"Die Krise wird ein
Umdenken bewirken"

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck erklärt, wie der Staat den Unternehmen und deren Mitarbeitern bei der Bewältigung der massiven Krisenfolgen hilft. Und welche Konsequenzen Corona insgesamt nach sich ziehen wird.

von Politik - "Die Krise wird ein
Umdenken bewirken" © Bild: News/Matt Observe

Frau Ministerin, viele Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter nach Hause, um von dort aus im Homeoffice zu arbeiten. Kann das funktionieren?
Auf jeden Fall. Wir haben dazu seit Wochenbeginn auch ein Digital Team Austria aufgesetzt, für das ich bereits rund 30 Unternehmen gewinnen konnte, die digitale Lösungen für Klein-und Mittelunternehmen (KMU) und Ein-Personen-Unternehmen (EPU) drei Monate gratis zur Verfügung stellen. Zum Beispiel Video-und Office-Anwendungen von Unternehmen w i e Microsoft, Cisco, HP oder dem innovativen österreichischen Start-up Grape, um nur einige zu nennen. Mit dabei sind aber auch die drei großen Provider A1, Drei und Magenta, die mit der Übertragungsbandbreite nachziehen, um kleinere Unternehmen, die diesbezüglich noch nicht so gut ausgestattet sind, zu unterstützen.

Wie funktioniert das in der Praxis?
Diese Lösungen sind alle Software-basiert und können online aus dem Internet heruntergeladen werden. Die Seite oesterreich.gv.at dient dabei als Plattform sowohl für die Gratisanbieter als auch für die interessierten Unternehmen. Nach Prüfung durch die Anbieter erhalten die Unternehmen den Link zu den Softwarelösungen und dazu die Infos, was diese genau können.

Ist noch eine Erweiterung der Plattform geplant?
Ja, wir rufen laufend weitere Unternehmen an, die sich beteiligen können. Der Bedarf an solchen Business-Lösungen ist unendlich groß. Es gibt in Österreich ja Hunderttausende EPUs und KMUs, wobei sich Letztere oft noch nicht so stark mit der digitalen Technik beschäftigt haben wie die EPUs. Es sind aber auf jeden Fall für viele KMUs, deren Digitalisierungsgrad oft noch verbesserungswürdig ist, Lösungen dabei. Damit auch für jene Unternehmen, die keine eigene IT-Abteilung haben, das sichere Arbeiten von zu Hause aus möglich ist. Das Start-up Grape, das ich nochmals hervorheben möchte, bietet etwa eine ideale, sichere Videokonferenz-Lösung an.

Sind die Netze, die die Provider zur Verfügung stellen, leistungsfähig genug?
Das ist sichergestellt, weil es Teil der kritischen Infrastrukturen in Österreich ist -so wie die Bereiche des öffentlichen Verkehrs oder die Versorgung mit Lebensmitteln oder pharmazeutischen Produkten. Die Aufstellung dieses Digitalteams ist übrigens sehr unkompliziert und rasch mittels Videokonferenz geschehen.

»Diese Krise muss daher nicht nur eine Lehre für die Unternehmen, sondern auch für Österreich und Europa sein«

Abgesehen von den digitalen Möglichkeiten, wie sind die Betriebe auf derartige Krisen vorbereitet?
Die Krisensicherheit von Unternehmen ist generell ein Thema der Wirtschaft, das von verschiedenen Kriterien abhängt: Wie ist der Kapitalmarkt generell aufgestellt? Wie hoch ist die Eigenkapitaldecke der Unternehmen? Welchen Zugang haben sie zu Finanzmitteln? Wie autonom sind sie in manchen Bereichen? Und wie abhängig sind sie von Lieferketten? Diese Resilienz und die Stärkung des Standortes ist besonders wichtig. Ich hatte heute eineinhalb Stunden lang einen runden Tisch mit neun Wirtschaftsforschern -ebenfalls voll digital -, bei dem auch die Robustheit der österreichischen Wirtschaft im Fokus stand. Diese Krise muss daher nicht nur eine Lehre für die Unternehmen, sondern auch für Österreich und Europa sein. Das heißt zu schauen, wo in kritischen Infrastrukturen gemeinsame europäische Projekte umgesetzt werden können. Ganz evident ist das Problem etwa in der Pharmaindustrie: Es reicht nicht aus, in Europa nur zu forschen, man muss zu einem bestimmten Maß auch hier die Wirkstoffe produzieren. Das Thema wird mittelfristig auch angegangen werden. Jetzt gilt es einmal, rasch und unmittelbar zu helfen. Danach wird man sich Gedanken machen, wie die Robustheit der österreichischen Wirtschaft, die in vielen Bereichen sehr gut ist, noch verbessert werden kann. Die Corona- Krise wird diesbezüglich sicher ein Umdenken bewirken.

Stichwort Hilfe: Es gibt ja ein riesiges Hilfspaket. Was ist da der letzte Stand?
Beim Corona-Kurzarbeitsmodell, das die Unternehmen rasch und unbürokratisch unterstützen soll, ist zuletzt neu dazugekommen, dass der Staat ab dem ersten Tag der Kurzarbeit auch die Sozialversicherungsbeiträge für die angemeldeten Mitarbeiter übernimmt. Als Entlastung für die kleinen Unternehmen, die laut Feedback der Sozialpartner die Last der SVA-Beiträge in den ersten drei Monaten nicht tragen hätten können und ihre Mitarbeiter daher kündigen hätten müssen. Das ursprüngliche Vier-Milliarden-Paket war ein erster Schritt, daher haben wir gleich nachgezogen. Insgesamt stehen bis zu 38 Milliarden Euro zur Verfügung. Unser Zugang ist klar: Wir wollen alles Menschenmögliche tun, um Arbeitslosigkeit und Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen zu verhindern.

Was wird für die EPUs getan?
Die haben verschiedene Möglichkeiten. Erstens die Stundung der Sozialversicherungsbeiträge und die Beantragung zur Herabsetzung der Bemessungsgrundlage und den Verzicht auf Verzugszinsen. Zweitens können im Gegensatz zu früher auch nicht gewerbliche EPUs, also neue Selbstständige, eine staatliche Kreditgarantie beantragen, damit sie bei ihrer Hausbank ein Darlehen bekommen. Zum Beispiel Moderatoren, Künstler oder andere Selbstständige mit einem funktionierenden Geschäftsmodell, das ihnen jetzt wegbricht. Diese Garantie wird über das AWS abgewickelt. Und wenn das alles nicht greift, gibt es als dritte Möglichkeit den Härtefonds.

Wie sieht der konkret aus?
Der Härtefonds schüttet Direktzahlungen aus, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Ähnlich wie bei Naturkatastrophen, damit die Betroffenen über die schwierige Zeit kommen. Der Härtefonds ist für Kleinst-und Familienunternehmen mit einem seriösen Geschäftsmodell gedacht, um etwaigen Missbrauch zu verhindern.

Gibt es Branchen, die weniger betroffen sind?
Ja. Dazu gehört sicher der Lebensmittelhandel, der aber jetzt andere Probleme hat, nämlich, dass die Mitarbeiter am Rande ihrer Belastungsgrenze bzw. bereits darüber sind. Oder Apotheken, digitale Dienstleister oder die Gaming- Industrie. Bei den jugendlichen E-Sports-Nutzern explodieren gerade die Zahlen. Wie weit Lieferdienste profitieren wird sich erst zeigen. Es ist sicher ein Thema, dass Österreichs Handel sehr stationär ist.

»"Händler helfen Händlern" ist auch ein gutes Beispiel für das Team Österreich«

Der Handel ist ja insgesamt enorm betroffen ...
Da haben wir gemeinsam mit der Wirtschaftskammer und dem Handelsverband die Initiative "Händler helfen Händlern" ins Leben gerufen. Mitarbeiter von Unternehmen, die nicht im Lebensmittelsegment tätig sind, können freiwillig in diesem arbeiten und damit die Versorgung Österreichs sicherstellen. Kika-Leiner macht da etwa im großen Umfang mit. In Summe haben sich bereits mehr als 500 Mitarbeiter gefunden und bereit erklärt, im Lebensmittelhandel zu helfen. Sie bleiben in ihrem Unternehmen angestellt, behalten ihren Job und die beiden Unternehmen machen sich das untereinander aus. Das ist auch ein gutes Beispiel für das Team Österreich, das jetzt gefragt ist.

Die Kurzarbeit ist ja vorläufig mit drei Monaten befristet. Ist das der Krisenzeitraum, von dem man ausgeht oder kann es noch länger dauern?
Laut den Simulationen zur Entwicklung der Ansteckungen ist noch keine Trendwende zu erkennen. Eine Prognose traue ich mich nicht abzugeben; das Virus wird aber sicher einmal bekämpft sein. Es forschen dazu in Österreich ja eine Reihe ganz großartiger Unternehmen und gemeinsam mit dem Klimaministerium werden wir einen zweistelligen Millionenbetrag für die klinische Forschung zur Verfügung stellen, damit Projekte zum Corona- Virus vorangetrieben werden können: In jenem Bereich, in dem ein Medikament bereits so weit gediehen ist, dass es getestet werden kann. Dazu wird in Kürze ein Call ausgeschrieben werden, an dem sich alle Forschungsunternehmen beteiligen können.

Wie verhältnismäßig sind die bisher gesetzte Maßnahmen aus Ihrer Sicht?
Unser Ziel ist es, jetzt genau die Maßnahmen richtig zu treffen, die für die Gesundheit der Menschen richtig sind. Da gibt es keinen Zweifel, dass wir das tun müssen. Der Schutz der Menschen ist das Wichtigste und jetzt kommt eben auch der Schutz der Wirtschaft und der Arbeitsplätze dazu. Um damit die Geschwindigkeit, mit der sich das Virus ausbreitet und die Folgeprobleme, die damit verbunden sind, zu verlangsamen und Zeit zu gewinnen. Und gleichzeitig in die klinische Forschung zu investieren, damit ein Medikament sehr rasch produziert werden kann. Die Schritte, die wir gesetzt haben, sind einschneidend -auch für die Wirtschaft -, aber ich trage sie voll mit. Würden wir das nicht tun, würde es zu unkontrollierten, kriegsähnlichen Zuständen wie in Italien kommen. Die letzte Pandemie hatten wir zur Zeit der spanischen Grippe, also vor gut hundert Jahren. Heute haben wir viel bessere Möglichkeiten, mehr Erfahrungen und digitale Tools, um von zu Hause zu arbeiten und gegen Corona vorzugehen.

Es können aber nicht alle Homeoffice machen ...
Natürlich nicht. Es ist gleichzeitig von essentieller Bedeutung, dass die ineinandergreifenden Rädchen der Wirtschaft und die Produktionsprozesse in allen Bereichen weitergehen. Was in dem Zusammenhang notwendig ist, entscheidet unter sorgfältiger Abwägung der jeweilige Arbeitgeber. Wenn tatsächlich gearbeitet wird, ist er natürlich auch für die nötigen Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich. Falls die Wirtschaft wirklich zum Stillstand kommen sollte und Unternehmen sowie Arbeitsplätze wegen Insolvenzen verschwinden, wäre es ganz schwierig, nach der Krise die Strukturen wiederaufzubauen. Das würde langfristig negativ wirken.

»Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir weit vorne«

Und wo steht Österreich im internationalen Vergleich?
Wir sind da definitiv im Vergleich zu anderen Ländern weit vorne und ein First Mover, beim Setzen der richtigen Schritte gegen die Krise. Das wird hoffentlich das Vertrauen der Menschen, dass Österreich ein guter Ort zum Leben ist, und das Vertrauen der Betriebe, dass es ein guter Ort sich hier anzusiedeln, stärken. Es ist auch ein Signal, dass sie sich auf den Staat verlassen können. Das Gesetz, das am Wochenende im Parlament beschlossen wurde und das den Rahmen für all dieses Maßnahmen bildet, gibt es etwa in Deutschland nicht.

Haben Sie eine Vorstellung, wie hoch die Schäden für die Unternehmen letztlich ausfallen werden?
Ich will mich da nicht festlegen. Viele Wirtschaftsforscher gehen schon von einer zweistelligen Milliarden-Euro- Summe aus. Für uns ist das aber nicht so relevant, sondern die Konzentration auf den Moment und das bestmögliche Helfen in der Krise.

Abschließend noch eine persönliche Frage: Wie lange dauern Ihre Arbeitstage derzeit eigentlich?
Die dauern mehr oder weniger rund um die Uhr. Aber das ist okay, dafür sind wir als politisch Verantwortliche auch da. Ich mache das auch gerne.

Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (12/2020) erschienen.

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