Wenn der Gerichtsvollzieher
zweimal klopft

Überschuldung und die damit einhergehende Ausweglosigkeit sind für die Betroffenen eine traumatische Erfahrung. Eine Gesetzesnovelle soll nun auch den Ärmsten der Armen helfen.

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Politik - Wenn der Gerichtsvollzieher
zweimal klopft

Das Schlimmste war das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, sagt Barbara. Heute könne er sich gar nicht mehr erklären, wie es so weit kommen konnte, sagt Felix. Es sei die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen, sagt Maria.

Diese Menschen sagen das alles nicht gerne und wollen ihren vollen Namen auch nicht in den Medien lesen. Aber immerhin sagen sie etwas. Denn die drei verbindet ein Thema, das zwar allgegenwärtig ist, über das man aber im Normalfall nicht spricht: Sie hatten Schulden, mit denen sie nicht mehr zurechtgekommen sind.

Kreditaufnahme ist etwas Normales. Jedes Elektronikgeschäft bietet mittlerweile eine Finanzierung an, jede Bank wirbt damit, fast jeder österreichische Privathaushalt ist verschuldet. Ohne Kredite wären große, wichtige Anschaffungen oft nicht möglich. Doch wenn die Zahlungsverpflichtungen irgendwann zu hoch werden und in keinem Verhältnis zum Einkommen stehen, entsteht schnell ein Teufelskreis: Es werden nur noch die Zinsen bedient, Rechnungen bleiben liegen, Inkassoforderungen lassen die Summe in die Höhe schnellen. Irgendwann spielt die Bank nicht mehr mit. Oder es steht ohnehin der Gerichtsvollzieher vor der Tür.

Jeden Montagvormittag

Wenn die Menschen in Wien in so eine Situation kommen, landen sie irgendwann in einem grauen, verglasten Bürogebäude in der Nähe der Gasometer im dritten Gemeindebezirk. Im ersten Stock sitzt die Schuldnerberatung des Fonds Soziales Wien. Es ist Montagvormittag, am Gang vor den Büros mit den Namensschildern der Berater warten schon eine Menge Menschen. Junge Familien mit Kinderwagen, mittelalte Männer, deren Gesichtern man anzusehen glaubt, dass ihnen das Leben in den vergangenen Jahren nicht gut mitgespielt hat. Ein Glatzkopf streicht sich über die tätowierten Arme und summt beim Warten leise vor sich hin. Am Ende des Gangs gießt Alexander Maly in einem winzigen Büro dem Gast einen Kaffee ein.

Maly ist seit knapp 30 Jahren bei der Schuldnerberatung Wien tätig, seit 2006 als Geschäftsführer. Der freundliche, ältere Herr mit dem grauen Bart hat die charakteristische sanfte Beraterstimme, die auch bei harten Aussagen ihre beruhigende Wirkung nicht völlig verliert. "Unser typischer Kunde beginnt meist in jungen Jahren damit, über längere Zeit ein wenig -gar nicht dramatisch viel -mehr Geld auszugeben, als er einnimmt", beschreibt Maly eine gängige Schuldnerkarriere. Wenn die Betroffenen sich endlich entschließen, etwas zu tun, habe der Schuldenberg fast immer schon eine Eigendynamik entwickelt. Es sei extrem selten, dass jemand zur Schuldenberatung komme, der den Point of no Return noch nicht überschritten habe.

Grundsätzlich läuft jeder Mensch Gefahr, sich zu überschulden, es gibt allerdings Risikofaktoren, die die Chance dafür erhöhen. Das sind zum einen Faktoren, die oft mit niedrigem Einkommen einhergehen: geringe Bildung, Migrationshintergrund, junges Alter. Bei Menschen, die sich erst später im Leben oder bei höherem Einkommen überschulden, steht am Anfang meist ein tragisches Lebensereignis: Scheidung, Krankheit, Jobverlust, Insolvenz. Ohnehin ist Selbstständigkeit ein klarer Risikofaktor. Sowohl das klassische Unternehmertum, das Investitionen bedarf, als auch die Zunahme der Ein-Personen-Unternehmen und die oft damit verbundene Prekarisierung.

30 Prozent der Menschen, die Hilfe bei der Schuldnerberatung Wien suchen, waren einmal selbstständig. Insbesondere die Möglichkeit für Jungunternehmer, in den ersten Jahren die Beiträge zur Sozialversicherung zu stunden, erweist sich dabei als fatal: Ab dem vierten Jahr sind Nachzahlungen zu leisten, die ohne entsprechende Rücklagen kaum zu begleichen sind. Für viele endet der Traum des eigenen Unternehmens an diesem Punkt.

Psychologie der Schuldner

Die Psychologie des Schuldenmachens ist komplex. Redet man mit Betroffenen und Beratern, kann man die Schuldnerkarriere grob in drei Phasen einteilen.

In der ersten Phase machen die Betroffenen gerne Schulden. Forscher der Ohio State University fanden heraus, dass Schulden bei 18-bis 27-Jährigen sowohl das Selbstbewusstsein als auch das Gefühl, das Leben unter Kontrolle zu haben, steigern. Klingt paradox, ist aber zu einem gewissen Maß logisch: Mit Krediten hat man mehr Optionen auf Konsum, auf Investition in die eigene Zukunft, insgesamt mehr Möglichkeiten. Die Einschränkungen des eigenen Lebens werden auf morgen verschoben.

In der zweiten Phase realisieren die Menschen langsam, dass es ein Problem gibt, überschätzen sich aber selbst. Es scheint alles noch irgendwie lösbar. Die Zinsen werden noch, so gut es geht, bedient, Forderungen sammeln sich, Briefe werden irgendwann nicht mehr geöffnet.
In der dritten Phase ziehen sich die Betroffenen oft zurück und hoffen nur noch darauf, dass der Gerichtsvollzieher nicht klopft.

Es gibt auch skrupellose Schuldner mit betrügerischen Absichten, die sind aber verhältnismäßig selten, sagen die Schuldnerberater. Der typische Schuldner hat ein schlechtes Gewissen.

Es ist recht gut erforscht, dass Schulden Stress auslösen und dauerhaft krank machen. Laut einer Studie der Universität Mainz litten acht von zehn überschuldeten Menschen an psychischen Problemen wie Suchterkrankungen, Angstzuständen oder Depressionen. Selbst wenn in manchen Fällen die Krankheiten Auslöser, nicht Folge der Überschuldung sind und es Korrelationen wie einen geringeren Bildungsgrad gibt, sind Schulden statistisch sehr ungesund.

Aber auch die Mittelschicht ist aktuell ein großes Thema bei der Schuldnerberatung. Diesen Menschen wachsen die Zahlungsverpflichtungen über den Kopf, es sind für gewöhnlich aber auch Vermögenswerte da. "Diese Fälle sind aus Sicht der Schuldnerberatung meist relativ gut lösbar", sagt Maly.

Das bedeute nicht, dass die Lösungen angenehm wären - im Zweifelsfall muss die Lebensversicherung aufgelöst oder die Wohnung verkauft werden. Aber es gibt immerhin die Möglichkeit eines halbwegs würdevollen, selbstbestimmten Auswegs. Menschen aber, die 1.200 Euro verdienen und 40.000 Euro Schulden haben, bleibt eigentlich nur noch der Privatkonkurs.

Ausweg Privatinsolvenz

Die Neuerungen beim Privatkonkurs (siehe Text Seite 24) sind jedoch umstritten: Gläubigerverbände kritisieren das Vorhaben, Schuldnerberatungen hingegen begrüßen es. "Gläubiger haben in Österreich ohnehin eine relativ komfortable Situation", sagt Maly. Die Lohnpfändung sei viel einfacher als in anderen Ländern, ebenso die Möglichkeit, mit Hilfe staatlicher Gewalt an sein Geld zu kommen: "Wenn man einem Engländer erzählt, dass in Österreich wegen einer Kaufhausrechnung theoretisch der Gerichtsvollzieher nachts mit einem Schlosser in einer Privatwohnung stehen kann, macht der große Augen."

Ohnehin fange das Problem ja viel früher, bei der Kreditvergabe, an. Bei Konsumkrediten seien die Banken mittlerweile aber zum Glück zurückhaltender, so der Schuldnerberater. Egal ob sieben oder drei Jahre, das Privatinsolvenzverfahren ist eine schwierige und teilweise auch demütigende Prozedur. Und trotzdem sagen viele Betroffene, dass dadurch wieder Hoffnung in ihr Leben zurückgekehrt wäre.

Auch die Schuldnerberatung erhält häufig die Rückmeldung: "Wenn ich gewusst hätte, dass es eine Lösung gibt, wäre ich viel früher gekommen."

Felix hat seine Schulden mit dem Geld von seinen Eltern zurückgezahlt und außerdem zusätzlich einen 40-Stunden-Job angenommen. Maria hat das Privatinsolvenzverfahren hinter sich. Barbara hofft zur Zeit noch immer, dem durch einen Zahlungsplan entgehen zu können. Die drei haben ihre Schuldenprobleme gelöst oder sind auf dem Weg dorthin.

Am Anfang stand aber zumindest die Erkenntnis, dass man Hilfe brauche. Die sei notwendig, sagt Maly: "Viele Schuldner springen aus dem zehnten Stock und sagen im fünften, dass bis jetzt ja eigentlich alles gut gelaufen sei."

TIPPS

So vermeiden Sie einen Schuldenberg

1. Keine Konsumkredite aufnehmen Wenn man sich den neuen, riesigen Fernseher nur mit einem Kredit kaufen kann, kann man ihn sich nicht leisten.

2. Frühzeitig mit einer Schuldnerberatung reden Wie bei allen Problemen gilt auch hier: Je früher man ansetzt, desto bessere Lösungen sind möglich.

3. Schulden priorisieren Die Schuldnerberatung unterscheidet zwischen "gefährlichen" und "ungefährlichen" Schulden. Als Priorität sollten immer die Rechnungen bezahlt werden, die unmittelbare Folgen nach sich ziehen können: Miete, Strom/Gas und Telefon.