Frankreich und England
streiten um Napoleon

Vor 200 Jahren starb der Feldherr auf St. Helena. Autor Peter Sichrovsky über das Spektakel mit Napoleon-Souvenirs.

von Schlaglichter - Frankreich und England
streiten um Napoleon © Bild: Getty Images

Am 15. Oktober 1815 brachte ein englisches Schiff den ehemaligen Kaiser der Franzosen und Herrscher über halb Europa nach einer zehnwöchigen Reise auf die einsame Insel St. Helena. Dort starb er am 5. Mai 1821, erst 51 Jahre alt, umringt von Dienern und Ärzten, geplagt von Magenschmerzen in seinem einfachen Feldbett, das er mitgebracht hatte, in das er sich hinter zugezogenen blauen Vorhängen gerne zurückzog.

Eigentlich wollte Napoleon nach der Katastrophe von Waterloo in die USA fliehen und seinem Bruder Joseph folgen, dem ehemaligen Kaiser von Spanien, der sich in New Jersey ein Landgut kaufte und die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. Doch die Briten sperrten die Häfen und verbannten Napoleon auf St. Helena, jene schroffe, felsige, ewig windige Insel zwischen Südamerika und Afrika, die er nicht verlassen konnte wie einst die Insel Elba. 1502 vom portugiesischem Admiral João da Nova entdeckt, blieb sie acht Jahrzehnte ein Geheimnis der Portugiesen, die die unbewohnte Insel als Zwischenstation zwischen Kap der Guten Hoffnung und Kap Verde benutzten. Sie ließen drei Sklaven zurück, die ein Haus und eine Kirche bauten, Gemüse anpflanzten und die importierten Schweine und Ziegen versorgten. 1588 entdeckte sie der britische Forscher Thomas Cavendish, nach der Übernahme durch die East India Company wurde sie mehr und mehr besiedelt und ein britischer Gouverneur eingesetzt.

Napoleon hasste die Insel vom ersten Tag an. "Stürbe ich auf dem Thron, inmitten des Gewölks meiner Allmacht, wäre ich für viele Menschen ein Problem; heute jedoch, dank des Unglücks, das mir zugestoßen ist, kann man mich in unverhüllter Nacktheit beurteilen", ist einer der Sprüche, die er der Nachwelt hinterließ. Er lebte verbittert und einsam in dem eigens für ihn errichteten Gebäude "Longwood House", das schwierig zu beheizen war und in dem sich außer dem französischen Gefangenen und seinen Dienern angeblich hauptsächlich Ratten aufhielten.

Blick durchs Toilettenfenster

Der von den Briten eingesetzte Gouverneur Sir Hudson Lowe war verantwortlich, dass der Gefangene die Insel nicht verlassen würde. Eine Aufgabe, die ihn derart nervös machte, dass er selbst zum Gefangenen seiner Panik und Ängste wurde. Er errichtete ein Sicherheitssystem mit 2.000 Soldaten, die Napoleons Behausung und Gärten bewachten, und bestand darauf, den Franzosen mindestens einmal pro Tag persönlich zu sehen. Dieser soll angeblich dieses Spiel mitgemacht haben, versteckte sich in den Gärten oder verließ tagelang nicht das Haus, versperrte die Türen und reagierte weder auf Rufen noch auf Klopfen. An manchen Tagen versuchte es der Gouverneur mit dem Toilettenfenster, vor dem er stundenlang wartete, in der Hoffnung, Napoleon würde zumindest einmal pro Tag dort auftauchen. Auf den Hügeln rund um das Anwesen ließ er Kanonen aufstellen und sandte mehrere Schiffe aus, die in entgegengesetzter Richtung die Insel umkreisten, um einen Fluchtversuch zu verhindern. In seinen Memoiren erwähnt Hudson Loew nur sechs ausführliche Gespräche mit dem prominenten Häftling und betont, sich geweigert zu haben, ihn als König von Frankreich anzusprechen.

Der nahende 200. Geburtstag führt nun zu einem Konflikt der Erinnerungskultur zwischen Frankreich und Großbritannien. Das Gelände, wo Napoleon seine letzten Jahre verbrachte, inklusive Gebäude und Garten gehört Frankreich. Dort regiert ein französischer Honorarkonsul. Er sieht sich verantwortlich für die Feiern zu Ehren des französischen Feldherrn, organisiert Vorträge, koordiniert Besuche von Historikern und anderen Wissenschaftlern und ist der Meinung, dass nur er und sein Team die Festlichkeiten organisieren sollten. Die Häuser, die Napoleon bewohnte, wurden renoviert und als Museum eingerichtet.

Der Garten, in dem Napoleon liebevoll heimatliches Obst und Gemüse pflanzte und wo er sich am liebsten aufhielt, soll original nachgebaut werden. Da auf St. Helena absolut nichts zu tun war und er auf Schritt und Tritt von britischen Soldaten beobachtet und verfolgt wurde, stürzte sich der einst mächtigste Mann Europas in Gartenarbeit. Nicht nur um die Zeit totzuschlagen, er hatte auch andere Pläne. Er begann, ein Beet nach dem anderen rund um sein Haus anzulegen, und seine kleine Gefolgschaft aus Frankreich musste mithelfen. Den größer werdenden Garten verstand er als Methode der "Expansionspolitik", da Soldaten sein Haus Tag und Nacht umstellten und durch die immer größer werdende Anbaufläche rund um das Gebäude zurückweichen mussten.

Die Jahre der Einsamkeit und seine Krankheit machten ihn verbittert und verzweifelt. Der Alltag auf St. Helena entsprach nicht den Vorstellungen der letzten Jahre seines Lebens. Es passierte absolut nichts, es kamen keine Besuche, und seine Begleiter verließen einer nach dem anderen die Insel. Der gelangweilte Hofstaat und die Soldaten litten ebenso darunter wie ihr Gefangener. Berichte über Intrigen, Streitereien und Dutzende Duelle sind in den Nachrichten zu finden, die der Gouverneure nach London schickte.

Britisches Hoheitsgebiet

Die Insel ist britisches Hoheitsgebiet. Bis vor wenigen Jahren erreichte nur ein britisches Postschiff einmal pro Woche den einzigen Hafen der Insel. Jetzt gibt es einen Flughafen, und der britische Gouverneur erwartet Touristen, die endlich diese vergessene Insel besuchen würden. Der Todestag von Napoleon soll werbemäßig genutzt werden, sehr zum Unwillen des französischen Honorarkonsuls, der die Erinnerung als eine eher elitäre Angelegenheit sieht und dem ein touristisches Spektakel mit Napoleon-Souvenirs zuwider ist. Elba sei das negative Beispiel mit Napoleon-Schnaps, Ketten, Anhängern, Abzeichen, Hüten und Bierdeckeln.

Doch der britische Gouverneur lässt sich nicht beirren. Ein neues Hotel und zahlreiche Geschäfte mit Andenken öffneten vor Kurzem. Der Flugbetrieb wurde von einer auf zwei Landungen pro Woche erweitert. Lord Ashcroft, ein britischer Millionär, spendete 300.000 Pfund, um die Sehenswürdigkeiten der Insel zu renovieren, darunter "Tobby's Cottage", in dem Napoleon nach der Landung festgehalten wurde. Ein "Napoleon Bicentenary Trust" wurde gegründet und soll die Restaurierung der Bewachungsanlagen finanzieren. Die Franzosen konzentrieren sich auf das Museum "Longwood House" mit den Originalmöbel Napoleons und über 900 Gebrauchsgegenständen. In der Residenz des Gouverneurs hängt ein Luster aus dem Wohnzimmer Napoleons, und im Farm Lodge, dem einzigen Hotel, steht ein Schaukelstuhl, auf dem angeblich Napoleon saß. Nach einem Gemälde des Arztes von Napoleon wurden sogar die Hauswände in den originalen Farbtönen neu gestrichen. Frankreich brachte einen Lehrer, der in einer der wenigen Schulen für die 4.000 Einwohner von St. Helena Französisch unterrichtet. In Sane Valley, wo Napoleon begraben wurde, hat die britische Verwaltung sein Grab nachgebaut. Frankreich erlaubte erst 19 Jahre nach seinem Tod die Überführung nach Paris.

Einzige Einnahmequelle -außer dem erhofften Tourismus -ist der St.-Helena-Kaffe. Er zählt zu den teuersten Kaffeesorten der Welt und wird seit 1732 auf der Insel angebaut. Auch das Image des Kaffees stützt sich auf den Franzosen. Er habe kurz vor seinem Tod nur noch einen Wunsch gehabt -ein Tasse St.-Helena-Kaffee.

Napoleon war übrigens nicht der letzte Häftling auf der Insel. Später wurden hier Zulu-Häuptlinge, Gefangene aus dem Burenkrieg und der Sultan von Sansibar einschließlich seines Harems interniert. Erst 1961 endete diese Tradition. Drei Verschwörer aus dem Sultanat Bahrain, die nach einem Putschversuch auf Bitten des Sultans von den Briten in Gewahrsam genommen waren, klagten gegen die Verletzung der Habeas-Corpus-Akte (wiederholte Verhaftung wegen gleichem Delikt) und bekamen vor einem britischen Gericht Recht. Hätte auch Napoleon mit einer Habeas-Corpus-Klage Erfolg gehabt? Ja, meinen Juristen, wenn er sich nicht freiwillig auf ein britisches Schiff begeben hätte.