Europäische Union hier nicht Grenzsicherheit zustande bringen, dann wird sich Europa massiv ändern, und zwar zum Negativen. Wenn Sie mich zu meinen Steuerplänen fragen, werden wir nicht über die Mittelmeerroute sprechen.

Bleiben wir vorerst beim Thema Sicherheit. Sie haben immer wieder betont, dass
Sie bei Rückführungsabkommen von Flüchtlingen mehr Tempo einlegen wollen. Wie ist der Stand der Dinge? Mit wie vielen Ländern gibt es Rückführungsabkommen - oder bilaterale Abkommen?

Es gibt Länder, mit denen wir Abkommen haben, die keine Menschen zurücknehmen (Pakistan), und es gibt Länder, mit denen haben wir keine Abkommen (Marokko) und sie nehmen trotzdem Menschen zurück.

» Lieber Hilfe aus Österreich als Überforderung in Österreich«

Wie kann man da eine bessere Lösung finden?
Wenn wir effektiv zurückstellen wollen, und das ist mein Ziel, dann braucht es zwei Maßnahmen. Erstens: Wir dürfen nicht weiterhin Menschen, die illegal in Österreich sind, weil sie einen negativen Asylbescheid bekommen haben, Sozialleistungen zahlen - mit dem Geld der österreichischen Steuerzahler. Zweitens: Wir müssen Druck machen, dass die Staaten ihre Staatsbürger zurücknehmen, und das funktioniert, indem wir ihnen drohen, die Entwicklungszusammenarbeit und andere Zahlungen der EU zu streichen, wenn sie nicht bereit sind, Staatsbürger zurückzunehmen.

Was passiert, wenn diese Maßnahmen nicht angewandt werden?
Solange wir diese zwei Maßnahmen nicht setzen, wird die Zahl der Illegalen in Europa, aber auch in Österreich steigen.

Wie soll es bei der Entwicklungshilfe weitergehen?
Mein Konzept ist Hilfe vor Ort statt unbeschränkter Aufnahme in Mitteleuropa. Lieber Hilfe aus Österreich als Überforderung in Österreich. Und ich bin froh, dass es mir nach 15 Jahren Einsparungen bei der Entwicklungshilfe in den letzten Jahren gelungen ist, die Trendwende einzuleiten. Wir haben die Mittel für den Auslandskatastrophenfonds vervierfacht, die Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit werden gerade verdoppelt.

Wo liegen wir da ungefähr in der EU? Über welche Größenordnung sprechen wir?
Im Mittelfeld der Europäischen Union. Und wir investieren ungefähr eine Milliarde Euro pro Jahr.

Gleichzeitig wollen Sie legale Einreisemöglichkeiten schaffen. Aktuelle Zahlen rund um die Resettlement-Programme zeigen, dass Österreich hier Zurückhaltung zeigt. Also was nun?
Das stimmt nicht. Man darf nicht den Fehler machen, in absoluten Zahlen zu rechnen. Pro Kopf gerechnet sind wir bei den Programmen Spitzenreiter.

Das heißt also: Es muss nichts großartig verbessert werden?
Klar ist: Es darf nur kommen, wer auf legalem Weg kommt. Illegale Einwanderung gehört gestoppt, und über Resettlement-Programme sollten wir nur Menschen aufnehmen, wenn wir die illegale Immigration gestoppt und das Chaos beendet haben. Also im Moment gibt es keinen Bedarf, noch mehr Menschen aufzunehmen, sondern die illegale Migration zu stoppen und die, die da sind, zu integrieren.

Wenn wir über den Schutz der Außengrenzen sprechen: Brauchen wir nicht eine EU-Armee, um die Grenzen wirklich zu sichern?
Es braucht definitiv eine Zusammenarbeit im Sicherheitsund auch im militärischen Bereich, und ein Bereich, wo wir diese Zusammenarbeit ganz dringend brauchen, ist der Grenzschutz. Man darf hier Italien, Griechenland und andere nicht alleine lassen, auch in unserem Interesse nicht, und daher bin ich dafür, dass wir hier einen massiven Beitrag leisten. Entscheidend ist aber, dass das Mandat, das Frontex (europäische Agentur für Grenz-und Küstenwache, Anm.) und die Zuständigen bekommen, verändert wird. Solange die Menschen nach der Rettung nach Europa gebracht werden, ist das kein wirklicher Grenzschutz, sondern dadurch kommen mehr und mehr.

Wo ist der Ausweg?
Nach der Rettung im Mittelmeer müssen die Menschen gestoppt, versorgt und zurückgestellt werden.

Kommen wir zur Wirtschaft: Könnte man nicht Arbeitslose quasi anstupsen, dass sie sich beispielsweise im Pflegebereich engagieren?
Das ist ein sehr anspruchsvoller Beruf, den kann nicht jeder machen, und es braucht dafür auch die entsprechende Ausbildung. Ich halte aber für problematisch, dass es gerade für Menschen im Bereich der niedrig Qualifizierten insbesondere aufgrund der Mindestsicherung nicht mehr attraktiv ist, arbeiten zu gehen. Die Mindestsicherung für Flüchtlinge muss verändert werden. Es kann nicht sein, dass anerkannte Flüchtlinge in Österreich die volle Mindestsicherung bekommen. Eine Familie mit vier Kindern kommt in Wien auf rund 2.500 Euro netto pro Monat. Das muss man erst einmal am Arbeitsmarkt verdienen.

Braucht es die Mindestsicherung überhaupt?
Es braucht eine reformierte Mindestsicherung, die jene unterstützt, die Unterstützung wirklich brauchen, die aber immer das Ziel haben muss, die Leute in den Arbeitsmarkt zu bringen. Und es braucht vor allem eine Veränderung bei den Flüchtlingen und Zuwanderern, weil in Wien mittlerweile jeder zweite Mindestsicherungsbezieher ein ausländischer Staatsbürger ist. Das heißt: Wir haben eine massive Zuwanderung in unser Sozialsystem, das ist ein Problem.

Sollte man das Thema Mindestsicherung nicht zentralisieren?
Ja. Über ein bundeseinheitliches Gesetz.

Derzeit fordern nur die Neos eine Erhöhung des Pensionsalters. Frauen gehen immer noch mit 60. Warum sind Sie da so zurückhaltend? Kann man den Menschen nicht ehrlich sagen, dass die Pensionen so nicht mehr leistbar sind?
Ich halte das für eine sehr theoretische Debatte. Denn schon jetzt gehen sehr viele und gerade Frauen aus der Arbeitslosigkeit in die Pension. Wir haben ein tatsächliches Pensionsantrittsalter, das unter dem gesetzlichen liegt. Das heißt, die Frühpension ist oft der Regelfall, und nicht die Ausnahme. Insofern muss man Maßnahmen setzen, dass ältere Menschen im Arbeitsmarkt bleiben können und ihren Job nicht verlieren. Somit sollte die Frühpension vom Regelfall zur Ausnahme werden. Insofern ist es sinnvoll, die Möglichkeit zu schaffen, dass Menschen, die die Kraft haben, länger arbeiten können und dass das attraktiver wird.

Würde Sie das von Neos-Chef Matthias Strolz angesprochene Modell aus Schweden überzeugen?
Das ist ein ganz anderes System und mit unserem nicht vergleichbar.

Zuletzt ist das Wirtschaftswachstum angesprungen. Trotzdem sitzen wir auf einem milliardenschweren Schuldenberg. Haben Sie ein oder zwei Ideen, wie Sie diesen Berg sofort kleiner machen könnten?
Es wäre populistisch, zu behaupten, dass es von heute auf morgen möglich sein könnte, diesen Berg zu senken. Das ist ein langer Prozess und erfordert Budgetdisziplin. Es gibt zwei Maßnahmen: Wir wollen die Schuldenbremse in die Verfassung schreiben, die hat in anderen Ländern schon gewirkt und führt dazu, dass Politiker nicht ständig mehr ausgeben dürfen. Und es braucht endlich eine Regelung, dass, sobald Neuwahlen beschlossen sind, keine budgetrelevanten Beschlüsse im Parlament mehr gefasst werden dürfen, weil man sich dadurch teure Wahlzuckerl erspart.

»Eine zentrale Stelle bei den Sozialversicherungen wird ausreichen«

Konkrete Vorschläge für Verwaltungseinsparungen, praktisch im "operativen" Bereich, haben Sie auch?
Ja, natürlich. Mein Zugang ist es, eine Steuerentlastung zu finanzieren, einen schlanken Staat zu schaffen. Ich habe in den letzten Jahren als Außenminister bewiesen, dass es mir wichtig ist, mit Steuergeld sparsam umzugehen. Mir fällt täglich etwas auf, wo wir noch sparsamer werden können.

Zum Beispiel?
Wir haben derzeit 21 Sozialversicherungen, die in Zukunft alle dasselbe machen sollen, weil die Leistungen harmonisiert werden. Aber dann bleiben trotzdem noch immer 21 Träger mit unzähligen Führungskräften, Dienstautos, Strukturen, die nicht notwendig sind.

Heißt das dann, es gibt eine zentrale Stelle für die Sozialversicherungen?
Ja, sicher. Eine zentrale Stelle wird ausreichen. Noch ein anderes Beispiel: Wir haben derzeit vier Ministerien, die für die IT-Verwaltung zuständig sind. Es braucht auch hier einen Zuständigen für eine Aufgabe. All das sind Maßnahmen, die zu einer massiven Reduktion an Kosten führen können. Es wird dabei im System, und nicht bei den Menschen gespart.

Brauchen wir die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern?
Ich glaube, die Kammern müssen sparsamer mit den Beiträgen und serviceorientierter werden. Aber Interessenvertretung ist grundsätzlich schon etwas Sinnvolles. Wichtig ist nur, dass die Regierung wieder stärker wird. Ich habe in der Vergangenheit oft ein zu starkes Verschwimmen der Grenzen zwischen Sozialpartnerschaft und Regierung erlebt.

Das heißt also quasi eine Schattenregierung der Sozialpartner?
Genau, das brauchen wir nicht.

Sie haben zuletzt die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gefordert wie in Deutschland. Wie wäre es mit einer Änderung des Wahlrechts hin zu einem Mehrheitswahlrecht, aus dem klare Gewinner und Verlierer hervorgehen?
Ich finde das richtig, aber es gibt derzeit keine Mehrheit dafür, insofern ist es eine sehr theoretische Debatte. Aber es würde natürlich zu klareren Entscheidungen führen, und ich bin jemand, der Klarheit mag.

Kann es sein, dass unter Kanzler Kurz ein solches Wahlrecht kommt?
Es gibt keine Mehrheit dafür im Parlament, ich habe den Vorschlag schon einmal gemacht. Damals, vor einigen Jahren, hat es drei Parteien gegeben, die theoretisch Erster hätten werden können, alle drei Parteien waren gegen meinen Vorschlag. Das spricht jetzt nicht für das Selbstbewusstsein dieser Parteien, aber ich habe es zur Kenntnis genommen.

Planen Sie auch, die derzeitige Architektur der Ministerien zu verändern?
Ja.

Wie?
Kann ich noch nicht sagen.

Kurze Fragen, kurze Antworten für Forderungen aus der Wirtschaft: Runter mit der Abgabenquote, Einführung der flexiblen Arbeitszeit, kompromisslose Staatsreform in der Verwaltung zwischen Bund und Ländern, Effi zienzreform im Gesundheitswesen sowie transparente und zielgerichtete Förderungen. Beinhaltet das alles, was wir bisher besprochen haben, und stehen Sie dazu?
Ja, sparen am System, nicht bei den Menschen.

Wenn Sie mit der FPÖ koalieren, gibt es dann eine Präambel zum Thema EU?
Ich spekuliere nicht über Koalitionen, weil ich als Demokrat überzeugt bin, dass ich den Wählerinnen und Wählern nicht vorgreifen möchte. Man muss einmal die Mehrheitsverhältnisse sehen, dann kann man weiterreden.

Hand aufs Herz. Wenn Sie es sich aussuchen können: lieber eine Koalition mit Strache oder mit Doskozil?
Ich will eine Koalition für eine echte Veränderung.

Wie halten Sie sich im Wahlkampf fit?
Ich mache sonst gerne als Ausgleich Sport. Ich mag Menschen, bin viel unterwegs, der Wahlkampf macht mir Freude, und dadurch fühle ich mich auch im Wahlkampf sehr wohl.

Wie geht es Ihrer Freundin mit dem Rummel?
Sie ist berufstätig und unterstützt mich in meinem Weg. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Dieses Interview erschien im News-Magazin 39/17

Kommentare

Henry Knuddi
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die behauptung: mann müsse 10 std abeiten um 1 std installateur oder elektriker zu bezahlen - ist falsch.
man kann sich ja den handwerker aussuchen.
habe erst angebot hereingeholt: 600,00 für wasserwandeltausch plus 2 wegstunden.
i habs machen lassen um 200,40 inkl. wegzeit+mwst

Henry Knuddi
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übrigens jeder pfuscher ist teurer als dieser installateur - der alles gut macht

Henry Knuddi
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sein(kurz) 1 anhänger war opi schüssel - gibt 1 bild davon - somit will er wie in 1 rep. christl.soziale partei erstellen - wo hat das damals hingeführt zum bürgerkrieg und 2.wk.
er muss seine anhänger(milliadäre) steuerfrei bekommen und der rest darf es bezahlen in form der auflösung der sv in privatversicherung(die sich dann 60% der bevölkerung nicht leisten kann) - forts. folgt

Henry Knuddi
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und wie soll dann ein armer, die arztkosten, spitalskosten begleichen? (jetzt zahlt ja jeder sv(der unternehmeranteil ist ja grösser - somit kostet es dann privatca 30% mindestens und wenn einer zuviel krank ist fliegt er raus - ist nicht das wahre

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