"Dilettanten des Mafiösen"

Vor der Wucht der innenpolitischen Verwerfungen droht die Satire zu verstummen. Doch sie leistet Widerstand: Florian Scheuba, Franz Schuh, Joesi Prokopetz, Andreas Vitásek und Elias Hirschl stemmen sich gegen die Urgewalt des von Kurz und Schmid entfesselten Realkabaretts.

von "Dilettanten des Mafiösen" © Bild: Trend Wolfgang Wolak

Urgewalten sind das, die da über Österreich hinwegbrausen, seit Sebastian Kurz vor einem ganzen politischen Leben das Geilomobil in Betrieb genommen hat. Das Vehikel fände mittlerweile nicht einmal mehr im Depot einer Abnormitätenschau Platz. Und auch der Orkan an Zuwendung, den er erst innerhalb der ÖVP, dann bundesweit und ein erhebliches Stück drumherum -bis in die politischen Einzugsgebiete der Kollegen Orbán, Netanyahu und Trump -entfesselt hat: Der bestand, wie Orkane das so an sich haben, auch nur aus Luft.

Aber gelegt hat er sich noch lang nicht. Denn kaum hat sich der mittlerweile privatwirtschaftlich aktive Staatenlenker a. D. in einem fundamentalen Thesenwerk seiner Verdienste für das Land entsonnen, fährt ihm sein ehemaliges Groupie Thomas Schmid in die Parade. Und das mit einer Zerstörungswucht, die nicht nur mit der ersehnten Kronzeugenschaft zu tun hat. Sondern schlicht mit dem Hass, der sich oft aus enttäuschter Leidenschaft entlädt. Dass Kurz mit einem aufgezeichneten Telefonat, dessen Absichten selbst ein Schwerstverkühlter Kilometer gegen den Wind wittern würde, seine Unschuld beweisen wollte: Das hat den seit Längerem leidgeprüften Kabarettisten und Satirikern den Rest gegeben. Schon rezitieren die Kollegen Michael Nikbakhsh und Thomas Oppitz im Wiener Rabenhof kommentarlos aus dem 454 Seiten starken Jahrhundertwerk der WKStA. Aber nicht alle resignieren. Lesen Sie selbst.

FRANZ SCHUH: "Wer die Omertà bricht "

Ich zeige mich gern empört. Empört bin ich am schönsten, ich empfehle aber den berühmten kühlen Kopf. Das heißt: eine Betrachtung zunächst als soziologisches Experiment, eine Betrachtung dessen, was sich da unter unser aller Augen vollzieht. Unter dem soziologischen Experiment, das da zu betrachten ist, verstehe ich das Entstehen mafiöser Strukturen in Machtzentren. Mafiös, darunter verstehe ich wiederum keine Verbrechensansammlung, wie das in den USA der Fall war, sondern schlicht die Vernetzung und Verteilung verschiedener Positionen auf die Familienmitglieder mit dem Zweck, Macht zu erringen und Macht zu erhalten. Um die Familien herum bildet sich dann ein zweiter Kreis, Medienmacher und Bedürftige wie der Industriemanager Wolf, der seine Steuern runterhandelt, dass ich angesichts meiner Vorschreibungen Herzrhythmusstörungen bekomme.

»Bei diesen mafiösen Zusammenhängen ist es klassisch, dass immer einer aus der Familie kündigt«

Bei diesen mafiösen Zusammenhängen ist es klassisch, dass immer einer aus der Familie kündigt: Er kündigt die Omertà, das Schweigegebot, weil er befürchten muss, die anderen hängen ihm alles an und er steht im Regen. Die Justiz nützt diese vorhersehbare Gegebenheit durch die Ausschreibung des Postens eines Kronzeugen. Zweitens ist das soziologische Moment auch psychologisch nicht uninteressant: Man sieht den Aufschwung, die Euphorie, ja geradezu eine Apotheose des Anführers. Das erzeugt die berühmte uralte Hybris, nämlich das Gefühl, uns kann kana. In Wahrheit spielt sich alles nach der Redewendung "Hochmut kommt vor dem Fall" ab. Fall wahrscheinlich auch juristisch, weil da noch einiges vor Gericht kommen wird. Man sieht den Untergang: Die Geltung schrumpft zusammen, bis nur noch die Unschuldsvermutung gilt. Und ich habe drittens noch einen anderen Punkt: Ich kann es nicht leugnen, dass ich für die Dilettanten des Mafiösen Mitleid fühle. Sie können ja nicht einmal ihre Spuren löschen, im Gegenteil, sie speichern sie sogar, um sie zum Entschulden dem Publikum vorzuspielen. Das, muss ich sagen, ist nun wirklich erbärmlich und verdient unser Mitleid.

JOESI PROKOPETZ: "Die Satire verstummt"

Verstummen ist an sich nicht das Schaffensprinzip des Kabarettisten Joesi Prokopetz, 70, der einst als Miterfinder des Austropop die österreichische Seele in ihren Vorzügen und Abgründen definiert hat. Jetzt droht er zu resignieren. "Jeder seriöse Satiriker muss vor der Realsatire verstummen." Auch die Flucht in die zeitlosen Weiten der Literaturgeschichte hilft nicht. "Ich denke die längste Zeit nach, welche literarische Person es zum Kurz schaffen könnte." Eine Zeit lang schien Thomas Manns junger, antimoralischer und gewissenloser Hochstapler Felix Krull eine hoffnungsvolle Option. "Aber auch der stinkt gegen Kurz ab. Ich habe keine literarische Gestalt gefunden, die in ihrem Opportunismus so schizophren und vielschichtig wäre."

»Er hat die Menschen erstaunt, weil er so jung war und einen geraden Satz mit Subjekt, Prädikat und Punkt zusammenbringt. Das qualifiziert in Österreich schon zum Messias.«

Wie also konnte es Kurz so hoch hinauf und retour schaffen?"Er hat die Menschen erstaunt, weil er so jung war und einen geraden Satz mit Subjekt, Prädikat und Punkt zusammenbringt. Das qualifiziert in Österreich schon zum Messias. Das hat auch die alten Damen beeindruckt, was einen aber wundert, weil seine Auftritte zwar formal gut, aber glatt und vollkommen inhaltslos waren. Glatt wie eine Seife, die nichts kann als 100 andere Seifen auch, die man aber kauft, weil sie besser fotografiert ist." Dabei, sagt Prokopetz, hätten die alten Damen dem Kanzler spätestens die Gefolgschaft aufkündigen müssen, als er zur Selbstreklame im Altersheim aufkreuzte und die Insassen mit der Anfrage "Na, habts eh schon z'Mittag 'gessn?" demütigte. Ist Kurz also ein schlechter Charakter? "Das glaube ich nicht. Er ist gar kein Charakter, aber mit dem Touch der ÖVP-Jugend."

Und der rasend schnelle Abstieg, der jetzt sein vorläufiges Ende im Kriminal zu finden droht? "So ist das immer mit solchen Figuren. Meine Theorie ist, dass er erledigt war, als er in der ,ZiB 2' bei den Fragen des Moderators geschwommen ist. Geschwommen! Von einem Moment auf den anderen war klar, dass er nicht über das Wasser gehen, ergo doch nicht göttlich sein kann. Da haben sie ihm ihre Gunst entzogen."

Schmid? Ein klassischer Rektalspion, wie man im Wiener Idiom eine bestimmte Technik des Einschmeichelns nennt. "Solche Leute sind nicht beständig." Und die anderen Parteien? Haben die nicht gleichfalls die Belegschaften ganzer Prosekturen im Keller? "Die Sache in der ÖVP ist ein riesengroßer Berg, aber die anderen haben auch ihre Hügel aufgeworfen. Allerdings hat keine andere Partei diese letztlich selbstzerstörerische Siegesgewissheit aufgebracht wie die ÖVP unter Kurz."

Ist die ÖVP damit erledigt, und wäre das gut? "Erledigt nicht, die ist unsterblich. Aber sie wird endlich auf ihr wahres Format zurückgestutzt: wenn, ja wenn es der SPÖ endlich möglich ist, den Elfmeter vor dem leeren Tor zu verwandeln, statt vor dem leeren Tor umzudrehen, über den ganzen Platz zu dribbeln und ein Eigentor zu schießen." Oder, sportiv anders metaphorisiert: "Man steigt nicht mehr in den Ring, obwohl der Gegner schon halb k. o. in der Ecke liegt. Man braucht jemanden mit Biss, aber alle nehmen die Zähne heraus, wenn sie die Löwelstraße betreten."

ANDREAS VITÁSEK: "Volltrottelvermutung"

Die Frage nach seinem Befund zur aktuellen politischen Situation beantwortet der Kabarettist Andreas Vitásek, 66, mit einer Gegenfrage. "Ich nehme an, Sie sprechen von der innenpolitischen? Denn wenn man bedenkt, dass wir in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg sind, ist das ja nur eine bescheiden lustige komödiantische Fußnote." Dennoch, das Thema reizt ja. "Das Telefonat von zwei Abgeschafften könnte einem egal sein, wenn nicht Leute aus diesem Dunstkreis nach wie vor in der Politik wären. Und wenn nicht dieses Telefonat eine Frechheit gegenüber dem gesunden Menschenverstand wäre. Mindestens einer von zweien, die wissen, dass sie abgehört werden, schneidet das Ganze mit und stellt die Fragen so, dass es ganz offensichtlich ist, was er will. Da gilt die Volltrottelvermutung. Aber wichtiger als dieser Epilog zur Episode Kurz ist: Wer hat von den Korruptionsgeschichten profitiert und profitiert noch immer? Von diesen Personen aus Politik und Wirtschaft werden wir hoffentlich noch hören. Unklar ist, warum die Neos den Untersuchungsausschuss nicht mehr weiterführen. Am Ende", äußert Vitásek die Hoffnung auf eine überraschende Wendung, "wird auch das noch interessant".

Eine Blitzcharakteristik der Person Kurz? Da muss der erfahrene Satiriker kapitulieren. Einen eleganten Lederhandschuh ohne Inhalt -etwa in der Gestalt einer Hand -könne man nicht charakterisieren. "Vielleicht", äußert er einen ähnlichen Verdacht wie Kollege Prokopetz, "haben ihm seine rhetorischen Fähigkeiten geholfen. Ein Politiker, der unfallfrei einen geraden deutschen Satz produzieren kann, ist ja schon privilegiert."

»Der Bürger hat das Gefühl, es machen eh alle so, nur die ÖVP so ungeschickt, dass man ihr draufgekommen ist.«

Die Folgen für die Politik seien insgesamt fatal. "Der Bürger hat das Gefühl, es machen eh alle so, nur die ÖVP so ungeschickt, dass man ihr draufgekommen ist." Auch deshalb solle man mit Neuwahlen keine Zeit vergeuden, so wohltuend es auch sei, der SPÖ beim Lernen zuzusehen. "Wir sind in einer Weltkrise, da gibt es Dringenderes. Außerdem würde ich die Zadić gern weiterarbeiten sehen und finde auch die Gewessler bemerkenswert mutig."

ELIAS HIRSCHL: "Ich gebe mich für dich auf"

Er liebt seinen Parteichef. Will nur sein wie er. "Ich gebe mich für dich auf, Julius", träumt der namenlose Icherzähler von seinem Idol, dem Slimfit-Politiker Varga. Bis sich in seinem Kopf etwas verschiebt und die dort ansässige Bestie von der Kette lässt. Begnadeteres Zufallsmarketing wurde noch nie erlebt: Kaum war im Herbst 2021 Elias Hirschls furioser Roman "Salonfähig" erschienen, implodierte dank Thomas Schmid das System Kurz. Und jetzt bringt ein vormals großer Liebender den Altkanzler ins Kriminal. Einen Fortsetzungsband, auf den man sich freuen könnte, beabsichtigt Hirschl nicht. Aber freudiges Erstaunen über die eigenen seherischen Fähigkeiten will sich der 1994 in Wien geborene Belletrist und Poetry-Slammer nicht versagen. "Mich amüsiert hauptsächlich, wie sich alle, kaum dass sie nicht mehr in der Politik sind, gegeneinander wenden. Sofort zerfällt alles. Loyalität gab es bis zu genau dem Punkt, an dem man noch irgendetwas voneinander kriegen konnte. Jetzt hat Kurz nichts mehr anzubieten, die Loyalität geht flöten, und jeder versucht seine Haut zu retten."


Und welch hoch literarischer Vorgang, dass der wankende Kurz sein Groupie bewegen wollte, die Schuld auf sich zu nehmen, weil sonst die Republik vor den Augen der Welt erledigt wäre! "Ich wüsste nicht, was es nach dem, was Kurz für das Image Österreichs geleistet hat, noch zu verlieren gäbe." Sind wir demnach so? Eine Bananenrepublik?"Ich frage mich das immer im Hinblick auf Deutschland, das viel größer als Österreich ist. Gibt es dort weniger Korruption, oder ist man nur erfolgreicher darin, sie geheim zu halten? Ich neige dazu, dass es im deutschen politischen System prinzipiell besser läuft. Dort sind mehr demokratische Schutzmechanismen dazwischen, und Leute haben schon wegen kleinerer Vergehen als bei uns das Amt räumen müssen."

»Das Überraschende für mich selber ist, dass ich nicht überrascht bin, wenn Skandale passieren. Es ist ja tagtäglich irgendetwas, man regt sich schon gar nicht mehr auf«


Wie ist das zu erklären? "Das Überraschende für mich selber ist, dass ich nicht überrascht bin, wenn Skandale passieren. Es ist ja tagtäglich irgendetwas, man regt sich schon gar nicht mehr auf, und darum erlauben sich die Politiker auch mehr. In Deutschland", fährt er listig fort, "beschränkt sich dieses Gefühl interessanterweise auf die Bahn. Kürzlich ist in Norddeutschland einen Tag lang kein Zug gefahren. Am nächsten Tag ist herausgekommen, dass es ein Sabotageakt war, und keiner wollte es glauben: Weil alle davon ausgehen, dass die Deutsche Bahn ohnehin nie kommt. So ist es auch in Österreich. Nur leider mit der Politik."