Let it be

Paul McCartney über Ideen und Hintergründe der Beatles-Songs

von Schlaglichter - Let it be © Bild: Getty Images

1965 arbeitete ich während der Sommerferien in London in einer chemischen Fabrik und wohnte zur Untermiete bei einer älteren Frau im Norden der Stadt in Hampstead. Eine Stunde auf der Northern Line dauerte die Fahrt zur Fabrik, die in Stockwell im Süden der Stadt lag. Auf dem Rückweg von der Arbeit ging ich von der U-Bahn-Station durch die wunderbaren Straßen dieses vielleicht schönsten Bezirks von London mit den roten Backsteingebäuden und hohen, alten Bäumen zu meinem Zimmer, wo mir die Vermieterin, wie eben in London üblich, ein Tablett mit einer Kanne Tee und einem Teller mit Keksen ins Zimmer brachte.

An einem dieser angenehm warmen Sommerabende auf dem Weg nach Hause überraschte mich der Lärm in den sonst so ruhigen Straßen von Hampstead. Viele Fenster der Wohnungen waren offen, und aus jedem kam Musik mit voller Lautstärke, irritierend, weil untereinander nicht abgestimmt, spielten dennoch alle den gleichen Song. Es war, als würde die Straßen sich bewegen wie ein Schiff bei hohem Seegang und einen durch die Wellen der Musik taumeln ließen. Ich blieb vor einem der Häuser stehen und hörte zu, bis eine Frau am Fenster erschien und mich fragte, ob ich das Lied kennen würde. Ich schüttelte den Kopf. "Es ist 'Yesterday'", sagte sie lächelnd. "Von Paul, das schönste Lied aller Zeiten, mir kommen jedes Mal die Tränen, wenn ich es höre."

Nun schrieb Paul McCartney in einem neuen Buch ("The Lyrics: 1956 to the Present") über die wichtigsten Lieder der Beatles, die Gedanken, Ereignisse und Zufälle dahinter, und schuf damit ein wohl einmaliges Dokument der modernen Musikgeschichte.

Yesterday

1964 wohnte Paul im Haus der Eltern seiner Freundin Jane Asher. Sie richteten ihm ein Zimmer unter dem Dach ein, in dem ein kleines Klavier gleich neben dem Bett Platz hatte. Eines Morgens wachte er auf dem Boden auf, er war aus dem Bett gefallen und erinnerte sich an eine Melodie, die in einem Traum vorkam. Als er später John traf, fragte er ihn, ob er diese Melodie kenne. Paul war sich sicher, er habe nur von ihr geträumt, weil er sie schon gehört hätte. John kannte sie nicht. Wenige Wochen später begannen die Vorbereitungen für den Film "Help!". Wo immer Paul ein Klavier fand, spielte er diese Melodie, bis der Regisseur Richard Lester drohte, er werde alle Klaviere fortschaffen lassen.

Nach den Dreharbeiten schrieb Paul das Lied und stellte es den anderen vor. Ringo sagte, dazu passe kein Schlagzeug, und auch George lehnte ab, mit der Gitarre zu begleiten, bis John vorschlug, Paul sollte es einfach selbst machen. Es sei das erste Mal gewesen, schreibt Paul, dass ein Mitglied der Band auf einem Album ein Lied alleine spielte.

"Yesterday" kam nur in den USA als Single heraus und als Song auf der LP "Help!"'. Es wurde eines der erfolgreichsten Lieder der Beatles, von der Musikzeitschrift "Rolling Stones" zum besten Song des 20. Jahrhunderts gewählt. Es gibt 3.000 Versionen von verschiedenen Künstlern, darunter Matt Mango und Marianne Faithful, die mit ihren Interpretationen ebenfalls die Top Ten der Hitparaden erreichten.

Please Please Me

"John und ich arbeiteten oft an Liedern mit den Gitarren in unseren Händen", beschreibt Paul die Zusammenarbeit. Da der eine Linkshänder, der andere rechtshändig war, spielten sie oft vor einem Spiegel. "Please please me" sei Johns Idee gewesen. Er habe sich lustig gemacht über die Doppelbedeutung des Wortes "Please"(in Englisch sowohl "Bitte" als auch "sexuelle Befriedigung"). Zu Beginn sei es ein sehr langsamer Song gewesen. Der Produzent, George Martin, schlug vor, es einfach schneller zu singen, und auch George gefiel dieser Vorschlag. "Er drängte John und mich, es zu ändern, und meinte damals scherzhaft, wer weiß, vielleicht ist es unsere erste Number One." Es wurde tatsächlich der erste "Nummer eins" der Beatles in der Hitparade.

Das Lied sei ein Beispiel für die besonders gute Zusammenarbeit mit George Martin. Oft hätten sie als Musiker Ideen ins Studio gebracht, doch erst Martin habe sie in die richtige Form gebracht.

Penny Lane

Wenn immer Paul John besuchte und beide noch bei den Eltern lebten, musste Paul an der Haltestelle "Penny Lane" den Bus wechseln. Auch wenn sie sich verabredeten, war dieser Busstop ihr Treffpunkt. Bis heute erinnert sich Paul an die Geschäfte rund um "Penny Lane" und schreibt, es habe sich kaum etwas verändert. Es gebe immer noch die Bank, den Frisör, die Feuerwehr und die Kirche, wo Paul als kleiner Junge gesungen hatte.

Die Zeile im Song "A barber showing photographs" sollte an den Frisör des Italieners erinnern, wo Fotos von bekannten Schauspielern an den Wänden hingen. Wenn ein Kunde einen Haarschnitt verlangte, zeigte er einfach auf den einen oder anderen Star, wollte entweder die Frisur von Tony Curtis oder Paul Newman. Alle Beatles hätten sich dort, als sie jung waren, die Haare schneiden lassen.

We Can Work It Out

Es war 1965, als sich die Beziehung zwischen Paul und Jane Asher veränderte. Es habe immer wieder Streit gegeben, dann wieder Versöhnung, doch es seien im Grunde genommen Lächerlichkeiten und unnötige Differenzen gewesen, schreibt Paul. Mit der Zeile "Try to see it my way" wollte Paul zeigen, wie er sich nach einer dieser Auseinandersetzungen fühlte. Er selbst halte es für eines seiner besten Lieder, spontan als Reaktion auf eine reale Situation geschrieben.

George hatte die Idee, die Melodie mit einem Walzer zu unterbrechen, um mit diesem musikalischen Bruch auch die Brüche der Beziehung zu symbolisieren. Tatsächlich trennten sich Jane und Paul kurz danach.

Let It Be

Dieser Song sei während einer extremen Stresssituation entstanden und habe die Auflösung der Gruppe vorweggenommen. John hatte Yoko kennengelernt und hätte darauf bestanden, dass sie immer und überall dabei sei, auch im Studio während der Aufnahmen. "Wir waren keine streitsüchtige Gruppe", schreibt Paul, "und so ließen wir es einfach, wie es war, und fanden uns damit ab." Aus dieser Stimmung entwickelte sich das "Let it be".

Während sie an dem Song arbeiteten, schlief Paul in einer Pause mitten im Studio ein und träumte von seiner Mutter Mary, deshalb die Zeile: "When I find myself in times of Troubles Mother Mary comes to me". Pauls Mutter starb, als er erst 14 Jahre alt war.

Die Beatles haben dieses Lied als Band nie live gespielt. Erst 1985 beim Live Aid sang Paul es auf der Bühne.

Here Today

"Ein Liebeslied an John" nennt Paul diesen Song, den er kurz nach Johns Tod schrieb. Er dachte an all die Jahre, die er mit John verbracht hatte. Vor dem Haus seiner Eltern wartend, als sie durch die Straßen von Liverpool gingen, die langen Reisen durch England per Autostopp, so viele Erlebnisse, die nichts mit den Beatles zu tun hatten. Später das erste Recording-Studio in Sussex, ein einfacher Raum mit Holzboden und nackten Wänden.

John, eher der kritische Geist, oft aggressiver Zyniker im Vergleich zum ruhigen und optimistischen Paul, sei jedoch in schwierigen Situationen immer positiv und pragmatisch gewesen, selbst wenn alle anderen, was manchmal geschah, vor Verzweiflung zu weinen begonnen hätten. "What about the night we cried", beginnt eine Strophe und endet mit den Worten: "But you were always there with a smile."

Mit der Zeile "But we could always sing" versuchte Paul, mit dem Schmerz des Verlusts und der Trauer fertig zu werden. Es war die Musik, die beide auf ewig verbunden habe.

Epilog

Am 30. Jänner 1969 traten die Beatles das letzte mal gemeinsam auf dem Dach von Apple Corps in London auf. Es gab keine Ankündigung und keine Tickets. Die Musik konnte man auf der Straße hören. Auf den umliegenden Dächern sammelten sich Zuseher, in den Straßen stauten sich die Massen. Bis die Polizei einschritt und ersuchte, die Musik leiser zu machen. Der Regisseur der Dokumentation "Let It Be" schnitt jedoch die Dokumentation so, dass es aussah, als ob die Polizei diesen letzten Auftritt der Beatles abgebrochen hätte.