Der Ukraine-Krieg

Und das Schachspiel der Mächtigen

von Schlaglichter - Der Ukraine-Krieg © Bild: IMAGO/Belga

Was hat der Überfall Russlands auf die Ukraine mit den Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran über das Atom abkommen in Wien zu tun? Auf den ersten Blick überhaupt nichts, bei einer genaueren Analyse sind die beiden Probleme eng miteinander verflochten. Und nicht nur diese Konflikte. Auf der Weltbühne der Mächtigen gibt es mehr Überlappungen und Verwicklungen, als in den täglichen Nachrichten über die Ukraine vermittelt wird.

USA

Die USA unter Präsident Biden versuchen, mit einem neuen Team in Wien den sogenannten JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), die Vereinbarung mit dem Iran über Atomwaffen, die unter Trump 2018 aufgehoben wurde, neu zu verhandeln. Ein Abkommen könnte die Sanktionen gegen den Iran beenden. Iran dürfte wieder Öl verkaufen, eine dringend notwendige Entscheidung, um die Energieverknappung durch den Boykott gegen Russland abzufedern.

Gleichzeitig birgt die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran die Gefahr einer engeren Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Iran. Aufgrund der feindlichen Einstellung beider gegenüber den USA und Europa könnte Russland versuchen, die Probleme der Sanktionen durch einen Ausbau des Handels mit dem Iran auszugleichen. Russische Exporte könnten über den Iran andere Länder erreichen. Das wollen die USA verhindern und stellen als Bedingung für eine Einigung im Atomvertrag, dass der Iran zwar weltweit seine Handelsbeziehungen ausbauen könnte, jedoch nicht mit Russland. Der Iran hat diese Einschränkungen bisher teilweise abgelehnt.

Ein weiteres Problem ist das Abkommen von 2015 - das Trump stornierte. Dort ist festgehalten, dass der Iran eine Atomkraftanlage aus Russland kaufen könnte, und Teheran hat sich bisher geweigert, auf diesen Punkt zu verzichten. Ein neues Übereinkommen würde den Handel zwischen Russland und dem Iran verbieten, mit der Ausnahme der Errichtung eines russischen Atomkraftwerks. Das wird Israel nicht zulassen, da über den Bau einer Atomkraftanlage das Atomwaffenprogramm des Irans heimlich ausgebaut werden könnte.

EU/UK

EU und Großbritannien sind ebenfalls an einem neuen Übereinkommen mit dem Iran interessiert. Sie benötigen dringend neue Partner für Öl- und Gaslieferungen. Auch sie werfen Russland vor, einen neuen Vertrag mit dem Iran mit Versprechungen zu hintergehen. Der Iran hat mit dieser "Rückendeckung" und neuen Forderungen die Gespräche in Wien verzögert.

Gleichzeit versuchen die Europäer - UK-Premier Johnson in Saudi-Arabien und der deutsche Wirtschaftsminister Habeck in Katar -, neue Lieferabkommen zu unterzeichnen, um der Abhängigkeit von Russland zu entkommen. Sowohl Saudi- Arabien - mit dem Problem der vom Iran unterstützten Rebellen im Jemen - als auch die Emirate fürchten einen stärkeren Einfluss des Irans in der Region und begrüßen die Boykottmaßnahmen und die harte Haltung gegenüber Russland, um eine neue Achse Iran-Russland zu verhindern. Der Überfall auf die Ukraine stärkt daher die Beziehungen Saudi-Arabiens und der Emirate zu EU/UK und den USA, wobei die Menschenrechtsverletzungen großzügig ignoriert werden.

Das Problem der Abhängigkeit der Europäer von russischen Lieferungen könnte durch ein Ende des Boykotts gegenüber dem Iran und besseren Beziehungen zu Saudi-Arabien/Emiraten tatsächlich gelöst werden. Das würde allerdings bedeuten, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, wenn man die Abhängigkeit von Russland mit der Abhängigkeit von einer möglichen neuen Atommacht Iran ersetzt.

Russland/China

Putin versuchte in den letzten Monaten, die Beziehungen zum Iran zu verbessern. Iran zeigte keine Berührungsängste. Der iranische Außenminister Amirabdollahain führte erst kürzlich Gespräche mit seinem russischen Kollegen Lavrov in Moskau, die beide als "sehr erfolgreich" beschrieben. Einerseits betont Moskau, einen neuen Atomvertrag mit dem Iran zu unterstützen, anderseits unterläuft es die Verhandlungen mit Angeboten an den Iran.

Der Iran ging ursprünglich davon aus, dass der Ukraine-Krieg den Westen "schwächen" würde, und versuchte, mit neuen Forderungen ein besseres Verhandlungsergebnis zu erzielen. Der Ukraine- Krieg vereinte jedoch den Westen, und Biden drohte bereits, die Verhandlungen in Wien einfach abzubrechen. Die Fortsetzung der Sanktionen könnte jedoch den Iran in den wirtschaftlichen Ruin treiben. China hat einerseits Russland in einem neuen Vertrag "bedingungslose" Unterstützung garantiert, jedoch bei der entscheidenden Sitzung des UN-Sicherheitsrats Russland diese Unterstützung verweigert. Iran hoffte auf bessere Beziehungen zu China, falls die Verhandlungen in Wien scheitern würden. Doch China ist wie immer unberechenbar, hat beste politische und ökonomische Beziehungen zu Saudi-Arabien und Israel, verurteilt die Sanktionen gegen Russland, schweigt zu dem Überfall auf die Ukraine und ist bei den Verhandlungen über einen neuen Iran- Atomvertrag auf Seiten der USA.

Iran/Israel

Iran könnte den gesamten Energieexport Russlands nach Europa abdecken. Aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen Lage des Irans und der Schwierigkeiten, die eigene Bevölkerung zu ernähren, wären die Lieferungen nach Europa ein rettender Ausweg aus der Krise.

Dazu ist jedoch eine Einigung in einem neuen Nuklearvertrag notwendig mit dem Verzicht des Irans, Atomwaffen herzustellen. Die Reaktionen des Irans zeigen einen irrationalen Weg: Er arbeitet - laut Israels Geheimdienst - weiter an Atomwaffen, hat bisher auf Kritik von Russland verzichtet, jedoch gleichzeitig als positives Signal zwei britische Staatsbürger freigelassen, die seit Jahren in Teheran gefangen gehalten wurden. Russland, China, USA, Saudi- Arabien, EU/UK und Israel sind sich in einer Frage einig: Ein islamistisches Regime im Iran darf keine Atomwaffen haben.

Israel, als "unbeteiligter" Verhandlungspartner zwischen Iran und den USA, wird eine Vereinbarung nur akzeptieren, die eine hundertprozentige Garantie gibt, dass der Iran keine Atomwaffen herstellen könnte. Mehrmals hat Israel das Atomprogramm des Irans durch Anschläge gestört, bis zur Ermordung wichtiger Entscheidungsträger. Israel hat nicht ausgeschlossen, den Iran militärisch anzugreifen, falls eine Bewaffnung mit Atombomben nicht verhindert werde.

Gleichzeitig hält sich Israel mit der Kritik gegenüber Russland zurück. Da es weder aus dem Iran noch von anderen arabischen Ländern Öl importieren kann, ist es völlig von Energieimporten aus Russland abhängig. Weiters braucht Israel die Zurückhaltung Russlands in Syrien, wo es wiederholt neue militärische Stützpunkt des Irans bombardierte.

Saudi-Arabien/Emirate

USA und UK forderten Saudi-Arabien auf, mehr Öl/Gas zu fördern. Irgend wer muss die Rohstoffe liefern, die man Russland nicht mehr abnehmen möchte. Auf der Grundlage -Iran ist dein und auch mein Feind - haben sich die Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien/Emirate verbessert. Israel lieferte Raketenabwehrsysteme und ein Austausch von Waren und elektronischem "Know-how" wurde vereinbart.

Die Emirate mit Ausnahme von Katar sehen im Iran und in Russland wesentlich gefährlichere Gegner als in Israel und suchen eine neu strukturierte strategische Koalition. Auch für sie wäre ein Iran mit Atomwaffen eine Katastrophe. Deshalb wären sie bereit, die fehlenden Ölimporte aus Russland auszugleichen, um zu verhindern, dass die USA und die EU weitgehende Zugeständnisse gegenüber dem Iran akzeptieren. Weiters fürchten sie, dass der Iran mit neuem Geld aus Ölverkäufen terroristische Aktivitäten in der Region finanzieren könnte.

Kreisverkehr

Man stelle sich einen siebeneckigen Kreis mit Russland, USA, China, Iran, Israel, Saudi-Arabien und EU/UK in den Eckpunkten vor - alle sind auf unterschiedliche Art und Weise miteinander verbunden und voneinander abhängig. Eine Vereinbarung, ein Konflikt zwischen zwei Staaten hat einen Einfluss auf einen dritten und einen vierten, und ein fünfter kann die Bedingungen beeinflussen. Der Globalisierung der Wirtschaft folgte die Globalisierung internationaler Konflikte.